Vor dem dummen Volk wird gewarnt

Im Kampf gegen die Abzocker-Initiative ist den Wirtschaftsverbänden jedes Mittel recht – auch der Aufruf an Politiker, gemeinsam gegen den Stimmbürger zu kämpfen.

Bitte einmal richtig abstimmen, liebes Völklein. (Bild: Michael Meister)

Im Kampf gegen die Abzocker-Initiative ist den Wirtschaftsverbänden jedes Mittel recht – auch der Aufruf an Politiker, gemeinsam gegen den Stimmbürger zu kämpfen.

Der Rahmen war dem Anlass und seinem Publikum angemessen. Ein «hervorragendes» Pilzrisotto, zweierlei Würstchen, gefüllte Fastenwähe, Käseküchlein. Dazu Prosecco, Wein, Bier – ein ganz «formidables» Buffet sei das gewesen am traditionellen «Pfyfferli»-Empfang des Arbeitgeberverbands Basel von dieser Woche, sagte ein Besucher am Tag darauf.

Etwas weniger formidabel wurde von einigen wenigen Gästen (man ist ja weitgehend unter sich) die Begrüs­sung von Teddy Burckhardt empfunden. Der Vize-Präsident des Arbeit­geberverbandes sprang kurzfristig für Präsident Marc Jaquet ein und nutzte die Ansprache, um eine kleine Brandrede gegen die Abzocker-Initiative zu halten, über die am 3. März abgestimmt wird. Seine Rede gipfelte in folgendem Satz, der der TagesWoche per Mail auch vom Arbeitgeberverband bestätigt wurde: «Am 3. März treten also nicht politische Parteien gegeneinander an, sondern das ganze Politikestablishment gegen die Staatsbürger und Herrn Minder als Robin Hood – eine Herausforderung!»

«Nur peinlich»

Ein unmöglicher Satz, beispielsweise für Patrick Hafner, SVP-Grossrat und an diesem Abend Gast des Arbeit­geberverbands. Er habe sich überlegt, einen Gastbeitrag unter dem Titel «Die Arroganz der Mächtigen» zu ­verfassen. Die Ansprache sei typisch gewesen für die Art und Weise, wie die Wirtschaft im Allgemeinen und Economiesuisse im Speziellen mit der Bevölkerung umspringe. «Ihre Haltung ist: Wir wissen, wie es läuft, und wir werden es jetzt auch noch dem dummen Stimmbürger beibringen.»

Hafner hat noch keine abschlies­sende Meinung zur Abzocker-Initiative. Zum Abstimmungskampf der Wirtschaftsverbände hin­gegen schon: «Der ist einfach nur peinlich.»

«Hochnervös»

Auf der Gegenseite wird der mil­lionenteure Abstimmungskampf von Economiesuisse genüsslich verfolgt. «Wir müssen nur jeden Tag die Zeitung aufschlagen, um vom nächsten Fehler unseres Gegners zu lesen. Die sind hochnervös», sagt Claudio Kuster, Mitinitiant der Abzocker-Initia­tive. Viele Peinlichkeiten haben die Wirtschaftsverbände bis heute tatsächlich nicht ausgelassen. Sie haben Studenten als falsche Leserbriefschreiber engagiert, wollten anscheinend Jungparteien für Standaktionen kaufen, besetzten alle möglichen Internet-Domains der Gegenseite.

Die Gegner der Initiative lassen kaum ein Fettnäpfchen aus.

Und auch der Bundesrat mischt munter mit. Im Abstimmungsbüchlein wirbt er etwas gar penetrant für den in­direkten Gegenvorschlag (die Folge ist eine Stimmrechtsbeschwerde von Thomas Minder) und auch Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann weibelt bei jeder Gelegenheit gegen die Initiative, obwohl sie sein Departement gar nicht betrifft. All das – bis hin zur Ansprache von Teddy Burckhardt – zeige die grosse Diskrepanz zwischen den Eliten und der Bevölkerung, sagt Claudio Kuster. Gewissen Leuten fehle es schlicht an Respekt. «Aber wenn man in einer Umfrage so kurz vor der Abstimmung mit 30 Prozentpunkten hinten liegt, dann agiert man halt nicht mehr sehr besonnen.»

Auch der Basler Wirtschaftsminister Christoph Brutschin war am Empfang des Arbeitgeberverbands. Er sagt: «Die Aussage von Burckhardt war gewagt, ich hätte sie so nicht gemacht.» Aber noch wichtiger: Solche Aussagen können kontraproduktiv sein. Brutschin gehört zu jenem kleinen Teil der SP, der sich gegen die Initiative stellt. «Es ist richtig, dass Abzocker thematisiert werden. Aber die Initiative kann nicht halten, was sie verspricht.» Vielmehr treibe sie den Kapitalismus auf die Spitze und öffne beispielsweise mit der einjährigen Amtsdauer für Verwaltungsräte den «Heuschrecken» das Tor in die Unternehmen.

Ein «Missverständnis

Teddy Burckhardt selber spricht üb­rigens von einem «Missverständnis». Er sei halt kein Politiker und rede so, wie ihm der Schnabel gewachsen sei. «Was ich sagen wollte, war: Es braucht nun einen Brückenschlag von Wirtschaft und Politik zum Mann auf der Strasse.» Diesem «Mann auf der Stras­se» fühle er sich verpflichtet. «Der Stimmbürger ist sich heute nicht richtig bewusst, welchen Schaden er mit dieser Initiative anrichten kann.»

Support erhält er von Balz Stückelberger, Geschäftsführer des Arbeit­geberverbands der Banken in der Schweiz. Man müsse gegen ein weitverbreitetes Bauchgefühl bei den Stimmbürgern antreten. «So gesehen fand ich es richtig, dass Teddy Burckhardt klar und unmissverständlich auf die Gefahren dieser Initiative hin­gewiesen hat.»

Die Abzocker-Initiative

Die Initiative «Gegen die Abzockerei» ist das politische Lebenswerk von Zahnpasta-Hersteller und Ständerat Thomas Minder aus Schaffhausen. 2001 wurde seine Firma in die Wirren um das Swissair-Grounding hineingezogen. Minder machte Verlust, der damalige Swissair-Chef Mario Corti bezog fünf Jahreslöhne im Voraus. Seither kämpft Minder mit aller Macht gegen die Abzocker in Schweizer Firmenetagen. Seine Initiative will den Aktionären von börsenkotierten Firmen mehr Macht übergeben und verlangt im Kern Folgendes:

  • Aktionäre sollen über die Gesamtsumme der Vergütungen des Managements bestimmen können.
  • Verwaltungsräte sind nur noch für ein Jahr gewählt.
  • Vorschüsse oder «Goldene Fallschirme» werden verboten.

Sollte die Initiative abgelehnt werden, tritt der indirekte Gegenvorschlag in Kraft. Dieser geht weniger weit als die Initiative: Das Vergütungsreglement wird beispielsweise von den Aktionären nicht bestimmt, aber genehmigt. SP und Grüne unterstützen die Initiative, aber nicht geschlossen. In einem lesenswerten Text in der WOZ wird davor gewarnt, dass die Abzocker-Initiative den Kapitalismus auf die Spitze treibe und «Heuschrecken» Tür und Tor öffne.

Quellen

Dossier des Parlaments.

Der «Blick» über die Kommentar-Aktion von Economiesuisse, die vom «Tages-Anzeiger» aufgedeckt wurde.

Der Blog der NZZ zur Abzocker-Initiative.

Die Vorwürfe von Thomas Minder zum Abstimmungsbüchlein in der «NZZ am Sonntag» und auf «20 Minuten online» Abstimmungsbüchlein Propaganda

Die WOZ und ihre ablehnende Haltung zur Abzocker-Initiative.

Die Rede von Bundesrat Johann Schneider-Ammann gegen die Abzocker-Initiative.

Economie-Suisse kauft Minder-Domains.

SVP-Unternehmerkomitee gegen Abzocker-Initiative.

Die Linken und ihr schwieriger Widerstand gegen die Initiative.

Website der Befürworter und der Gegner.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.01.13

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