Nie war Stadtplanung so demokratisch wie heute – was die Sache aber nicht einfacher macht. Eine Erkundungstour durch Basel mit dem Stadtentwickler Thomas Kessler.
Seit Stunden fahren wir auf unseren Fahrrädern dem Basler Stadtentwickler Thomas Kessler hinterher. Der Grund dafür liegt mehr als zwei Jahrzehnte zurück. Ende der Achtzigerjahre begründete der Basler Soziologieprofessor Lucius Burckhardt die Promenadologie. Ihm schienen Spaziergänge die beste Herangehensweise, Räume als soziale Wirklichkeiten zu begreifen. Dass man sich eine Stadt erlaufen kann, weiss zwar jeder halbwegs erfahrene Citytripper. Im akademischen Umfeld jedoch war Burckhardts Herangehensweise überraschend, exotisch und irgendwie einleuchtend.
Natürlich ist eine Velofahrt kein Spaziergang. Sie ist die nächstbeste Lösung. Man ist etwas schneller unterwegs, der Witterung dennoch ebenso ausgesetzt wie den Eindrücken, die die Stadt hinterlässt.
Wir wollen herausfinden, wer die Basler Planung plant, eine Frage, die Burckhardt zeitlebens am Herzen lag. Unakademisch und im Feld, Kessler gefällt so was. Also radeln wir durch die Stadt, in einem grossen Halbkreis vom Aeschenplatz aus Richtung Dreispitz, zum Birsköpfli, Stadtrand Ost, Zoll Otterbach und schliesslich ins St. Johann. Die Route führt uns zu verschiedenen Brennpunkten der Basler Stadtentwicklung, dorthin, wo sehr viel, und dorthin, wo kaum noch etwas passieren soll.
Grüne Meile mit Hindernissen
Mitten im St.-Alban-Quartier, an der Sevogelstrasse, liegt so ein Ort, wo zumindest mittelfristig nicht viel passieren wird. Viele Häuser hier verfügen über eine derart gute Bausubstanz, dass sie vor Kurzem erst in die Schutzzone aufgenommen wurden. «In einem solchen Quartier müssten höchstens noch Feinkorrekturen betrieben werden. Wenn wir etwa eine kleine unternutzte Grünfläche aufheben zugunsten einiger Sitzbänke und eines Cafés», sagt Kessler.
Einige Meter weiter wünscht sich Kessler hingegen, dass mehr passieren würde. An der Kreuzung unterhalb des Lonza-Turmes, diesem Verkehrsübel, wo man sich keine Minute länger als nötig aufhalten mag. Die Autos rauschen Richtung Bahnhof, Richtung Autobahn, Richtung Münchensteinerbrücke. Bei diesem ganzen Gerausche übersieht man leicht die beiden schönen und grosszügigen Grünanlagen, den Christoph-Merian-Park und den Rosenfeldpark. Dies könnte eine lauschige Ecke sein. «Unser grösstes Problem hier ist die Durchlässigkeit und der Verkehr», erklärt Kessler. Dabei habe dieses Gebiet enormes Potenzial. Es liegt direkt zwischen dem Bahnhof und dem Dreispitz. Auch das neu gebaute Grosspeter-Hotel trägt zur Aufwertung bei.
Kessler schwebt eine grüne Meile vor, durch die die Menschen radeln und spazieren, wenn sie vom Gundeli aus an den Rhein wollen. Heute liegen dazwischen viele Hindernisse: Den Schienenstrang der SBB müsste man mit attraktiven Brücken überwinden, den Autoverkehr verlagern. Doch selbst wenn dies alles gelingen sollte, bleibt ein Problem. Das dreieckige Areal gehört der Lonza. Ausser dem Turm befinden sich dort vorwiegend Parkplätze, ein paar Bäume und ein Tennisplatz. Es gibt keine Handhabe, die Lonza zu einer Kooperation zu zwingen. Dem Unternehmen bleibe es freigestellt, diese Fläche zu entwickeln, sagt Kessler dazu. Die Kooperation mit den Firmen sei in Basel jedoch gut.
Die Vision im Richtplan
Dieses Problem führt uns mitten in eine Studie der Uni Basel, die jüngst erschienen ist. Eine interdisziplinäre Forschergruppe um den Soziologen Ueli Mäder hat unter dem Titel «Raum und Macht. Die Stadt zwischen Vision und Wirklichkeit» das Leben und Wirken von Lucius Burckhardt und seiner Frau Annemarie biografisch aufgearbeitet. Das Ehepaar Burckhardt beschäftigte sich zeitlebens mit den sozialen und gesellschaftlichen Aspekten der Stadtentwicklung. Ausserdem werden in kürzeren Aufsätzen aktuelle Fragen diskutiert, die wohl auch die Burckhardts bewegt hätten, wenn sie noch am Leben wären. Darunter die Odyssee des Wagenplatzes, die Ereignisse am Klybeckquai und das Thema Urban Gardening.
Wir wollten mit Kessler auf dem Velo die Stadt und ihre Entwicklung erfahren und besuchten die aktuellsten «Brennpunkte» der Basler Stadtentwicklung. (Bild: Livio Marc Stoeckli)
In einem weiteren Aufsatz will der junge Stadtsoziologe Markus Bossert wissen, wer in Basel die Stadtplanung plant. Sprich: Welche und wessen Ziele werden verfolgt? Wer bestimmt über die Stadtentwicklung? Und werden die Bewohner und ihre Bedürfnisse dabei ausreichend berücksichtigt? Unter dem Titel «Macht in der Stadtplanung» legt er dar, wie die Wirtschaft in Basel die Stadtentwicklung massgeblich beeinflusse, ja dominiere. Er ortet ein «aus dem Gleichgewicht geratenes Machtverhältnis zwischen Wirtschaft und Politik».
Zu diesem drastischen Schluss kommt Bossert, indem er sich auf die Suche nach der «stadtplanerischen Vision» macht, der grossen Idee, wie diese Stadt in Zukunft aussehen soll. Diese findet er im kantonalen Richtplan, dem sich sämtliche Bau- und Entwicklungstätigkeiten in Basel unterzuordnen haben. Dort steht etwa, dass Basel zu einem führenden Life-Sciences-Standort werden oder dass es hier guten Wohnraum und eine hohe Lebensqualität geben soll.
«Basel 2020» oder «metrobasel 2020»?
Vieles davon, was im Richtplan steht, findet sich auch in einem anderen Schriftstück wieder: der Vision «metrobasel 2020», einer Kooperation zwischen dem privaten Forschungsunternehmen BAK Basel Economics, Wirtschaftsvertretern und dem Kanton. Dieses «Patronat», wie sich der Zusammenschluss selbst nennt, hat 2006 eine eigene Vision erarbeitet. Finanziert wurde das Projekt zu grossen Teilen von Banken und Pharmaunternehmen. Herausgekommen ist in den Worten Bosserts eine «Wirtschaftsutopie, die auf die Bedürfnisse der Chemiebranche zugeschnitten ist».
Das ist deshalb relevant, weil in der Einleitung des kantonalen Richtplanes direkt Bezug genommen wird auf diese Vision. Der Richtplan also nachgerade eine Blaupause dieser «Wirtschaftsutopie» ist. So lautet zumindest Bosserts Lesart.
Noch ambitionierter sind die Pläne, die unsere nächste Station betreffen. Wir stehen östlich vom Hafenbecken 2 und der Autobahn A2. Wenn alles gut läuft und der Bund mitspielt, dann fliesst hier bald Wasser. Mit einem dritten Hafenbecken soll dieses Areal zum Logistikknoten ausgebaut werden. Schon heute werden hier Container vom Gleis auf die Schiene und von der Schiene aufs Schiff befördert. Das hätte weitreichende Folgen. Dann könnte der Hafen in Kleinhüningen vom Rheinufer wegverschoben werden. Und schon wäre der Platz frei für das neue Wohnquartier am Rhein, das dessen Gegner gerne «Rheinhattan» nennen.
Thomas Kessler zeigt auf dem iPad, wo das Hafenbecken 3 geplant ist. (Bild: Livio Marc Stoeckli)
Das ärgert Kessler zwar ein wenig, denn «Rheinhattan» sei nicht mehr als ein Phantom. Der Planungsprozess beginne erst. «Es ist doch komplett widersinnig, an bester Lage Benzin zu lagern, wenn man dort wohnen und arbeiten könnte.» Die Rückgewinnung des Rheinufers als Lebensraum ist übrigens sowohl in der «metrobasel»-Vision als auch in derjenigen des Regierungsrates als Ziel formuliert.
Todeszone Parterre
Wenige Orte veranschaulichen das Basel der Zukunft besser als der Novartis Campus. Hochwertige Architektur, die zu einem «Cluster» verdichtet Arbeitsplätze bietet für hervorragend ausgebildete Menschen; so stellen sich die verschiedenen Visionäre das Basel im Jahr 2020 vor. Während der Campus aus planerischer Sicht gelungen erscheinen mag, ist Kessler mit den Neubauten zwischen Voltaplatz und Bahnhof St. Johann nicht glücklich. «Es gibt nichts Deprimierenderes als leere Ladenlokale im Parterre.» Sein Vorwurf geht hier an die Adresse der Immobilieninvestoren. Soll ein Quartier leben, dann müsse die unterste Etage zwingend genutzt und belebt sein. «Sonst sieht es tot aus.»
Thomas Kessler will Basel zur «Stadt der kurzen Wege» umbauen. Wenn alles nahe beieinander liege, gewinne man Lebensqualität durch Zeitersparnis. (Bild: Livio Marc Stoeckli)
Das St. Johann stand lange im Fokus der Stadtentwickler. Unter dem Stichwort «Basel Nord» hat sich Kesslers Abteilung jahrelang auf dieses Quartier ausgerichtet. Diese Kampagne ist zu Ende, hier soll die Entwicklung nun selbstständig weiter gehen. «Impulse sind nicht mehr nötig», sagt Kessler. Nun liege es an den Bewohnern, die vorhandene Infrastruktur zu nutzen.
Zum Beispiel das «Buffet» beim Bahnhof St. Johann. Bei einem kühlen Getränk lassen wir das Gesehene Revue passieren. Hinten bei den Geleisen lässt es sich bestens ausspannen, Züge verkehren hier selten. Der Blick über die Schienenstränge fasziniert, Kessler nennt es «romantisch». Ganz hinten, zwischen ausrangierten Bahnwagen und den Schloten der IWB, blitzen die Familiengärten grün auf. Die Gegend lädt zum Spazieren ein.
Lesen Sie dazu auch, diesen Artikel, der sich mit dem Einbezug der Bevölkerung in die Stadtentwicklung beschäftigt: «Das Kreuz mit der Beteiligung».
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«Raum und Macht. Die Stadt zwischen Vision und Wirklichkeit», Ueli Mäder et al., Rotpunktverlag