Wenn Rechtsextreme tanzen lernen

«0 % rassistisch, 100 % identitär», werben die Identitären im Internet gegen Multikulti und den Islam. Jetzt wollen sie sich auch in der Schweiz etablieren.

Die Identitären sind gegen eine Vermischung der Kulturen. Doch die Gruppe versucht sich vom Rassismusbegriff zu distanzieren. (Bild: Nils Fisch)

«0 % rassistisch, 100 % identitär», werben die Identitären im Internet gegen Multikulti und den Islam. Jetzt wollen sie sich auch in der Schweiz etablieren.

Sie tragen Schweinemasken, halten Schilde in die Luft und tanzen zu russischer Hard-Bass-Musik. So hat man Rechtsextreme noch nie gesehen. Das Video kommt aus Wien, die Gruppe will «Multikulti wegbassen». Was auf den ersten Blick harmlos oder gar witzig aussieht, entpuppt sich als hetzerischer Aktionismus gegen eine liberale Gesellschaftsform.

Die «Identitäre Bewegung» hat in Deutschland, Österreich und Frankreich einige Anhänger – in der Schweiz versucht sie gerade, Fuss zu fassen. Die Bewegung entstand aus dem französischen «Bloc identitaire», die Ideologie ist ein buntes Gemisch aus nationalistischen, rassistischen und nicht zuletzt antikapitalistischen Strömungen. Die Wissenschaft nennt es «Ethnopluralismus». Ihre Aktionen sind einfach gestrickt und erreichen über Youtube ein grosses Publikum.

Wie keine andere Gruppierung aus dem rechten Spektrum verstehen die Identitären den Umgang mit neuen Medien. So kommt ihr Internetauftritt auch nicht in verstaubter Nazi-Schrift daher, sondern zeigt eine perfekte grafische Aufmachung. «0 % rassistisch, 100 % identitär» heisst der Slogan der Bewegung. Aufwendig inszeniert erklärt auch ein Video-Blog, warum die Identitären keine Rassisten seien.

«Im Gegenteil», meint der Blogger. Die Identitären setzten sich für alle Völker ein, sie seien nur gegen die Vermischung der Kulturen. «Wir lieben die Vielfalt», verspricht der Schriftzug auf einem Bild. Zu sehen ist ein Mädchen mit asiatischen Gesichtszügen, das auf einem Rentier durch die Tundra reitet. Alles wunderbar, wo ist das Problem?

Der Freiburger Rassismusforscher Damir Skenderovic erklärt, die Gruppierung versuche sich vom Rassismusbegriff zu distanzieren. «Auf diskursiver Ebene wird mit anderen Begriffen wie Identität oder auch Kultur operiert, aber sie verfolgen weiterhin diskriminierende Ziele.»

Automatische Hierarchie

Ist es diskriminierend, wenn man seine Identität behalten möchte und sich gar für die Vielfalt der anderen Kulturen einsetzt? «Es geht um eine Naturalisierung und Biologisierung von kollektiver Identität. Die Identitären meinen, jede Gruppe habe eine Identität, jeder sei gewissermassen von Geburt an fest darin verankert und werde dadurch lebenslang geprägt, beziehungsweise könne sich dieser nicht entziehen», sagt Skenderovic.

Und wieso ist es rassistisch, wenn alle Kulturen auf einer Ebene gesehen werden? «Es wird behauptet, dass nicht wie im klassischen Rassismus eine Hierarchie der Gruppen hergestellt werde. Aber dabei wird verschwiegen, dass sich die jeweiligen Gruppen im Kontext bestimmter Machtkonstellationen befinden und es so automatisch zu Hierarchien kommt.»

Auf einer konkreten Ebene sieht es zum Beispiel so aus, dass eine Person aus Eritrea in der Schweiz weniger politische Rechte hat als ein Schweizer. Daher entsteht zwischen dem Eritreer und dem Schweizer automatisch eine Hierarchie.

Film «300» als Vorbild

Die Identitären sagen, sie setzten sich für die Erhaltung von Kulturen ein. Damit gemeint ist: Jede Kultur soll dort leben, wo sie ihren Ursprung hat. Eine klassische Vorstellung aus der Abstammungslehre. Andere Identitäten sind geduldet, solange sie da bleiben, wo sie herkommen.

Die Parole «Ausländer raus», kriegt dabei eine fast zynische Bedeutung. Übersetzt in die Sprache der Identitären könnte die Parole lauten: «Liebe Ausländer, ihr müsst jetzt leider zurück in eure Heimat. Auch wenn ihr das nicht versteht, es ist das Beste für die Erhaltung eurer Kultur.»

Vorbild für die Bewegung ist der Film «300», in dem eine Gruppe von 300 Spartiaten gegen den persischen König Xerxes und seine Verbündeten kämpfen. Das martialische Heldenepos war 2007 ein Kassenschlager, die Fortsetzung lief gerade in den Kinos.

Rechte Kreise vergöttern den Film, weil er ein Sinnbild ist für Blut-und-Boden-Nationalismus. In einer Schlüsselszene erklärt die Frau des Königs: «Nur Frauen aus Sparta gebären echte Männer.» Der Unterhändler der fremden Perser wird zum Teufel geschickt, die Spartiaten wollen sich keinen fremden Mächten unterwerfen und kämpfen dafür bis zum Tod – zufälligerweise ist der persische Unterhändler schwarz, die Männer aus Sparta sind alle durchtrainierte «Weiss-Europäer».

Die Parallelen zu den Identitären sind augenfällig. Das Kennungszeichen der Identitären ist der griechische Buchstabe Lambda, den die spartanischen Truppen auf ihren Schilden trugen. In ihrem Manifest sprechen sie von einer «Kriegserklärung». Auf gewissen Videos treten sie mit Lambda-Schilden in Erscheinung.

Situation Schweiz: Eine Randgruppe

«Die Identitären machen in der Schweiz höchstens ein Drittel des rechtsextremen Spektrums aus», meint der Extremismus-Experte Samuel Althof. Er nennt die Identitären «ein paar sehr unangenehme und rassistische Spaziergänger», geht aber davon aus, dass sie «in der Tagespolitik der Schweiz keine politische Bedeutung haben».

Eine Studie der Fachstelle für Rassismusbekämpfung aus dem Jahr 2005 zeigt, dass zehn Prozent der befragten Jugendlichen mit rechtsextremen Gruppen sympathisieren. Eine Umfrage aus Deutschland zeigt ein ebenso drastisches Bild. 42 Prozent aller Befragten gaben an, dass manche Kulturen anderen «klar überlegen» seien, und 31 Prozent meinten, es gebe eine «natürliche Hierarchie zwischen schwarzen und weissen Völkern».

Die Identitären mags freuen. Es ist genau das, was sie skandieren.

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