Am Mittwoch hat der Nationalrat eine Verfassungsvorlage oppositionslos versenkt, die den Energieverbrauch und CO2-Emissionen mit einer Abgabe hätte lenken sollen. Möglich wurde dies, weil sich ein bürgerlicher Gedanke nun auch in der linken Energiepolitik eingenistet hat. Eine Analyse.
Im Grundsatz Ja, im konkreten Fall Nein. Dieses Schicksal verfolgt Vorlagen für Lenkungsabgaben seit Jahrzehnten. Gelobt werden Lenkungs- oder Ökosteuern, weil sie nicht erneuerbarer Energie und anderen Naturgütern einen Preis geben und mit marktwirtschaftlichem Anreiz deren Plünderung drosseln. So kommt die jüngste Nationalfondsstudie unter dem Titel «Steuerung des Energieverbrauchs» (NFP 71) zum Schluss: «Lenkung ist erheblich effizienter und bis zu fünfmal kostengünstiger als Förderung.»
Trotzdem setzt die Energiepolitik bislang auf Förderabgaben, um energetische Sanierungen und erneuerbare Stromproduktion zu subventionieren. Anträge auf Lenkungsabgaben hingegen scheiterten – trotz grundsätzlicher Sympathie – stets am bürgerlichen Widerstand. Mal waren die Abgaben angeblich zu hoch, mal zu tief, dann kamen sie zum falschen Zeitpunkt, oder man war sich über die Kompensation oder Rückverteilung des Ertrags uneinig.
Das gleiche Schicksal erleidet jetzt auch die neuste Vorlage mit dem Kürzel KELS (Klima- und Energielenkungssystem). Das Neue daran: Diesmal sind nicht nur die bürgerlichen Parteien dagegen, sondern auch die SP und die Grünen.
Verfassungsartikel als Grundlage
Bei der KELS handelt es sich um einen allgemein formulierten Verfassungsartikel. Er soll die Grundlage für die zweite Umsetzungs-Etappe der Energiestrategie bilden und die heutigen Förderabgaben sukzessive durch Lenkungsabgaben auf allen Energieträgern ablösen. Demnach «kann der Bund eine Abgabe auf Brenn- und Treibstoffen (Klimaabgabe) und eine Stromabgabe erheben».
Einen Teil des Ertrags muss der Bund vorübergehend noch zur Finanzierung der heutigen Fördermassnahmen verwenden, etwa für Gebäudesanierungen oder Quersubventionen für Ökostrom. Langfristig soll der gesamte Ertrag an Wirtschaft und Bevölkerung zurückverteilt werden. Und zwar nach dem Prinzip: Wer weniger Energie als der Durchschnitt verbraucht, wird unter dem Strich finanziell belohnt. Der Verfassungsartikel lässt aber offen, wie hoch die Abgaben ausfallen, und welche Energieträger sie wie stark belasten. Das sollen später die Ausführungsgesetze regeln.
Widerstand von allen Fraktionen
Die Unterstützung für diese KELS-Vorlage blieb schon im Bundesrat flau. Doris Leuthard sagte mehrmals, sie sei gegenüber Lenkungsabgaben «skeptisch». Und der neu zuständige Finanzminister Ueli Maurer steht seiner Vorgängerin Widmer-Schlumpf, welche die KELS-Vorlage aufgleiste, weniger nah als seiner SVP, die alle Öko-Abgaben schroff ablehnt. Maurer verzichtete darum darauf, den Antrag des Bundesrates im Parlament zu verteidigen.
Darauf beschloss der Nationalrat am Mittwoch, ohne Gegenantrag – und somit ohne Abstimmung – auf die KELS-Vorlage nicht einmal einzutreten. Voraussichtlich im Sommer wird der Ständerat vermutliche genau gleich entscheiden.
Doch so einhellig die Abfuhr ausfiel, so vielfältig waren die Motive, die in der Debatte zum Ausdruck kamen:
- Die SVP lehnt schon die bestehenden Förder- und Lenkungsabgaben strikte ab.
- Die FDP will keine neuen Abgaben. Sie verlangt, dass die teilweise Zweckbindung der bestehenden Abgaben zur Förderung von Gebäudesanierungen und erneuerbarer Energienutzung möglichst schnell abgeschafft wird.
- Die Mitte-Parteien CVP und BDP sind im Grundsatz weiterhin für Lenkungsabgaben, meinen aber, diese liessen sich in der Praxis nicht umsetzen und darum politisch chancenlos. Mit den Worten des Solothurner CVP-Vertreters Stefan Müller-Altermatt: «Lenkungsabgaben sind das beste Mittel in der besten aller Welten, aber wir haben nicht diese beste aller Welten.»
«Es braucht keine Verfassungsänderung»
Bemerkenswert war, dass auch SP, Grüne und Grünliberale die Vorlage geschlossen ablehnten. Warum diese linke Kehrtwende?
«Wir lehnen die Vorlage ab, weil sie wirksame (Förder-) Massnahmen abbaut, ohne an deren Stelle griffige Lenkungsmassnahmen vorzusehen», begründet die Grüne Partei und folgert: «Das Nein zur KELS ist ein Ja zu den bewährten Massnahmen zum Schutz des Klimas und für die Energiewende.»
Der Energiespezialist der SP, der Stadtbasler Nationalrat Beat Jans, verweist auf die bestehende CO2-Abgabe auf fossilen Brennstoffen, bei der es sich um eine Mischung aus Förderabgabe für Gebäudesanierung und Lenkungsabgabe mit Rückverteilung handelt. «Zur Einführung ergänzender Lenkungsabgaben auf Treibstoffen oder Strom braucht es keine Verfassungsänderung und schon gar keine Kann-Formulierung», sagte Jans im Nationalrat.
Dem Bundesrat wirft Jans vor, er spiele in diesem Verfassungsartikel Lenkungs- gegen Förderabgaben aus. Eric Nussbaumer (SP/BL) bekräftigte während der Debatte im Nationalrat, der bestehende (Umwelt-)Artikel 74 in der Bundesverfassung genüge, um die heutige CO2-Abgabe auf Brennstoffen auf Gesetzesebene auf fossile Treibstoffe und Elektrizität auszuweiten.
Die gleiche Meinung vertritt die Grünliberale Partei. Sie fordert vom Bundesrat per Postulat einen Bericht, der zeigt, wie sich Abgaben für Elektrizität und im Verkehr per Gesetz verwirklichen lassen.
Im Unterschied zur GLP sind die Fraktionen von SP und Grünen aber dagegen, «bewährte Mittel» wie Verbrauchsvorschriften, Förderabgaben und Subventionen zu Gunsten von Lenkungsagaben preiszugeben. Denn, so sagte etwa Nussbaumer: «Es braucht einen Mix von Instrumenten.»
Auch der Spatz steht auf dem Spiel
Die Stellungnahmen zeigen: Im Konfliktfall ziehen auch linke und grüne Parteien die – ordnungspolitisch verpönten – Förderabgaben und Subventionen in der Energiepolitik den grundsätzlich gelobten Lenkungsabgaben vor. Frei nach dem Motto, das bislang die bürgerliche Energiepolitik prägte: Lieber den Förder-Spatz in der Hand als die Lenkungs-Taube auf dem Dach.
Allerdings: Die Tage der Förderabgaben sind ohnehin gezählt, wenn das Volk am 21. Mai der ersten Etappe zur Energiestrategie zustimmt. Denn diese Vorlage, die alle Parteien ausser der SVP unterstützen, befristet die Förderabgabe auf der Elektrizität (Netzzuschlag), mit welcher der Bund die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) für Ökostrom finanziert. Mit ihrem Ja zur ersten Energiestrategie-Etappe und dem Nein zur KELS-Vorlage gibt die Mehrheit des Parlaments also den energiepolitischen Spatz aus der Hand, während die Lenkungs-Taube auf dem Dach bleibt.