Was Türken in Basel von Erdogan halten

Erdogan bewegt die Gemüter – auch in der türkischen Community in Basel. Viele sehen die Entwicklung kritisch – und manche haben resigniert.

Sie möchten Erdogan vor Gericht bringen: Seit rund zwei Monaten sammeln Türkinnen und Türken der «Partei der sozialistischen Wiedergründung» (SYKP) unter anderem in Basel Unterschriften.

(Bild: Michel Schultheiss)

Erdogan bewegt die Gemüter – auch in der türkischen Community in Basel. Viele sehen die Entwicklung kritisch – und manche haben resigniert.

Beim Coiffeur Ali an der Klybeckstrasse ist der Andrang an diesem warmen Frühlingsnachmittag gross. Auf dem Tisch vor den Warteplätzen liegt neben den Hochglanz-Heftli die Zeitung «Hürriyet». Auf der Frontseite prangt der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, der kürzlich seinen Rücktritt verkündet hat. 

Politik ist ein heisses Eisen – die Angestellten des Coiffeursalons möchten dazu keine Stellung beziehen. Manche Kunden äussern beim Warten aber gern ihre Meinung zur Politik unter Recep Tayyip Erdogans Partei AKP. «Das kommt mir wie ein Kasperlitheater vor», sagt Ege Kuru, während er in der «Hürriyet» blättert. Überraschend kam der Rücktritt des Ministerpräsidenten aber nicht: «Davutoglu war eine Marionette Erdogans – die wenigsten nehmen ihn wirklich ernst», findet der junge schweizerisch-türkische Doppelbürger. Die Nachrichten aus Ankara bestätigen seine Ansicht, dass sich das Land in Richtung Präsidialsystem bewegt.

Gleich neben ihm auf den Warteplätzen hat auch Erkan nur ein müdes Lächeln für die Nachrichten übrig: «Der hat eh nichts zu melden gehabt», meint der Deutsche mit türkischen Wurzeln über Davutoglu. Für die Meinungs- und Pressefreiheit sieht er schwarz, solange Erdogan an der Macht ist: «Keiner traut sich mehr, etwas zu sagen.» Der 28-jährige Tuncay Burunlu – ein Kurde – äussert sich im Coiffeursalon ebenfalls pessimistisch: «Der Nachfolger Davutoglus wird sicher einer von Erdogans Leuten – ändern wird sich also nicht viel.»

«Erdogan wird euch fertigmachen»

Deutliche Worte sind auch bei der Schifflände zu hören. Gleich neben der Amazonenskulptur sammeln Aktivisten der «Partei der sozialistischen Wiedergründung» (SYKP) Unterschriften. Neben ihrem Stand sind bunte Erdogan-Karikaturen am Boden ausgebreitet. Die Forderung der Parteimitglieder, die in mehreren Ländern sammeln: Erdogan vor den Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen zu bringen. «Er muss aufgrund seiner kriegsverbrecherischen Kooperation mit dem IS und der Missachtung der Menschenrechte verurteilt werden», ist auf ihrem Flyer zu lesen. «Seit März haben wir 30’000 Unterschriften gesammelt», sagt eine SYKP-Aktivistin namens Eylem. 

Einige Leute bleiben interessiert stehen. Manche Reaktionen zeigen, wie sehr der Präsident die türkische Community spaltet. So eilt etwa ein Mann mit einer Glace in der Hand vorbei: «Erdogan ist super – er wird euch alle fertigmachen», höhnt er im Vorbeirauschen an die Adresse der Unterschriftensammler.



Mehmed B.: «Er beherrscht alle Tricks der Politik – seine Strategie bestehe darin, sich stets als Opfer darzustellen». Auch die Erdogan-Karikaturen, die beim SYKP-Stand ausgebreitet werden, sprechen Bände.

Mehmed B.: «Er beherrscht alle Tricks der Politik – seine Strategie besteht darin, sich stets als Opfer darzustellen.» Auch die Erdogan-Karikaturen, die beim SYKP-Stand ausgebreitet werden, sprechen Bände. (Bild: Michel Schultheiss)

Ob das Gerichtsurteil gegen die Journalisten Can Dündar und Erdem Gül oder die heftigen Kämpfe im kurdischen Osten des Landes: Erdogans Machtpolitik verschwindet nicht aus den Schlagzeilen. Manche der hier lebenden Türken vertreten ihre Ansichten dazu pointiert, andere wollen sich partout nicht politisch äussern – sei es aus Enttäuschung oder aus Angst um Verwandte in der Türkei. Der Betreiber eines Imbissrestaurants schlägt auf das Thema angesprochen die Hände vor dem Gesicht zusammen: «Dieses Land ist nichts mehr für mich.»

«Er will wie ein Gott angesehen werden – das wirkt langsam schon fast so wie in Nordkorea.»

Ayse, Basler Türkin

Gespalten ist hingegen Ayse*. Sie ist in Basel als Tochter eines türkischen Gastarbeiters geboren und aufgewachsen: «Es ist nicht alles schlecht, was Erdogan macht.» In ihren Augen sind in der Türkei viele Leute – auch manche Kurden und Nichtreligiöse – zufrieden mit Erdogans Bauprojekten, etwa neue Schulen, Spitäler und Strassen. «Er macht, was frühere Präsidenten versäumt haben», findet Ayse. «In der Türkei höre ich jeweils viel Positives, hier aber ausschliesslich Negatives.»

Doch auch sie kritisiert den Präsidenten: «Erdogan will in Richtung osmanische Zeit – sein Vorbild ist Sultan Süleyman I., der ganze 46 Jahre lang regierte.» Zudem kritisiert sie, dass er Gehirnwäsche betreibe, das Land islamisieren wolle und die Meinungsfreiheit mit Füssen trete. «Er will wie ein Gott angesehen werden – das wirkt langsam schon fast so wie in Nordkorea», sagt Ayse.

Die Basler Türkin hat hier viele kurdische Freunde. Denen gerät es leicht in den falschen Hals, wenn sie trotz ihrer Ablehnung Erdogans auch Positives erwähnt. Die Stimmung habe sich in letzter Zeit merklich aufgeheizt: «Früher hätte mich niemand gefragt, ob ich Türkin oder Kurdin bin.» Aufgefallen sind ihr die zunehmenden Spannungen schon während der Fussball-EM 2008, als Autos mit türkischen Flaggen beschädigt wurden. «Ich finde es traurig, dass wir hier nicht auskommen können, obschon wir vom gleichen Land kommen», sagt Ayse.

Kurden-Hochburg Basel

In einer ganz anderen Situation befindet sich der 44-jährige Isa*. Er ist in Basel aufgewachsen und hat Sprachwissenschaften studiert. Heute hält er sich nur sporadisch in der Schweiz auf, denn er hat sich mit einem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb im Land seiner Eltern niedergelassen. «Ich habe das Gefühl, dass die Türken und Kurden in Basel sich fast noch mehr für die Politik interessieren als daheim», findet er. Er selbst mag das Thema nicht mehr hören. Dank seinem Rückzug in die Natur müsse er diese Debatten zum Glück nicht mehr über sich ergehen lassen. «Dieses Kontrollsystem und der Machtzuwachs machen aber schon Angst», räumt Isa ein.

Auch Mehmed B.*, Lehrer und alewitischer Türke aus Basel, ist die stete Medienpräsenz Erdogans nicht geheuer: «Er beherrscht alle Tricks der Politik – seine Strategie besteht darin, sich stets als Opfer darzustellen», sagt Mehmed. In seinem Umfeld kennt er jedoch kaum Leute, die den Präsidenten unterstützen. «Basel ist eben eine Kurden- und Alewitenhochburg», erklärt er sich diese Situation.

Sorge um Freunde in der Türkei

Und doch gibt es sie auch hier, die Anhänger Erdogans. Der in Basel lebende türkische Soziologe C.J.* vermutet sie im Umfeld gewisser Moscheen. In der kurdisch geprägten Community in Basel seien AKP-Anhänger aber zurückhaltend. Der Wissenschaftler betont, dass die ideologischen Konzepte bei manchen Immigranten je nach Interessenlage ändern können: Er kenne Leute, die in Deutschland die Sozialdemokraten wählen, in der Türkei jedoch die rechtsextremen Grauen Wölfe unterstützen (ein sehenswertes Webspecial zu dieser Organisation finden Sie beim ZDF). 

Auf die derzeitige Situation in seinem Herkunftsland angesprochen, reagiert der Soziologe nachdenklich: «Irgendwann bist du müde davon», sagt C.J., der aus der osttürkischen Region Dersim stammt und zur Bevölkerungsgruppe der Zaza gehört. Er selbst ist froh, dieser Politik nicht mehr ausgeliefert zu sein, macht sich aber Sorgen um seine Freunde in der Türkei. Besonders die Hexenjagd gegen Andersdenkende sowie die Diskriminierung von Kurden, Christen, Feministinnen, Linken und Homosexuellen beunruhige ihn sehr. Dabei sieht er aber auch in der europäischen Politik eine Mitverantwortung: «Erdogan nutzt den Flüchtlingsschlüssel für seine Interessen aus», sagt C.J.

In eine ähnliche Richtung argumentiert auch der 31-jährige Ali, der als türkisch-schweizerischer Doppelbürger gerne seine Stimme in beiden Ländern abgibt. Zwar ist er ein entschiedener Gegner der AKP-Politik. Gleichzeitig sieht er die Kritik an Erdogan von europäischer Warte aus mit gemischten Gefühlen – letzten Endes stütze die EU zum Beispiel mit ihrem Flüchtlingsdeal die türkische Regierung. «Hier sollte man erst einmal vor der eigenen Türe kehren», findet Ali.

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*Name geändert

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