Wer in der Flüchtlingspolitik vor den Rechten kuscht, trägt zur Eskalation bei

Die Regierung verschärft die Asylgesetze und meint, so den Ausländerfeinden Boden zu entziehen. Das kann nicht funktionieren: Gregor Gysi über angeblich sichere Herkunftsländer und das Kuschen vor den Rechtspopulisten.

The mother of a missing Chibok girl reacts during a march, with other women calling for their daughters to be brought back home, to the presidential villa in Abuja, Nigeria January 14, 2016. Picture taken January 14, 2016. REUTERS/Akintunde Akinleye

(Bild: Reuters/Akintunde Akinleye)

Die Regierung verschärft die Asylgesetze und meint, so den Ausländerfeinden Boden zu entziehen. Das kann nicht funktionieren: Gregor Gysi über angeblich sichere Herkunftsländer und das Kuschen vor den Rechtspopulisten.

Immer mehr Länder in dieser Welt werden sicher. Ist das nicht eine gute Nachricht? Allerdings stimmt sie nur auf dem Papier. Denn sie beruht auf einer bürokratischen Konstruktion, die dem Ziel dient, Flüchtlinge, die Antrag auf Asyl stellen wollen, schnell aus Deutschland abschieben zu können. Entweder in – eben – sichere «Drittländer» (also Staaten, über die ein Flüchtling nach Deutschland oder die EU einreiste) oder auch in ihre Herkunftsstaaten, sofern diese als sicher eingestuft sind. 

Seit Deutschland einem verstärkten Aufnahmedruck durch Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylsuchende ausgesetzt ist, werden die Aufnahmekriterien verschärft. Zum einen durch gesetzliche Änderungen, zum anderen, indem immer mehr Länder für sicher erklärt werden.

Erst vor wenigen Monaten wurden die Staaten des Westbalkans für sicher erklärt, darunter auch Kosovo. Das irritiert insofern, als gleichzeitig behauptet wird, im Kosovo herrsche eine derartige Unsicherheit, dass dort die Präsenz deutscher Soldaten erforderlich sei. Was stimmt nun?

Innenminister De Maizière verhandelt mit der afghanischen Regierung über die Rücknahme von Flüchtlingen. Irgendein sicheres Plätzchen wird sich schon finden lassen, meint er.

Auf der Liste der sicheren Staaten stehen inzwischen auch Marokko, Tunesien und Algerien. Den Bayern reicht das natürlich nicht. Deren Wunschliste enthält auch Länder wie Nigeria, in der die Islamistenmiliz Boko Haram brutal agiert, oder Mali, das Land, in dem die Bundeswehr mit 650 Soldaten den Kampf gegen den Terror unterstützt.

Und weil es so gut passt: Natürlich verhandelt der deutsche Innenminister De Maizière zurzeit mit der afghanischen Regierung über die Rücknahme von Flüchtlingen. Irgendein sicheres Plätzchen wird sich in Afghanistan schon finden lassen, meint er.

Die Bundesregierung hat einen schlechten Weg eingeschlagen. Sie versucht, der rechtspopulistischen Hetze und der Empfänglichkeit von Bevölkerungsgruppen für diese Propaganda dadurch den Boden zu entziehen, dass sie Handlungsfähigkeit simuliert. Tatsächlich legitimiert sie im Nachhinein den Rechtspopulismus. Dessen Repräsentanten können sich hinstellen und auf die Brust klopfen: «Seht her! Wir machen Druck und es passiert etwas!»

Schon 1993 haben die Konservativen und die Sozialdemokratie das Asylrecht verschärft. In der Folge wurden die Rechtsradikalen nicht ruhiger sondern militanter.

Populismus ist hier nicht mein Problem, aber in diesem Fall geht es um den menschenfeindlichen Inhalt des Rechtspopulismus. Dessen Botschaft lautet doch: «Ihr habt kein Recht auf Schutz vor Verfolgung und Bedrohung – zumindest nicht bei uns!» Rechte sollen nicht mehr garantiert werden, sie sollen also im Kern keine Rechte mehr sein. Hier beginnt man zu ahnen, was diese Leute im Schilde führen.

Ich habe dieses Nachgeben gegenüber rechten Stimmungslagen schon einmal erlebt. 1993 meinten auch einige, dass das Boot voll sei. Auch damals haben die Konservativen und die Sozialdemokratie das Asylrecht verschärft. Die rechtsradikale Szene wurde zunehmend militanter und es entstand später jene Terrororganisation, die unter dem Kürzel NSU bekannt wurde. Normalerweise habe ich Verständnis für menschliche Schwächen, wozu nicht nur Fehler gehören, sondern auch das Wiederholen von Fehlern. Es gibt aber Dinge, da kann man sich das nicht leisten.

Dass nun zwei Frauen der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD), die Bundesvorsitzende Frauke Petry und die Berliner Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahlen, Beatrix von Storch, mit Sprüchen aufgefallen sind, wonach an der Grenze auch Schüsse auf Flüchtlinge erlaubt sein müssten, liegt auf der Linie dieser Eskalationslogik. Ich hoffe, sie verlieren wenigstens dadurch an Zustimmung.

Eines sagt die AfD nicht: Sie ist gegen soziale Umverteilung und folgt einem neoliberalen Staatsbild.

Es wäre klug von der Regierung, jetzt nicht empört zu tun, um dann doch nur weitere reaktionäre Asylpolitik zu betreiben. Klug wäre es, sich von der Eskalationslogik nicht ansprechen zu lassen, sondern von der Politiksimulation wegzukommen. Glaubt denn wirklich jemand, dass der Krieg in Syrien und Irak einfach so beendet werden kann? Glaubt denn wirklich jemand, dass die Einschränkungen im Asylrecht nicht die Nebenfolge haben, dass die illegale Einwanderung ansteigt? Glaubt wirklich jemand, dass sich die Kosten der Integration dadurch senken lassen, dass Bund und Länder über deren Aufteilung streiten, statt neue Finanzierungsquellen zu erschliessen?

Denn eines sagt die AfD nicht: Sie ist gegen soziale Umverteilung und folgt einem neoliberalen Staatsbild. Ginge es nach ihr, müssten die «kleinen Leute», in deren Namen sie zu sprechen vorgibt, für die Kosten der Flüchtlingsunterbringung und Integration aufkommen.

Die Bundesregierung hat aber nicht den Mut, offen über die Möglichkeiten der Finanzierung der Integration zu sprechen. Sie müsste sich von einigen Dogmen lösen, wie etwa der Austeritätspolitik, der Ideologie des schlanken Staates oder der Politik der steuerlichen Privilegierung der Reichen und Superreichen. Nur wenn wir hier einen Neuanfang wagen, anstatt hektisch auf AfD-Provokationen zu reagieren, werden wir die Probleme in den Griff bekommen.

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