Warum uns Griechenland bekümmern muss

Dieser Tage holt uns die Politik selbst in den Ferien ein. Etwa wenn man als Schweizer Griechenland bereist. In das übliche Lob über die so­ziale Sicherheit und den wirtschaft­lichen Erfolg der Schweiz mischen sich neuerdings auch kritische Töne.

Dieser Tage holt uns die Politik selbst in den Ferien ein. Etwa wenn man als Schweizer Griechenland bereist. In das übliche Lob über die so­ziale Sicherheit und den wirtschaft­lichen Erfolg der Schweiz mischen sich neuerdings auch kritische Töne.

Diese Erfahrung machte Redaktionskollege Urs Buess, der auf den griechischen Inseln unterwegs war. «Eure Regierung hat uns Griechen 50 Milliarden Euro gestohlen» – solche Sätze bekam der Reisende immer wie­der zu hören. Die vielen süffigen Berichte der griechischen Boulevardpresse über Landsleute, die ihr Vermögen am Fiskus vorbei auf Schweizer Banken schleusen, haben ­Wun­den in die Seelen mancher ­Griechen geschlagen, die heute nur mit Not durch die Krise kommen.

Wenige Tage vor der Parlamentswahl bietet das Land ein trost­loses Bild. Der Tourismus kommt dieses Jahr nicht in Fahrt. Viele Läden und Boutiquen sind geschlossen, Hotels und Tavernen leer. Die unsichere politische Situa­tion hat die Buchungen ein­brechen lassen.

Das macht vielen Angst. Die Sorge um die Zukunft habe sich wie lähmendes Blei über die Menschen gelegt, berichtet unser Korrespondent Jannis Papadimitriou aus Athen. Dass sich die Dinge mit den Neuwahlen vom kommenden Sonntag zum Besseren wenden, ­glauben die wenigsten. In der griechischen Metropole gehören Menschen, die im Müll nach Essbarem suchen, zum Stadtbild. Und Leute, die noch Job und Lohn haben, befürchten, bald nichts mehr zu haben, sollte sich die Krise verschärfen und Griechen­­land gar aus dem Euro-Raum ausscheiden.

Doch kann Europa Griechenland fallen lassen? In der Griechenlandfrage gehe es um mehr als um die Zukunft der gemeinsamen Währung, sondern um Europa als Friedens­projekt, schreibt Wirt­schafts­experte Gerd Löhrer. Und es geht um Iden­­tität: Europa gäbe es in seiner kulturellen Vielfalt nicht ohne seine griechischen Wurzeln. Selbst bei der Namensgebung unseres Erdteils standen die Griechen Pate. Der Sage nach entführte der mächtigste griechische Gott Zeus einst die ­Königstochter Europa in sein Reich. Eine Dame mit Migra­tionshintergrund übrigens.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.06.12

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