Der Bundesrat hat kommuniziert, wie er mit der Umsetzung der SVP-Masseneinwanderungsinitiative fortfahren will. Simonetta Sommaruga will «Schritt für Schritt» vorgehen. Dabei wirkt es so, als komme der Bundesrat nicht vom Fleck.
Kontingente für ausländische Arbeitskräfte – auch für Grenzgänger – und ein Inländervorrang bei der Stellenbesetzung: Mit diesen beiden Massnahmen will der Bundesrat dem Volksentscheid vom 9. Februar über die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) der SVP Rechnung tragen. Die beiden Massnahmen stellen den Kern des am Mittwochnachmittag präsentierten Gesetzesentwurfs zur neuen Verfassungsbestimmung dar. Der Bundesrat trägt damit dem Willen der Initianten Rechnung. Er bleibt relativ eng am Initiativtext.
Allerdings macht der Bundesrat die definitive Gestaltung des Gesetzes von den Verhandlungen mit der EU abhängig. Je weiter die EU der Schweiz entgegenkommt, desto näher am Initiativtext lässt sich die neue Verfassungsbestimmung umsetzen. Doch genau dies verärgert die SVP. In einer Mitteilung schreibt sie von einem Veto-Recht, dass der EU bei der Umsetzung des Schweizer Verfassungstextes eingeräumt werde. Daraus ergebe sich für die Verhandlungen mit der EU keine Position der Stärke, sagt der Basler SVP-Grossrat Joël Thüring gegenüber der TagesWoche. Und «die einfachsten Massnahmen – etwa die Eingrenzung des Familiennachzugs – sind im Vorschlag nicht enthalten.» Bundespräsidentin Sommaruga sagte dazu lediglich, der Familiennachzug stehe in einem zivilisierten Land wie der Schweiz nicht zur Debatte.
Von der CVP als «mutlos» kritisiert
Die CVP kritisiert den bundesrätlichen Vorschlag als «mutlos», weil aktuell nur Drittstaatenangehörige von der Kontingentierung betroffen seien. Gleichzeitig will sie einen Erhalt der Bilateralen Verträge und verlangt vom Bundesrat «mehr Engagement», wie sich Präsident Christophe Darbellay in einer Mitteilung zitieren lässt. Die SP kritisiert, dass die innenpolitische Massnahmen, welche der Bundesrat vorschlägt – in erster Linie das bessere Ausnutzen inländischer Arbeitskräfte – ungenügend seien. Und Grünen-Co-Präsidentin Regula Rytz erklärt schlicht: «Wir wissen heute nicht mehr als vor einem Jahr.» Die Vorlage sei eine Blackbox.
Klar ist: Kontingente und Inländervorrang, wie sie jetzt vorgeschlagen wurden, sind nicht mit dem geltenden Personenfreizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union (EU) vereinbar – und dieses ist Teil der Bilateralen I. Für die Umsetzung des bundesrätlichen Vorschlags muss das Abkommen deshalb neu verhandelt werden. Ein entsprechendes Verhandlungsmandat hat der Bundesrat ebenfalls am Mittwoch verabschiedet. Doch für eine Verhandlungsbereitschaft seitens der EU gibt es derzeit kaum Anzeichen. Um Verhandlungen aufzunehmen, müssten alle EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Doch die EU hat bereits seit Längerem sehr deutlich klar gemacht, dass das Freizügigkeitsabkommen nicht verhandelbar sei.
Das Ende der Bilateralen?
Ein entsprechendes Antwortschreiben auf eine bundesrätliche Anfrage hat die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton Aussenminister Didier Burkhalter bereits im vergangenen Sommer zukommen lassen. Im Dezember haben die EU-Aussenminister den Bescheid einstimmig bestätigt. Beharrt die EU auf dieser Position, könnte eine wortgetreue Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative das Ende der Bilateralen Verträge bedeuten. Die wirtschaftlichen Folgen für die Schweiz wären kaum absehbar, wie Bundesrat Johann Schneider-Ammann am Mittwoch erklärte.
Beharrt die EU auf ihrer Position, könnte eine wortgetreue Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative das Ende der Bilateralen Verträge bedeuten.
Mit der Verabschiedung des Verhandlungsmandates will der Bundesrat den eingeschlagenen Weg zu Neuverhandlungen des Abkommens weitergehen, «Schritt für Schritt», wie Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga betonte. Und zwar trotz des Neins aus Brüssel. Die Gespräche mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker von vergangener Woche bezeichnete Sommaruga an der heutigen Medienkonferenz als «kleinen Schritt», wenngleich diese weit auseinander liegende Positionen zutage gebracht hätten. Juncker sprach seinerseits von anstrengenden Gesprächen.
Entscheidende Frage bleibt unbeantwortet
Die Ergebnisse der weiteren Gespräche mit der EU sind deshalb für die Ausgestaltung des MEI-Umsetzungsgesetzes zentral. Je weiter die EU der Schweiz entgegenkommt, desto eher kann die Schweiz die Masseneinwanderungsinitiative verfassungskonform umsetzen und die Bilateralen Verträge mit der EU retten.
Neben dem aussenpolitischen Vorgehen will der Bundesrat weiterhin das Potenzial der inländischen Arbeitskräfte besser nutzen. Eine entsprechende Strategie hat er ebenfalls im vergangenen Sommer vorgestellt. Die entscheidende Frage aber blieb auch am Mittwoch unbeantwortet: Wie geht es weiter, wenn die EU zu keinen Konzessionen bereit ist?
Dass der Bundesrat vor den Gesprächen mit der EU darüber nicht spekulieren will, ist klar. Sollte die EU zuletzt aber hart bleiben, hat der Bundesrat möglicherweise ein letztes Mittel, um die MEI und die Bilateralen Verträge miteinander zu vereinbaren. Er könnte das Gesetz so ausgestalten, dass den Anliegen der Initianten grundsätzlich Rechnung getragen wird. Und gleichzeitig könnte er eine Klausel einbauen, welche den Vorrang bestehender Verträge vor den neuen Bestimmungen garantiert.
Verwässerte Umsetzung spielt SVP in die Hände
Im Initiativtext heisst es nämlich: «Es dürfen keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die gegen diesen Artikel [der MEI, Anm. d. Red.] verstossen.» Bei buchstabengetreuer Auslegung sind damit nur künftige Verträge gemeint. Die bereits bestehenden Bilateralen könnten mit einer Vorrangklausel geschützt werden. Kontingente und Inländervorrang wären dann für EU-Bürger, die im Rahmen des bestehenden Freizügigkeitsabkommens in die Schweiz kommen, hinfällig.
Mit einem solchen Vorschlag, der die SVP-Initiative sehr weitreichend interpretiert, dürfte der Bundesrat aber nicht vor allfälligen Verhandlungen mit der EU aufwarten. Und sicher auch nicht vor den nationalen Wahlen im kommenden Herbst. Denn ein solcher Vorschlag – das weiss der Bundesrat – dürfte der SVP im Wahlkampf allzu sehr in die Hände spielen.