Am 1. November 1986 kam es auf dem Sandoz-Gelände in Schweizerhalle zur grössten Chemie-Katastrophe der Schweiz. TagesWoche-Leserinnen und Leser erinnern sich.
«Ich war 16 Jahre alt, und die Angst vor dem Atomkrieg war allgegenwärtig. Als die Sirenen mitten in der Nacht heulten, war ich sicher: Jetzt ist es soweit!»
TagesWoche-Leser Thomas Blauen erfuhr dann aber bald, dass nicht ein Atomkrieg ausgebrochen war, sondern ein Feuer. Und was für eines! Der heutige Radiojournalist Philip Meyer erinnert sich: «Die Familie sass in der Stube am Radio und wartete gebannt auf genauere Informationen.» Die kamen dann auch. Eine Lagerhalle mit Chemikalien sei vollständig abgebrannt, hiess es. Jetzt wussten alle, weshalb es so fürchterlich stank.
Anne-Regula Keller hat den Geruch heute noch in der Nase: «Eine Mischung aus faulen Eiern und Knoblauch.» Leser Philip Morris dachte zuerst, bei ihm zu Hause stinke etwas: «Ich war in meiner Wohnung in Binningen. Plötzlich merkte ich, dass es ungewöhnlich stinkt. Deshalb habe ich die Fenster geöffnet…»
Der Lautsprecher-Aufruf der Polizei «Schliessen Sie die Fenster!» kam später. Mit diesem Aufruf wuchs die Angst der Bevölkerung. Da kann nur Schnaps helfen, wird sich Leser Michael Sennhauser gedacht haben. Gemeinsam mit dem 70-jährigen Hausverwalter seiner Studentenbude griff er zur Flasche: «Pater H. holte den Aquavit aus dem Schrank und die Schnapsgläser aus dem Tiefkühlfach. Als die vorläufige Entwarnung über den Äther kam, waren wir sturzbetrunken und extrem fröhlich.»
Interne Frühwarnung und roter Rhein
Eine Entwarnung gab es auch für Schulkinder. Zu früh, wie später kritisiert wurde. Andi Jacomet ging an diesem Morgen zur Schule, obwohl die Unsicherheit kurz vor der Entwarnung noch riesig war: «Wir hatten am Morgen keine Ahnung, ob wir überhaupt einen Schritt vor die Tür machen können.»
Ein anderer Leser erfuhr vor den meisten anderen Menschen vom Unfall. Der Vater seiner damaligen Freundin habe bei der Ciba gearbeitet und das Paar bereits um 1.30 Uhr telefonisch über den «Vorfall» informiert. Dass «Schweizerhalle» mehr als ein «Vorfall» war, zeigte unter anderem das grosse Fischsterben. Der Rhein sei an diesem Morgen rot gewesen, erinnert sich Leser Isaac. Die Stadt habe «verschlafen» gewirkt. Kein Wunder: Viele Menschen gingen nicht aus dem Haus.
Leserin Ruth Petitjean erinnert sich: «Grossmama zittert am ganzen Körper. Sie rennt hektisch durch die Wohnung und kurbelt sämtliche Rollläden herunter. Grosspapa Max liegt im Bett. Seine Stimme ist nicht mehr sehr kräftig, er ist seit längerem sehr krank.» Marc Véron hingegen blieb nichts anderes übrig, als den Morgen draussen zu verbringen: Er hatte für diesen Tag den Umzug nach Basel geplant. Später schrieb er für mehrere Zeitungen Artikel zum Thema. Er war nicht der einzige. «Schweizerhalle» ging um die Welt.
Als Ereignis, bei dem Basel den Atem anhielt. Und knapp einer Katastrophe entging.