Was von der Euro übrig ist

Vor fünf Jahren, am 28. Juni 2008, ist die Fussball-Europameisterschaft mit dem Final in Wien zu Ende gegangen. Geblieben ist von diesem Anlass der megalomanen Art in Österreich und der Schweiz nur wenig.

Trix und Flix

Vor fünf Jahren, am 28. Juni 2008, ist die Fussball-Europameisterschaft mit dem Final in Wien zu Ende gegangen. Geblieben ist von diesem Anlass der megalomanen Art in Österreich und der Schweiz nur wenig.

Das kann jetzt aber bitte nicht wahr sein. Basses Erstaunen trifft blankes Entsetzen. Wer hätte jemals gedacht, dass er irgendwann tatsächlich noch einmal Trix und Flix treffen würde, diese Missgeburten von Maskottchen der Fussball-Europameisterschaft 2008, die jeder Österreicher und jede Schweizerin schon aus seinem Gedächtnis gestrichen hat?

Aber nun stehen die beiden da, leibhaftig, unansehnlich und unnötig wie eh und je. Sie sind aufgetaucht im Schwimmbad Hall bei Innsbruck, in Gestalt eines Buben, der keine sechs Jahre alt ist und vermutlich gar keine Ahnung hat, wem er da auf seinem T-Shirt die letzte Ehre erweist.

Fünf Jahre erst sind seit der EM vergangen, die sich Österreich und die Schweiz 2008 brüderlich geteilt hatten. Doch die Erinnerungen und Andenken an das grösste Sport-Event, das je auf österreichischem Boden stattgefunden hat, verblassen zusehends. Man muss schon Glück haben oder einen Abstecher in ein Schwimmbad machen, um fünf Jahre danach noch Spuren der Euro zu finden.

Während die Deutschen heute noch vom Sommermärchen 2006 schwärmen und in der Heim-WM die Initialzündung für den jüngsten Imagewandel von Land und Leuten sehen, hat in Österreich die EM längst die Verjährungsfrist erreicht. Was sich auch in der nüchternen, pragmatischen Analyse von Alfred Ludwig widerspiegelt. «Es war ein friedliches, schönes und ohne Probleme organisiertes Fussballfest», bilanzierte der Generalsekretär des Österreichischen Fussballbundes (ÖFB) fünf Jahre nach dem Grossereignis lapidar.

Verschleudern von Steuergeld

Viele Österreicher verbinden mit dem friedlichen, schönen und ohne Probleme organisierten Fussballfest heute ganz etwas anderes. Nämlich: eine fussballerische Bankrotterklärung der Gastgeber, geringere Erlöse für Wirtschaft und Tourismus als erwartet sowie das Verschleudern von Millionen österreichischer Steuergelder.

Nicht zuletzt die Groteske rund um das Wörthersee-Stadion von Klagenfurt, in der Theorie die schönste Fussballarena der Republik, sorgt für Ärger. Das Stadion war eigens für das EM-Turnier errichtet worden, aber seither rollten im teuren Kärntner Neubau mehr Bagger als Bälle. Ein Problem jagte das nächste, im November soll das Stadion nun endlich fertig sein, am Ende wird es knapp 100 Millionen Euro gekostet haben.

Das Luftschloss vom Wörthersee

Doch die nächste Baustelle wartet schon: Wie kommt bloss Leben in diese moderne Bude mit ihren 32’000 Sitzplätzen, die schon von manchen als Luftschloss vom Wörthersee bezeichnet wird? Für das beste Team von Klagenfurt hätte es etwas weniger protzig auch getan. Die Austria spielt in der Regionalliga Mitte (3.-höchste Liga) im Schnitt vor 524 Besuchern.

Damit das Stadion nicht völlig verwaist, lässt der ÖFB in den nächsten Jahren seinen Cup-Final in Klagenfurt austragen.
Weiter westlich in Innsbruck, einem weiteren Austragungsort der Euro, hatte man sich gar nicht auf solche Diskussionen eingelassen. Das Stadion wurde nach dem Turnier wieder von 30’000 auf 16’000 Plätze zurückgebaut, Teile der Stahltribünen, die für die EM errichtet wurden, landeten gar auf dem Schrottplatz.

Zurück bleiben Trümmer

Ein Bild mit Symbolcharakter. Denn das Turnier hinterliess mancherorts in Österreich einen Trümmerhaufen. Viele Hoteliers und Gastwirte beklagten das Ausbleiben der ausländischen Anhänger, in etlichen Fanzonen herrschte ein Ausnahmezustand der anderen Art – Jubel, Trubel und Massenansturm waren die Ausnahme.

Und in Innsbruck beendete gar der angehende Bürgermeister vorzeitig seine politische Laufbahn, nachdem die Fanzonen der Stadt während des Turniers ein Minus von einer Million Euro fabriziert hatten.

Das oft nasskalte Wetter im Juni 2008 sei schuld gewesen an der fehlenden Euphorie, behaupten die einen. Das schlechte Abschneiden der heimischen Fussballer habe eine Aufbruchstimmung wie 2006 in Deutschland im Keim erstickt, meinen die anderen. Tatsache ist: Das beschworene österreichische Sommermärchen von Ruhm, Gewinn und Erfolg in allen Belangen entpuppte sich als Mär.

In «Raus ohne Applaus», der EM-Rubrik der deutschen Zeitung «Welt», war Österreich 2012 gar auf Platz eins der schlechtesten Gastgeber gereiht worden. «Ein Tor, ein Punkt, eine Enttäuschung. Das Spiel unserer Nachbarn war 2008 eine Melange aus Hilflosigkeit und Harmlosigkeit. Ungeniessbar.»

Färöer-Pepi gibt sich gelassen

Josef Hickersberger kann sich über solche Häme nicht mehr ärgern. Wer sich als Teamchef schon einmal auf den Färöer-Inseln blamiert hat (1990 verlor Österreich 0:1) und seither in aller Welt als Färöer-Pepi bekannt ist, den kann auch die Kritik über die ach so desolate Performance an der Heim-EM – die Österreicher schieden mit nur einem Punkt in der Vorrunde aus – nicht erschüttern.

«Wenn man sich mit einem österreichischen Team für ein Viertelfinale qualifizieren will, dann muss alles passen und man darf sich nicht die kleinste Schwäche erlauben», erklärt Hickersberger, damals Teamchef am Heimturnier. «Die EM ist für einige Spieler eindeutig um einige Jahre zu früh gekommen.»

Die Leistungsträger von heute wie Christian Fuchs (Schalke 04), Martin Harnik (Stuttgart) oder Zlatko Junuzovic (Bremen) standen 2008 erst am Beginn ihrer Karriere. Und Bayern-Jungstar David Alaba war zum Anpfiff der EM überhaupt erst 15.

Eine Spur in den Untergrund

Wollen sie einmal an einer Euro spielen, werden sie sich auf sportlichem Weg qualifizieren müssen, das Heim-Turnier wird ein einmaliges Ereignis bleiben. Auch bei der auf ganz Europa aufgeteilten EM 2020 scheint Österreich im Abseits zu stehen. Das Wiener Ernst-Happel-Stadion, in dem 2008 der Final zwischen Spanien und Deutschland stattfand, entspricht nicht mehr den neuesten Standards.

Die grösste Errungenschaft der Euro 2008 ist so auf den ersten Blick gar nicht zu sehen, die Spur führt in den Untergrund. Seit fünf Jahren sind das Happel-Stadion und damit der Prater, das Wiener Naherholungsgebiet, an die U-Bahn angebunden. Dafür haben selbst die grössten Fussballkritiker der Stadt die Euro samt Nebengeräuschen gern in Kauf genommen. Und Trix und Flix sowieso.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.06.13

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