Die SVP ist wieder einmal für ihre Politik in die Nazi- und Faschismus-Ecke gestellt worden. Für den medialen Wirbel waren BDP-Präsident Martin Landolt und SP-Präsident Christian Levrat besorgt. Nun stellt sich nicht nur die Frage, ob solche Etikettierungen legitim sind oder nicht, sondern auch, was sie eigentlich bringen.
Vielleicht haben wir die Sache schon ad acta gelegt, doch sie wird wieder kommen: die ewige Debatte um die Frage, was man sagt, wenn man politische Kräfte im eigenen Land als «braun» oder «faschistoid» bezeichnet. Und ob so etwas überhaupt erlaubt sei.
Im Vordergrund der Debatte steht jedoch weniger die Frage, ob beim Einsatz des F-Wortes der historische Bezug angemessen ist oder nicht, sondern vielmehr die, ob das politisch etwas bringt oder nicht. Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten.
Dies hat die jüngste Etikettierung der SVP durch die BDP- und SP-Parteipräsidenten Martin Landolt und Christian Levrat wieder verdeutlicht. Denn einerseits hat die Aktion etwas gebracht, weil sie einen kleinen Wirbel (vor allem in der Sonntagspresse) verursachte. Andererseits war dieser Wirbel kontraproduktiv, weil er vor allem Empörung beziehungsweise radikale und reflexartige Zurückweisung bewirkte. Nur zu gerne schrieb und las man in der NZZ: «Falsche Vergleiche mit der Nazi-Zeit» (Artikel online leider nicht verfügbar).
Wer die Nazi-Welt bemüht, ergeht sich entweder in ordinären Beschimpfungen oder leistet sich einen Tabubruch. Und er legt anderen, die sonst nicht derart sensibel sind, das so bequeme wie scheinheilige Argument in dem Mund, dass damit nicht nur die Gegenwart unangemessen beurteilt, sondern die grauenhafte Vergangenheit verharmlost werde.
Alles nur Wahlkampf?
Wenn Martin Landolt und Christian Levrat die SVP im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen des kommenden Jahres mit dem diskreditierenden Etikett aus der Geschichte versehen, könnte dies, wie der Berner Politologe Adrian Vatter gegenüber dem Schweizer Fernsehen mit Hinweis auf Erfahrungen im Jahr 2007 erklärte, der rechtsnationalen Partei eher helfen als schaden (siehe Beitrag von «10 vor 10» vom 16. September). Dies nach dem Reflex: Wenn alle gegen die «einsame» SVP sind, dann bekommt diese Partei zusätzliche Unterstützung. Doch darum geht es nicht.
Es geht hier und jetzt um die bedeutsame Doppelfrage, ob man die «Dinge beim Namen nennen» darf und – zuvor – die Dinge tatsächlich gegeben sind. Festgehalten sei: Die Nazi-Bezüge haben keine Nazi-Gleichsetzung betrieben. BDP-Präsident Martin Landolt hat laut gefragt, «wie braun» eine Politik noch werden soll, bis alle riechen können, dass es zum Himmel stinkt. Und SP-Präsident Christian Levrat bemerkte: «Die Politik der SVP der letzten Monate hat klar faschistoide Tendenzen». Zurückhaltend war die Aussage insofern, als bloss von «Tendenz» gesprochen wurde, weniger zurückhaltend die Aussage, dass die Tendenz «klar» sei.
«Faschistoid» heisst übrigens nicht faschismusgleich, sondern faschismusähnlich beziehungsweise gewisse seiner Züge tragend. Es geht also um den Hinweis auf beschränkte Tendenzen. Skandal? Es geht darum, darauf aufmerksam zu machen, dass eine bestimmte Politik in eine bestimmte Richtung geht und dass – nach der eigenen Einschätzung – der Zeitpunkt gekommen sei, dass man, wie eine bekannte Redensart besagt, den «Anfängen wehren» soll. Das gleiche Problem haben wir, wenn die Frage aufkommt, ob und in welchem Mass die SVP rassistisch sei.
Der Hirtenjunge und der Wolf
Am ehesten faschistoid ist die Verächtlichmachung von Parlament, Gerichten und anderen Parteien, denn dies erinnert an totalitäre Gruppierungen auf dem Weg zur Machtergreifung. Doch sobald die Faschismus-Keule geschwungen wird, kommt es jeweils zum Problem, dass nicht klar ist, ob der Faschismus in seiner Anfangsphase oder in seiner Vollblüte gemeint ist. Die Skandalisierten haben Letzteren vor Augen, den totalen Krieg und die KZ-Vernichtungsmaschinerie. Die besorgten Warner dagegen eben die berühmten «Anfänge», vor denen sie – im Prinzip zu Recht – warnen.
Wer warnen und Ablehnung erzeugen will, darf das allerdings nur bei tatsächlich gegebener Gefahr tun. Wer wiederholt vor dem Wolf warnt, obwohl er nicht da ist, riskiert, just dann nicht mehr ernst genommen zu werden, wenn der Wolf tatsächlich auftaucht.
Andererseits sollte man sich überlegen, welche Art von Wolf eine Gefahr darstellt. Muss er «braun» und muss er «faschistoid» sein, damit wir ihn als Gefahr taxieren? Ist nicht schon der Kuhglocken-Nationalismus mit seiner biederen Herr-im-Haus-Mentalität Gefahr genug für das, was der Schweiz eigentlich wichtig sein sollte?
Wer urteilt, muss sich auch erklären können. Levrat hat dies mit drei Punkten getan. 1. mit dem Hinweis auf die «systematische Verleumdung unserer Institutionen», 2. mit dem Hinweis auf «die Angriffe auf das Völkerrecht» und 3. mit dem Hinweis auf die «faktische Abschaffung des Asylrechts».
Die autoritären und doch populistischen Züge, der hohe Organisationsgrad, die radikale Abgrenzung gegen das «Fremde» und gegen die Linke, die hohe Bereitschaft, eine Ideologie über praktische Menschlichkeit zu stellen, das alles sind Eigenheiten, die wir sowohl in der SVP als auch in faschistischen Bewegungen vorfinden, ohne dass deswegen die SVP gleich faschistisch ist. Man sollte eher von zeitloser und in rechter wie linker Spielart existierender Tendenz zum Totalitären sprechen.
Eine Frage des Anstands?
Von der SVP hat der erwähnte Politologe gesagt, dass sie auch darum nicht faschistisch sei, weil sie keine aggressive Expansionspolitik betreibe und kein anderes Land mit Krieg überziehe. Das liegt aber in der schweizerischen Kleinstaatlichkeit begründet und ist keine Eigenleistung dieser Partei.
Die Exponenten der abqualifizierten SVP sind verständlicherweise empört oder schweigen sich aus. Empört zeigte sich SVP-Präsident Toni Brunner, der sich nicht «auf dieses Niveau» herab lassen wollte. Er bezeichnete die Einstufungen als «unanständig». Dies mag erstaunen, weil einem von jener Seite immer wieder Unanständiges zugemutet wird. Und weil Christoph Blocher, der Übervater dieser Bewegung, am Ustertag von 2008 Unanständigkeit im Bedarfsfall sogar zur politischen Tugend erklärt hat.
Mit welcher oder unter welcher unserer Parteien würden wir ohne ernsthafte Bedrohungsgefühle leben können, wenn sie alleine an der Macht wäre?
Dürftig war die Argumentation von SVP-Fraktionspräsident Adrian Amstutz: Diese Einstufung der SVP-Politik verletze ihn ganz persönlich, weil sein Bauerngrossvater, der während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich gelebt hatte, doch wegen den Nazis seinen Hof fluchtartig verlassen und in die Schweiz zurückkehren musste. Da muss man sich fragen, ob ein solcher Vorfahre ein Gütesiegel ist, das keine kritische Beurteilung der aktuellen Politik zulässt.
In der Schweiz, in einem traditionell von einer permanenten grossen Koalition regierten Land können «faschistoide Tendenzen» schwerlich eine durchschlagende Kraft sein. Sie werden durch die anderen Kräfte im Zaun gehalten. Andererseits profitieren sie durch das gleiche System in gefährlicher Weise vom Prestige der Regierungszugehörigkeit. In Frankreich und Deutschland zum Beispiel, wäre dies fast undenkbar.
Eine vielleicht hilfreiche Überlegung zur Einschätzung von politischen Kräften zum Schluss: Mit welcher oder unter welcher unserer Parteien würden wir ohne ernsthafte Bedrohungsgefühle leben können, wenn sie alleine an der Macht wäre? Für mich wären sozusagen alle namhaften Parteien möglich – ausser der SVP. Deren «totalitären Tendenzen» würden mich ängstigen.