Ein norwegischer Film versucht, die Flüchtlingsdebatte mit etwas Humor aufzulockern. Wie kommt das bei denen an, die täglich zwischen Flucht und Ankunft leben müssen? Notizen eines Kinobesuchs mit einem, der es wissen muss.
Es ist bereits spät, als bei Rahmat Qorbani das Handy klingelt. Unbekannte Nummer, Rahmat nimmt trotzdem ab. Ich stelle mich vor, frage, ob er Lust hat, mit mir ins Kino zu kommen: «Welcome to Norway».
«Es geht um die Integration von Flüchtlingen», sage ich, «der Trailer sieht ganz lustig aus. Mich nimmt wunder, was Sie davon halten.»
«Klar komme ich mit», sagt Rahmat.
Willkommenskultur allenthalben. Zwinkerzwinker
Die sogenannte Flüchtlingskrise kommt ins Kino, oder vielmehr ein neuer Aspekt davon. Nachdem mit Streifen wie «Fuocoammare» oder «Las Lágrimas de África» Stationen der Flucht thematisiert wurden, geht es aktuell ums Ankommen.
Und es fällt auf, dass in der filmischen Verarbeitung dieser Etappe plötzlich Humor im Spiel ist. «Willkommen bei den Hartmanns» hiess die deutsche Adaption des Themas, ihr folgt jetzt eine norwegische Produktion: «Welcome to Norway».
Nur: Will ich mir die Flüchtlingsdebatte überhaupt als lustiges Kabinettstückchen anrichten lassen? Und wie schmeckt dieser Serviervorschlag jenen, die jeden Tag in der Schwebe zwischen Flucht und Ankunft leben müssen? Das möchte ich Rahmat fragen.
Der 24-jährige Journalist hat eine Flucht aus Afghanistan hinter sich, nach einem Jahr in einem Asylzentrum wohnt er jetzt in einer WG. Ich kenne ihn nicht persönlich, habe aber an einem Fest einige seiner journalistischen Arbeiten gesehen. Als ich beim Kino ankomme, steht Rahmat schon da und hält sich mit einer Tasse Tee die Kälte vom Leib. «In diesem Kino war ich schon, hier habe ich ‹Raving Iran› gesehen», sagt er zur Begrüssung. Wir gehen hinein, der Film beginnt.
Die Handlung
Hauptfigur Primus (Anders Baasmo Christiansen) hat wenig Glück. Sein Berghotel in der norwegischen Provinz vermodert, die Touristen bleiben weg. Hoffnung bringen die neuen Menschen, die ins Land kommen, Primus nennt sie der Einfachheit halber «Neger». Dabei ist er kein Rassist, er findet ja auch die Schweden irgendwie doof.
Als Primus erfährt, dass der Staat die Aufnahme von Neuankömmlingen bar vergütet, wittert er seine Chance. In seinem Hotel hat es Platz für 50 Flüchtlinge, das lecke Dach und die offenen Leitungen können sie ja gleich selber flicken: eine «Win-win-Situation», die Floskel fällt nicht zum letzten Mal.
Mit einem klapprigen Bus gehts vom Bahnhof zum Hotel. Es kommt zur Schlüsselszene: Die Zimmer werden verteilt (im Trailer ab 0:18).
Primus‘ moralischer Kompass zeigt vor allem gen Norden, also dahin, von wo der eisige Wind weht. Aber der Mann taut allmählich auf, nicht zuletzt dank dem sympathischen Abedi (Olivier Mukuta), der ihm den Unterschied zwischen Schiiten und Sunniten erklärt und auch die tolle Idee hat, die Buddhisten als «Pufferzone» zwischen Hindus und Sunniten einzuquartieren.
Geflohene als Statisten
Ausser der jungen Frau Mona (Elisar Sayegh) und dem sarkastischen Zoran (Slimane Dazi) bleiben alle anderen stumme Schattenfiguren. Was auch dann unbefriedigend ist, wenn man weiss, dass der Cast grösstenteils aus wirklich Geflohenen besteht.
Regisseur Rune Denstad Langlo beschreibt die Dreharbeiten in einem Interview so:
«Schwierig war die Situation vor allem für mich als Regisseur sowie für den Hauptdarsteller Anders Baasmo Christiansen, der am Anfang des Filmes ja den Schweinekerl spielen muss, der als Hotelbesitzer die Flüchtlinge ohne jedes Mitgefühl anschreit und herumdirigiert. Wir waren beide sehr betroffen, als wir die erschrockenen Gesichter der Flüchtlinge sahen. […] Es war deshalb sehr wichtig, die Männer und Frauen nach dieser Szene zu umarmen, um ihnen verständlich zu machen, dass wir im realen Leben anders sind und dass sich auch der Hotelbesitzer im Laufe des Filmes charakterlich ändern würde.»
Im Hotel steht bald die Migrationsbehörde auf dem Plan und stellt Primus ein Ultimatum, er muss die Bude bewohnbar machen. Geld gibt es bis dahin keines. Die Gemeindearbeiterin Line (Renate Reinsve) hätte welches, aber sie will nur zu ganz besonderen Konditionen damit rausrücken. Klar, dass da Primus‘ Eheleben drunter leidet. Er wird zu Hause rausgeworfen und damit zum Flüchtling in seinem eigenen Heim.
Der Gelegenheitsrassist Primus – plötzlich mittendrin statt Übermensch. Was das wohl aus ihm macht?
Rahmat lacht
Rahmat hat während dem Film ein paar Mal lachen müssen, auch wenn er, wie er nach der Vorstellung zugibt, wegen der rasenden deutschen Untertitel nicht alles verstanden hat. «Kommen Sie mit», sagt er und lotst mich direkt zum Projekt Da-Sein unterhalb der Elisabethenkirche. Ich trinke einen Kaffee, er schöpft sich Reis und Artischocken.
Rahmat pult Blatt um Blatt von der Blüte und resümiert:
«Der Film hat mir gefallen, vor allem die Szene am Anfang mit der Zimmerverteilung, so läuft das wirklich. In Muttenz wohnte ich mit Syrern, Eritreern und Afghanen zusammen. Das ist nicht immer leicht. Mir schmeckte das Essen der Eritreer nicht so gut (lacht), und mit den anderen Afghanen gab es Zoff wegen der Religion. Sie sind Muslime, ich glaube an keinen Gott. Wenn ich irgendetwas über Religion sagen möchte, ärgern sie sich.»
Die TagesWoche hat das Integrationsprojekt in seiner Anfangsphase porträtiert: «Mittwochs geht die ganze Welt im Pfarrhaus ein und aus». Mittlerweile stehen die Türen Dienstags bis Donnerstags offen.
Primus‘ Totschlagargument für solche Fälle lautet: «Wenns dir nicht passt, dann geh doch zurück nach Afrika.» Er wurde noch nie offen rassistisch behandelt, sagt Rahmat dazu, aber dieses unterschwellige Misstrauen ist ihm nicht fremd.
Auch er musste schon Situationen erleben, in denen er sich wegen seiner Herkunft mit Vorurteilen konfrontiert sah. «Aber», sagt er, «mit Menschen wie diesem Primus hatte ich zum Glück noch nie zu tun.»
Asylbetreuer und Helfer begegnen Rahmat auf Augenhöhe, dass es trotzdem manchmal zu Missverständnissen kommt, kann passieren, sagt der 24-Jährige. Er habe aber gelernt, sich zu wehren.
Puristen mögen die Nase rümpfen
Zu seinem Glück sei er nicht in einem abgeschiedenen Hotel gelandet, sagt Rahmat, sondern wohne nahe an Basel, wo er am offenen Hörsaal teilnehmen kann und es Möglichkeiten gibt, Deutsch zu lernen.
Als Rahmat endet, liegen die Artischockenblätter fein säuberlich vor ihm aufgeschichtet. Zeit, dem anfangs bezweifelten Film-Rezept die Noten auszuhändigen.
«Welcome to Norway» geht runter wie ein leicht überkochtes Potpourri. Die Zutaten stammen aus dem Kochbuch für währschafte Integrationsdebatten, und mit etwas Humor abgelöscht lässt sich das Ganze gar nicht so schlecht geniessen. Linke Puristen mögen ob diesem Rezept die Nase rümpfen, Rahmat tut es nicht.
Artikelgeschichte
In einer früheren Version des Artikels wurde ein Erlebnis zitiert, nach dem Rahmat Qorbani nach seiner Ankunft in der Schweiz unrecht behandelt wurde. Qorbani fühlte sich mit der Paraphrase missverstanden, in den meisten Fällen begegneten ihm die Sachbearbeiter und Helfer mit Respekt. Die entsprechende Textstelle wurde nachträglich angepasst.