«Wenn es in Basel nicht funktioniert, wo sonst?»

Politgeograf Michael Hermann findet es absurd, dass die beiden Basel getrennt sind. Für ihn ist die Abstimmung über die Fusionsprüfung wegweisend für die Schweiz.

«Die Fusion wird als politisches Elite-Projekt wahrgenommen.» (Bild: Keystone / Martin Ruetschi)

Politgeograf Michael Hermann findet es absurd, dass die beiden Basel getrennt sind. Er vergleicht die Diskussion mit der Angst vor der EU und meint, die Abstimmung über die Fusionsprüfung könnte wegweisend sein für die Schweiz.

Herr Hermann, was bringt einige Menschen dazu, plötzlich Baselbieter-Sticker auf ihr Auto zu kleben und Hymnen auf ihren Kanton anzustimmen?

In erster Linie ist das auf die politische Kampagne zur Fusionsinitiative zurückzuführen. Es werden Emotionen aktiviert, die mit der eigenen Identität in Verbindung stehen.

Die Politiker sind also daran schuld, dass diese Emotionen in die Debatte kommen.

Die Emotionen waren auch vorher latent vorhanden, nur haben sie im Alltag der Leute kaum eine Rolle gespielt. Wenn man vor der Kampagne gefragt hätte, was die Leute mit Baselland oder Basel-Stadt verbindet, wäre ein ganz anderes Resultat herausgekommen. Zumindest im unteren Baselbiet hätten die meisten Leute wahrscheinlich geantwortet, dass die beiden Basel eigentlich zusammengehören.

Selbst auf Gemeindeebene gibt es Widerstand gegen Fusionen. Ist das kleinteilige Denken eine schweizerische Eigenheit?

Es gibt auch andere kleinteilige Nationen, aber das Ausmass ist in der Schweiz einzigartig. Dazu kommt, dass es hier einen ausgeprägten «Bottom-up-Föderalismus» gibt, ein politisches System «von unten». In der Schweiz erleben wir grosse Konflikte, wenn grössere Einheiten entstehen sollen. Allerdings nur, wenn es die mit Geranien geschmückte Fassade betrifft – im Maschinenraum der Politik werden Kompetenzen an obere Instanzen oder Verbünde abgegeben, ohne dass es viel Opposition gibt. Speziell ist zudem der «Steuer-Föderalismus», der dazu führt, dass steuergünstige Einheiten ihre Vorteile nicht verlieren wollen. So hat Lugano beispielsweise einige Gemeinden in sich vereint – allerdings nur die Arbeitergemeinden, die reicheren Gemeinden haben nicht mitgemacht.

«Die Fusion wird als politisches Elite-Projekt wahrgenommen.»

Ist das aus Ihrer Sicht auch bei der Abstimmung in Baselland und Basel-Stadt ein Argument? Die Stadt will nicht, weil das Land wirtschaftlich weniger stark ist, oder umgekehrt?

In Lugano, Luzern und bei den Gemeinden Rapperswil-Jona stand dieses Argument im Vordergrund. Die Situation in Basel ist ausgeglichener und deshalb steht es weniger im Zentrum.

SVP-Parteipräsident Toni Brunner hat sich unlängst in die kantonale Abstimmung eingemischt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Die Debatte um beide Basel ist wie die EU-Schweiz-Diskussion in Kleinformat: Kleinheit gegen Grösse, Eigenständigkeit versus Identitätsverlust, Souveränität versus Einfluss aufs Ganze. Das Baselbiet spielt die Rolle der kleinen Schweiz gegen die grosse EU. Dazu kommt: Die Fusion wird als politisches Eliteprojekt wahrgenommen. Das sind alles Themen, die die SVP schweizweit bewirtschaftet, ergo unterstützt Toni Brunner die Kantonstrennung, weil er politisches Potenzial daraus schlagen kann. «Wir und das Volk gegen die politische Klasse», das ist der Slogan, der auch überregional zieht.

Warum bleiben die anderen Parteipräsidenten stumm?

Für sie ist die Abstimmung kein Popularitätsbonus. Wenn es eine Bewegung in der Bevölkerung für eine Fusion gäbe, wäre es vielleicht anders.

Wo bleibt die bürgernahe Bewegung für die Fusion?

Gerade bei institutionellen Fragen ist die Bevölkerung im Durchschnitt konservativer als die politischen Eliten. Vieles dreht sich um die Identitätsfrage, Fragen der Zusammenarbeit zwischen Kernstadt und Umland vermögen die breite Masse nicht zu bewegen.

In Zürich ist die Situation umgekehrt: SVP-Politiker wollen keine Auftrennung von Stadt und Restkanton, die städtische SP liebäugelt mit einer solchen Trennung. Was ist der Unterschied zwischen der Situation in Basel und in Zürich?

Das zeigt doch die Absurdität. Wären die beiden Basel heute zusammen, käme es keinem bürgerlichen Politiker in den Sinn, eine Auftrennung zu fordern. Jeder SVP-Politiker aus dem Zürcher Umland weiss, dass er im gemeinsamen Kanton mehr Einfluss auf die Stadt nehmen kann. In Baselland könnten die Politiker auch so denken. In einem gemeinsamen Kantonsrat gäbe es meiner Einschätzung nach eine klare bürgerliche Mehrheit, die rot-grüne Stadt würde durch die Fusion sehr wahrscheinlich ausgehebelt.

«Die Abstimmung in Basel ist ein wegweisender Entscheid für Gebietsreform-Debatten in der ganzen Schweiz.»

Warum kämpfen dann die Bürgerlichen in Baselland so vehement gegen die Fusion?

Hier kommt die konservative Neigung zum Erhalt des Status quo zum Ausdruck. Es ist gut, weil es so ist, wie es ist. Alles andere wird als revolutionär und unsicher abgestempelt.

Wie denkt die Restschweiz über die Baselbieter Fusion mit Basel-Stadt?

Das Thema wird mit mässigem Interesse verfolgt. Es ist nicht mit einer grossen Emotionalität verbunden. Zumindest in meiner Aussensicht erscheint es absurd, dass die beiden Basel getrennt sind. Nichts ist funktional so stark verflochten wie eine Kernstadt und ihr Umland. Dass die beiden Teile getrennt sind, erscheint als Laune der Geschichte, die nur durch eine Fusion zur Normalität zurückgeführt werden könnte. Die Abstimmung selber hat aber sehr wohl eine grosse Tragweite für das ganze Land. Wenn die Fusionsprüfung angenommen wird, fragen sich die Ostschweizer vielleicht, ob Appenzell Inner- und Ausserrhoden nun auch zusammengehen sollten. Wenn die Abstimmung hingegen abgelehnt wird, werden viele denken: Wenn es in Basel nicht funktioniert, wo soll es sonst funktionieren? Es ist also ein wegweisender Entscheid für Gebietsreform-Debatten in der ganzen Schweiz.

Fusionsbefürworter behaupten, wenn die beiden Halbkantone fusionieren, dann hätte der Kanton Basel mehr Gewicht in Bern. Sehen Sie das auch so?

Tendenziell ja. Aus meiner Zürcher Sicht bin ich überzeugt, dass die Interessen des Wirtschafts- und Universitätsstandorts Zürich in einem zweigeteilten Kanton weniger gut wahrgenommen werden könnten als heute. Im Umkehrschluss heisst dies, dass ein grosser Kanton Basel mehr Gewicht in Bern erhalten würde. Ich würde dieses Argument allerdings nicht überbewerten. Basel wäre auch nach der Fusion deutlich kleiner als Zürich, und es ist auch die geografische Lage, die die Wahrnehmung bestimmt. Basel liegt nun einmal hinter dem Jura, am Rand der Schweiz und ist aufgrund dessen mental weit weg von Bern. Dennoch: Eine Fusion würde Basel tendenziell stärken.

_
Einen anderen Standpunkt zur Fusion vertritt der Ökonom Reiner Eichenberger, wie er im Interview mit der BaZ beschreibt: «Was für eine perverse Idee.»

Nächster Artikel