Vorbild Island

Der Inselstaat im Norden Europas zeigt, wie sich die Finanzkrise erfolgreich bewältigen lässt: durch eine Abwertung der Währung, einen Schuldenschnitt – und durch Lohnerhöhungen.

Der Inselstaat im Norden Europas zeigt, wie sich die Finanzkrise erfolgreich bewältigen lässt: durch eine Abwertung der Währung, einen Schuldenschnitt – und durch Lohnerhöhungen.

Diesen Freitag will Angela Merkel Europas Wirtschaftspolitik voll auf deutschen Kurs zwingen. Stabilitätspakt sei dafür das falsche Wort, meint die ­«Financial Times», vielmehr handle es sich um einen «Austeritätspakt», einen Sparpakt. Mit ­einer strikten Drosselung der öffent­lichen Aus­gaben und automatischen Sanktionen will ­Merkel die Finanzmärkte beruhigen und die Schu­lden­krise überwinden.

Geht das überhaupt?

Kritiker weisen auf das abschreckende Beispiel Griechenlands hin, das durch den von der EU aufgezwungenen Sparkurs in eine tiefe Rezession geraten ist, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Dem setzt die EU immer wieder das Beispiel von Irland entgegen. Anders als die Griechen hätten die Iren die Sparvorgaben voll eingehalten und seien deshalb schon wieder auf Wachstumskurs. Die neuesten Zahlen der OECD zeigen, dass Irland in der Tat ein Erfolg war – allerdings bloss im Vergleich zu Griechenland. 2012 wird Irlands Wirtschaftsleistung (BIP) «nur» noch um 8 Prozent unter dem Niveau von 2007 liegen. Griechenland dagegen fehlen dann schon 16 Prozent vom damaligen BIP. Auch punkto Arbeitslosenquote steht Irland mit 14 Prozent weniger schlecht da als Griechenland mit 18,4 Prozent.

Doch es gibt da nicht weit von Irland eine Krisenregion, die sich noch viel schneller hochgerappelt hat: Island. Im Gegensatz zu Irland, das laut OECD dieses und nächstes Jahr nur dank steigenden Lagerbeständen und Exporten wieder bescheidene Wachstumsraten von 1,2 und 1 Prozent melden wird, wächst Islands Wirtschaft wieder flott um 2,9 und 2,4 Prozent – etwa dreimal so stark wie der Durchschnitt aller ­Euro-Länder. Auch punkto Arbeitslosigkeit schneidet Island mit 6,1 Prozent erheblich besser ab als Griechenland, Portugal und Irland, die sich unter die Schuldenknute der EU gestellt haben.

Die Bevölkerung profitiert

Islands Wachstum hat zudem einen ganz speziellen Charme: Es kommt in vollem Umfang der einheimischen Bevölkerung zugute. Irland hingegen wächst nur dank Export. Die einheimische Nachfrage geht in Irland auch ­dieses und nächstes Jahr zurück. Dasselbe gilt für sämtliche Staaten, denen die EU und der Internationale Währungsfonds ein Sparprogramm aufgedrängt haben. Sie alle sollen gefälligst weniger konsumieren und mehr exportieren, um so die Schulden zurückzahlen zu können, fordern die Gläubiger. Doch weil auch die Überschussländer nicht mehr konsumieren, kann diese Rechnung nicht aufgehen. Adam Riese hätte es gewusst.

Drei Dinge hat Island anders gemacht. Erstens hat es seine Währung ab 2008 um insgesamt rund 50 Prozent abgewertet und ist dadurch wieder wettbewerbsfähig geworden. Zweitens weigerte es sich, die Schulden seiner Banken zu übernehmen. Island ging in Konkurs und musste beim Weltwährungsfonds einen Hilfskredit von 2,1 Milliarden Dollar beanspruchen. Drittens haben Islands Gewerkschaften und Arbeitgeber ein Lohnabkommen vereinbart, das einen Anstieg der Löhne um 11,4 Prozent innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren vorsieht; die Mindestlöhne steigen gar um das Doppelte. Ferner wurden die Renten gesichert und der Arbeitnehmerschutz ausgebaut.

All das war möglich, weil Island nie der EU beigetreten ist, geschweige denn dem Euro – und deshalb das Vernünf­tige tun durfte. Diese pragmatische Vernunft schätzen übrigens auch die Kapitalmärke. Sie verlangen für zehnjährige isländische Regierungsbonds zurzeit bloss 6,4 Prozent Zins, was bei der aktuellen Inflationsrate ­einem Realzins von 1,1 Prozent entspricht. Das EU-Hätschelkind Irland hingegen zahlt nominell 9,2 und real 8 Prozent Zins. Hugh, der Kapitalmarkt hat gesprochen.

Und falls sich Merkel & Co. am Ende nicht vom Kapitalmarkt beeinflussen lassen wollen – dann vielleicht von Altkanzler Helmut Schmidt? Der kritisierte in seiner Rede vor dem SP-Parteitag die «anhaltenden, enorm hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse», die er als «ärgerliche Verletzung des Prinzips des aussenwirtschaftlichen Gleichgewichts» bezeichnete. Und er erinnerte die Deutschen an die «schicksalhafte Wirkung von Heinrich Brünings Deflationspolitik, die eine Depression gebracht, ein unerträgliches Ausmass an Arbeitslosigkeit ausgelöst und letztlich zum Scheitern der ersten deutschen Demokratie geführt hat.»

Doch offenbar lässt sich Angela Merkel ­weder durch die abschreckenden Beispiele Griechenlands und der Weimarer Republik noch durch das Vorbild Islands von ihrem Sparkurs ­abbringen – obwohl der Inselstaat mit dem ­genau gegenteiligen Rezept einen Erfolg verbuchen kann.

 

Schuldenbremse gleich Wachstumsbremse

Nach den deutsch-französischen Plänen soll jedes EU-Land in der Verfassung eine Schulden- bremse einführen. Die Idee dahinter: Kleinere Staatsdefizite lassen die Zinsen sinken, das Vertrauen der Investoren steigt, es wird mehr für private Zwecke investiert – Wachstum und Beschäftigung nehmen zu. So weit die Utopie – die Fakten besagen dies: 2010 beliefen sich die Staatsdefizite im Euro-Raum auf 6 BIP-Prozent. Deutschlands Schuldenbremse sieht eine Obergrenze von 0,35 BIP- Prozent vor. Nach diesem Vorbild müssten die Staatsausgaben europaweit um 5,65 BIP-Prozent sinken. Das geht nicht ohne tiefere Löhne – zunächst für die Staatsangestellten, dann für alle. Doch wenn die Portemonnaies leer sind, macht es keinen Sinn, die Produktionskapazitäten auszuweiten – tiefe Zinsen hin oder her. 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09/12/11

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