«Was nützt der Nobelpreis, wenn wir keinen Verdienst haben?»

Fischer Stratis Valiamos rettete vielen Flüchtlingen das Leben und ist für den Friedensnobelpreis nominiert. Dennoch fürchtet er wie viele auf Lesbos um seine Existenz. Obwohl kaum noch Flüchtlinge anlanden, bleiben die Touristen weiterhin aus.

Für den Nobelpreis nominiert: Fischer Stratis Valiamos hat vielen Flüchtlingen das Leben gerettet.

(Bild: Hauke Heuer / n-ost)

Seit Anfang 2015 durchquerten mehr als eine Million Menschen auf der Flucht die Meerenge zwischen der Türkei und der Insel Lesbos. Der Fischer Stratis Valiamos rettete vielen von ihnen das Leben und ist nun für den Friedensnobelpreis nominiert. Dennoch fürchtet er wie viele auf Lesbos um seine Existenz. Obwohl kaum noch Flüchtlinge anlanden, bleiben die Touristen weiterhin aus.

«Das wird ein guter Abend», sagt Stratis Valiamos aus dem Dorf Skala Sikamineas auf Lesbos. Der 40-Jährige schaut prüfend erst in den klaren Himmel und dann auf die ruhige Wasseroberfläche, auf der die letzten Sonnenstrahlen tanzen.

Der Fischer wirkt ein wenig wie ein Cowboy, der seine Lederboots gegen Gummistiefel und seinen Zahnstocher gegen einen Strohhalm eingetauscht hat, auf dem er unablässig kaut. Erst zweimal in seinem Leben hat er Lesbos verlassen, um Verwandte in Thessaloniki zu besuchen. «Das hier ist mein Zuhause», sagt er, steuert sein kleines weisses Motorboot aus dem Hafen und grüsst einen älteren Kollegen, der tief gebeugt auf der Mole hockt und ein Netz repariert.

Der Motor dreht auf und das Boot wühlt sich schäumend in Richtung Norden, wo sich die türkische Küste in etwa sieben Kilometern Entfernung zum Greifen nah erhebt. Auf halber Strecke stellt Valiamos den Motor ab. «Vielleicht sind wir schon in Asien, aber das ist den Kalamaris egal», erklärt er und lacht schelmisch.

Beim Auswerfen der Fangleinen deutet Valiamos auf einen Punkt im Meer, etwa 30 Meter entfernt, als gäbe ob es dort einen Fixpunkt.

«Da ist im Oktober ein Boot mit rund 30 Leuten gekentert. Wir haben alle rausgeholt. Die meisten stammten aus Eritrea und konnten nicht schwimmen», erinnert sich der Grieche. Und fügt, als müsste er sich erklären, hinzu: «Im Winter bläst der Wind und die Wellen sind viel höher.»

Später zeigt er auf ein anderes Fischerboot in etwa 500 Metern Entfernung.

«Da hinten sind im letzten Sommer zwei grosse Schlauchboote voller Frauen und Kinder gesunken. Das ganze Wasser war voller Babys und Kleinkinder. Davon träume ich heute noch.»

Dann reisst eine der Fangleinen mit den Plastikködern und Valiamos gehen wieder seine eigenen Nöte durch den Kopf: «Das sind immer ein paar Euro. Das können wir uns im Moment nicht leisten», sagt er und zündet sich mit zittrigen Fingern eine Zigarette an, um gleich wieder ein demonstratives Lächeln aufzusetzen.

Der Mann, der neben einem Kollegen und einer älteren Frau aus dem Nachbardorf für den Friedensnobelpreis nominiert wurde, stellvertretend für die Bewohner der Insel – dieser Mann fürchtet um seine Existenz.

Valiamos’ Familie betreibt neben der Fischerei, die immer weniger abwirft, ein Restaurant mit 50 Plätzen gleich am Hafenbecken. Seitdem die Meldungen von Flüchtlingsbooten und Hunderten von Toten in der Ägais um die Welt gingen, bleiben die Stühle leer.

«Wir beschäftigen sonst sieben Kellner. In diesem Jahr reicht das Geld nicht einmal für uns», erklärt Valiamos und fügt nicht ohne Verbitterung hinzu: «Wenn die Touristen nicht bald wiederkommen, müssten wir das Restaurant verkaufen. Was nützt uns dann der Friedensnobelpreis?»

Ähnlich ergeht es Stelios Poulos, der im Norden von Lesbos ein Restaurant betreibt und Zimmer vermietet. Mittags um 13 Uhr sitzt er allein zwischen Dutzenden leerer Tische, raucht und schaut hinaus aufs Meer.

«Hier in Petra sind nie Flüchtlinge angekommen. Trotzdem bleiben die Gäste aus. Auf Lesbos sitzen wir alle in einem Boot», sagt der Gastronom und fordert die Touristen aus Mitteleuropa auf, wiederzukommen: «Nie war es günstiger als jetzt. Und seine Ruhe hat man in jedem Fall auch.»

Nur sieben Flugzeuge am Tag



Fischer sind in Griechenland zu Lebensrettern geworden, aber davon haben sie nicht viel – ihr Engagement wird zwar geschätzt, die Touristen bleiben aber aus und Hilfe von der EU ist nicht in Sicht.

Fischer sind in Griechenland zu Lebensrettern geworden, aber davon haben sie nicht viel – ihr Engagement wird zwar geschätzt, die Touristen bleiben aber aus und Hilfe von der EU ist nicht in Sicht. (Bild: © Yannis Behrakis / Reuters)

Rund drei Viertel der gut 85’000 Bewohner von Lesbos leben direkt oder indirekt vom Tourismus. Laut der Behörde für Fremdenverkehr könnte die Branche auf der Insel in dieser Saison 20 Millionen Euro Verluste machen.

«Im Mai wurden 90 Prozent weniger Zimmer gebucht als noch im Vorjahr. Trotz einiger Kurzentschlosser, die die günstigen Preise nutzen, kann von einer Entspannung keine Rede sein», sagt Periklis Antoniou, Präsident des Verbandes der Hoteliers der Insel. «Früher landeten hier täglich 23 Flugzeuge, heute sind es sieben.» Antoniou fordert Unterstützung von der EU und vom griechischen Staat: «Wir haben monatelang geholfen. Jetzt brauchen wir Hilfe.»

Doch die kommt nicht. Stattdessen steigt der Druck.

Um Finanzhilfen von der EU zu erhalten, wurde bereits im Juli vergangenen Jahres die Mehrwertsteuer für die meisten Produkte und Dienstleistungen von 13 auf 23 Prozent angehoben. Im Juli erfolgte bei Lebensmitteln und Getränken eine weitere Erhöhung auf 24 Prozent, was das Gastgewerbe besonders trifft. Zusätzlich soll ab 2018 in ganz Griechenland je nach Kategorie der Unterkunft eine zusätzliche Gebühr zwischen zwei und vier Euro pro Übernachtung fällig werden.

Ferien auf der Flüchtlingsinsel? Kein Problem, meinen griechische Tourismus-Experten.

Dem Fischer Valiamos bleibt da nur eine Möglichkeit: «Ich fahre so oft wie möglich raus und hoffe auf den grossen Fang», sagt er, breitet lachend die Arme aus und misst in der Luft einen grossen Thunfisch.

Am Ende der Tour befinden sich gerade mal zwei Kalamaris, rund zehn Euro wert, in seinem weissen Plastikeimer. Valiamos lag falsch mit seiner Intuition, Enttäuschung steht ihm im Gesicht: «Das war gar kein guter Abend.»

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