Selbst SVP-Politiker relativieren die eigene Initiative und wollen nicht jeden straffälligen Ausländer sofort ausschaffen. Wer wieso wie viel Ausländer ist, bleibt aber unklar. Gedanken zu einem Begriff, der unscharf und dennoch gefährlich ist.
Gemeinhin gibt es wenig Anlass, grundsätzlich darüber nachzudenken, was ein Ausländer ist – besonders wenn man selber keiner ist. Dank der SVP-Initiative, über die «wir» im kommenden Monat zu befinden haben, müssen «wir» das nun aber tun. Wir, die Staatsbürger, die wir in den allermeisten Fällen nicht durch Einbürgerung, sondern nur über das Blutsbandeprinzip (ius sanguinis) ein nach 18 Jahren in Kraft tretendes Stimmrecht in die Wiege gelegt bekommen haben. Ohne jeden Eignungstest.
Die SVP will mit ihrer Durchsetzungsinitiative für Ausländer – natürlich auch Ausländerinnen, obwohl nicht primär angepeilt – ein speziell hartes Strafrecht einführen, in dem bezüglich Zusatzbestrafung (also der Ausschaffung) keine Ermessensentscheide mehr möglich sein sollen. Diese Zweiklassenjustiz hat jüngst einen amtierenden Bundesrichter bewogen, uns sachte daran zu erinnern, dass mit den Rassengesetzen der 1930er-Jahre schon einmal in der Geschichte eine aussortierende Rechtsordnung für ein paar katastrophale Jahre in die europäische Zivilisation Einzug gehalten hat.
Das ungeheuerliche Ansinnen der SVP hat sogar aus den eigenen Reihen prominenten Widerspruch erfahren. Allen voran äusserte sich der Berner Regierungsrat Christoph Neuhaus, der als Justizdirektor mit der Problematik besonders vertraut ist: «Ich habe grösste Vorbehalte gegen diese holzschnittartige Initiative.»
Die plötzliche Secondo-«Freundlichkeit» der SVP
Auch der Thurgauer SVP-Ständerat Roland Eberle, ehemaliger Regierungsrat (unter anderem ebenfalls für die Justiz zuständig) und ehemaliger Bundesratskandidat, hat sich, wie übrigens auch sein Schaffhauser SVP-Ständeratskollege Hannes Germann, gegen die rigorose Ausschaffung ausgesprochen.
Und dann schaltete sich noch Hans-Ueli Vogt ein. Der ehemalige Zürcher SVP-Ständeratskandidat, nun aber Nationalrat, im Zivilleben Rechtsprofessor und so etwas wie SVP-Chefjurist, Vater der uns noch bevorstehenden Initiative «Landesrecht vor Völkerrecht», meint, dass die Anti-Ausländerinitiative für die in der Schweiz geborenen und aufgewachsenen Ausländer nicht gelte, da diese zur schweizerischen «Rechts- und Sozialgemeinschaft» gehören würden!
Was soll man von der plötzlichen Secondo-«Freundlichkeit» halten? Zeugt sie von einem fast humanitären und entsprechend willkommenen Verständnis? Oder ist sie bloss eine weitere politische Nebelpetarde, welche die unmenschliche Initiative annehmbarer machen soll? Annehmbarer, weil sie die nötige korrigierende Auslegung den Gerichten überbindet. Diesen Gerichten wird allerdings bei solcher Rechtsauslegung von gleicher Seite vorgeworfen, sie würden sich als «Richterstaat» über den Volkswillen hinwegsetzen.
Wenn «wir» ein dualistisches Ausländerverständnis bezüglich der Ausschaffung haben, müsste das nicht auch in anderen Bereichen gelten?
Wenn nun Secondos keine Ausländer sind, was sind nun aber Secondos? Müssen sie (wie beim ius soli anderer Länder) in einem Schweizer Spital zur Welt gekommen sein? Oder ist man das auch dann noch, wenn man mit 6, 7, 8 Jahren per Familiennachzug ins Land der Eidgenossen mitgenommen worden ist? Und wenn «wir» ein dualistisches Ausländerverständnis bezüglich der Ausschaffung haben, müsste das nicht auch in anderen Bereichen gelten? Sollte es zum Beispiel, wenn man den sogenannten «Inländervorrang» etabliert, nicht auch bei den Rekrutierungen im Berufsleben angewendet werden?
Die SVP hat bereits in der Masseneinwanderungs-Initiative eine ähnliche Relativierung vorgenommen. Allerdings nicht beim sogenannten Inländervorrang, sondern beim Zählen der Menschen. Aus aufgekommenen Bedenken gegenüber den eigenen Durchsetzungsfantasien wird die schwammige Anti-Einwanderungsaktion nun so interpretiert, dass die bereits in der Schweiz lebenden Nichtschweizer nicht mehr als Ausländer gezählt werden sollen.
Im Falle der Durchsetzungsinitiative könnte man die abfedernde Haltung an sich begrüssen – stünde sie nicht letztlich im Dienste der rigorosen Haltung, indem sie sie akzeptabler machen soll. Selbst wenn die Abfederung zur Anwendung käme – was ernsthafte Juristen als Möglichkeit ausschliessen –, bliebe für den Rest der nichtschweizerischen Menschen dieses Landes immer noch der unmenschliche Automatismus.
Eigentlich müsste man – wenn schon – fragen, wer und nicht was ein Ausländer sei. Ausländer sind Menschen und keine Sachen.
Es mag unter demokratietheoretischen Aspekten stören, dass bei Abstimmungen – zum Beispiel auch über die Gotthardröhre – nicht die gesamte feste Wohnbevölkerung mitentscheiden kann. Besonders störend ist aber, dass sich die Inländer das Recht herausnehmen, unter sich abzustimmen, ob für die Ausländer besonders drakonische Rechtsbestimmungen einzuführen seien.
Ausländer bilden überall in der nationalstaatlich organisierten Welt eine eigene Rechtskategorie. Das muss offenbar so sein. Wo kämen wir denn sonst hin… In unseren Zeiten verbinden sich mit dem Ausländerstatus vor allem drei Eigenheiten:
- Der Staat muss die Ausländer, da sie keine Landeskinder sind, nicht in jedem Fall bei sich dulden.
- Der Ausländer muss Steuern bezahlen, ohne dass er über deren Verwendung mitentscheiden kann (also «taxation without representation»).
- Er muss indirekt als Adresse für Angstprojektionen zur Verfügung stehen.
Eigentlich müsste man – wenn schon – fragen, wer und nicht was ein Ausländer sei. Ausländer sind Menschen und keine Sachen. Aber eine Sache sind sie insofern eben doch, als sie einen willkommenen Anlass geben, sich Sorgen zu machen, was so etwas wie ein schweizerischer Volkssport ist. Im jüngsten CS-Sorgenbarometer figurieren «Ausländerfragen» – was bedeutet das eigentlich? – an zweiter Stelle (43%), weit vor dem Frankenkurs (24%), der Krankenkasse (22%) und dem Umweltschutz (15%).
An die Sorgenproblematik anknüpfend, kann man einräumen, dass sich möglicherweise nicht wenige Einheimische, was offenbar besonders schlimm ist, mitunter als «Ausländer im eigenen Land» fühlen. Vielleicht auch wegen der ausländischen Ausländer, aber noch mehr, weil die stets rasantere Entwicklung über sie hinwegzuschreiten droht. Wenn man zum Beispiel die Billettautomaten nicht mehr bedienen kann. In gewisser Hinsicht sind wir alle Migranten durch die sich ebenfalls bewegenden Verhältnisse.
In zu vielen Köpfen ist der Flüchtling der ausländischste Ausländer.
So sehr es eine Tendenz gibt, den Ausländer in der Imagination mit Blick auf schwierige Bevölkerungsgruppen (die es tatsächlich gibt) pauschalisierend zu identifizieren, sind Ausländer doch nicht stets gleiche Ausländer. So geniessen einkommensstarke Expats zum Beispiel im Kanton Zug explizit «aus fiskalischen Gründen» eine privilegierte Behandlung bei der Erteilung von Niederlassungsbewilligungen.
Fremdenpolizeilich gibt es mindestens acht mit schönen Buchstaben versehene Kategorien: F, N, G, L, C, und Ca, B und Ba (a: für EU/EFTA-Varianten). Diese Kategorien sind aus dem Bestreben gebildet worden, verschiedenen Gegebenheiten gewissermassen gerecht zu werden. Wie viele Kategorisierungen decken sich diese Einteilungen manchmal in störender Weise nicht mit bestehenden Lebenswirklichkeiten. Gewisse Kategorien sind an einschneidende Bestimmungen geknüpft, im Fall von N (Menschen im Asylverfahren) nicht nur bezüglich Aufenthalt an sich, sondern auch punkto Wohnort und Arbeit.
In zu vielen Köpfen ist der Flüchtling der ausländischste Ausländer. Kommt also noch vor dem eingebürgerten Ausländer, der darum ein besonderes Ärgernis darstellt, weil er mit den schon als Inländer zur Welt gekommenen Einwohnern gleichgestellt ist. Die Flüchtlinge: In den Tagen nach den Kölner Vorkommnissen, die man auf keinen Fall verharmlosen darf, müssen wir betonen, dass daraus kein Argument gegen eine grosszügige Aufnahme von Flüchtlingen, in Deutschland und andernorts, gemacht werden darf.
Kollektiv lernen im Abstimmungskampf
In Kommentaren ist stark betont worden, dass die Berichterstattung nicht aus falscher Rücksicht auf eine fremdenfeindliche Auswertung der Vorkommnisse die «Faktenlage» verschweigen dürfe. Gemeint war damit, dass man ungeschönt sagen soll, dass sich unter den Tätern eine grössere Zahl von Asylbeanspruchenden jüngsten Datums befand. Zur «Faktenlage» gehört aber auch, dass das unakzeptable Verhalten – gemessen an der jetzt zusätzlich problematisierten Bevölkerungskategorie – im Promillebereich liegt.
Zurück zur sogenannten Durchsetzungsinitiative: Es mehren sich die Anzeichen, dass der Kelch der Schande im Falle der Durchsetzungsinitiative an der Schweiz für einmal vorbeigehen wird. Nach der Abstimmung wird es aber höchste Zeit, ernsthaft darüber nachzudenken, was von einer Regierungspartei zu halten ist, die uns solche Abstimmungen anbietet. Nachdenken sollten wir auch darüber, warum so und so viele einheimische Inländer auf das Angebot ungeachtet seiner Ungeheuerlichkeit eingestiegen sind.
Abstimmungskämpfe sind im Idealfall auch Wochen kollektiven Lernens, ob es um Energieversorgung, Verkehrsmassnahmen, Familienbesteuerung oder eben um die Haltung gegenüber nichtschweizerischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen geht.