Der Satiriker Jan Böhmermann muss vor Gericht. Danach will Deutschland den betreffenden Straftatbestand streichen. Das sollte auch die Schweiz tun, denn auch hierzulande führt ein ähnlicher Gesetzesartikel immer mal wieder zu Klagen.
Fast unisono regt man sich darüber auf, dass die Kanzlerin Merkel eine Rechtsabklärung im Fall Böhmermann zugelassen hat. Man sieht darin einen Kniefall vor dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan. Gemäss Umfragen halten 66 Prozent den Entscheid für falsch.
Warum, wird nicht gesagt. Soll die Meinungsäusserungsfreiheit oder gar die Kunst geschützt werden? Ist deutscher Nationalstolz im Spiel, wie AfD-Verlautbarungen vermuten lassen? Oder ist man schlicht gegen das egomane Ansinnen eines Autokraten? Ist auch eine Prise Antiislamismus dabei? Es ist doch gesagt worden, dass sich das türkische Staatsoberhaupt nicht in irgendein, sondern in ein «islamisches Fäustchen» lacht. Arme Angela, schon wieder steht sie ziemlich einsam da.
Die Interpretation, dass Merkel der Klage stattgegeben hat, um ihren Flüchtlingsdeal mit der Türkei nicht zu gefährden, ist derart naheliegend, dass man einen einfachen Punkt übersieht: Nach geltendem Recht haben Staatschefs eine Klagemöglichkeit. Diese zuzulassen bedeutet noch nicht, dass man eine Verurteilung anstrebt und sich – sogar die Gewaltenteilung verletzend – als Exekutivgewalt in die Domäne der Justizgewalt einmischt.
Präjudizierend ist diese Ermächtigung allerdings schon. Wenn man diese Klage zulässt, wird man ähnliche Klagen ebenfalls zulassen müssen. Die Klage könnte schwerwiegende Konsequenzen für den Satiriker haben – bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug. So weit wird es hoffentlich nicht kommen. Zudem dürfte ein langes Verfahren bis hin zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe bevorstehen.
Und fragen kann man sich auch, warum solche Beleidigungen dann auch wirken. Gibt es nicht Vorwürfe, die inhaltlich schlicht nicht beleidigend sein können? Und müsste der ehrabschneidende Absender nicht einen Status haben, der ihn beleidigungsfähig macht.
Als Erdogan wäre ich nicht beleidigt, wenn ein Berufsentertainer über die Schnur haut, sondern wenn Merkel mir vorwerfen würde, die Menschenrechte nicht zu respektieren. Dann müsste es zu einem Duell kommen, und man müsste sich über Waffen und Ort einigen: Degen oder Pistole, in einer Waldlichtung oder auf einem Friedhof etwa.
Haben wir keine anderen Sorgen?
Erdogan hätte sich auch beleidigt fühlen können, wenn man ihm nachsagte, dass er heimlich mit dem IS kooperierte und dabei Geld verdiente. Oder wenn der Kabarettist Dieter Hallervorden aus Solidarität in einem im Internet verbreiteten Lied Erdogan als Terroristen bezeichnete, was in die Nähe der Realität kommt.
Aber es ging gar nicht um konkrete Vorwürfe. Erdogans Klage verwahrt sich gegen eine mit irrealen Vorwürfen zum Ausdruck gebrachte Beleidigungsabsicht, die nur indirekt, das heisst «als Beispiel getarnt», im ZDF zum Ausdruck gebracht wurde. Spätestens jetzt muss man sich fragen, ob diese Welt keine anderen Sorgen hat.
Abschliessend kann man sich zudem fragen, ob es heute überhaupt noch Majestätsbeleidigungen geben kann, wenn es doch – ausser der 90-jährigen Queen – kaum noch Majestäten gibt? Heute ist fast nur noch die Natur majestätisch: der Storch schreitet, der Berg erhebt sich, der Strom fliesst majestätisch. Und sie kann man nicht beleidigen.