«Wir wollen doch nicht die Katze im Sack kaufen – aber genau das setzt uns die Regierung vor», sagt Barbara Lorenzetti, Mutter zweier schulpflichtiger Kinder aus Muttenz. Sie ist Mitglied im Komitee für ein familienfreundliches Muttenz, einer losen Vereinigung von Muttenzer Eltern mit Kindern, die eine Kita besuchen oder ein anderes Betreuungsangebot (etwa Tagesfamilien) in Anspruch nehmen.
Der Ärger der Eltern richtet sich gegen das neue Reglement über die familienergänzende Kinderbetreuung der Gemeinde Muttenz. Statt der Kindertagesstätten werden die Eltern, die ihre Kinder betreuen lassen, von der Gemeinde per Gutschein entschädigt – der kantonal vorgesehene Wechsel von der Objekt- zur Subjektfinanzierung. Und der sei, so die Gemeinde, nicht ohne Privatisierung der beiden Tagesheime Sonnenmatt und Unterwart zu haben. Alles andere «übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der Gemeinde», so die Regierung.
Die «schulergänzende Betreuung» wird ebenfalls «in den nächsten Jahren zusammen mit privaten Anbietern in Angriff genommen», so die Gemeinde. Über das neue Reglement stimmt die Gemeindeversammlung am 19. Oktober 2017 ab.
«Wir möchten Sie, liebe Eltern und Stimmberechtige, einladen, am 19. Oktober zur Gemeindeversammlung zu kommen und das neue Reglement zurückzuweisen», schreibt das Komitee. Die SP Muttenz unterstützt den Widerstand mehrheitlich – gegen die eigene Gemeinderätin Kathrin Schweizer, wie die «bz Basel» berichtete.
«Nicht im Interesse der Gemeinde und der Kinder»
Aber warum? In der «Basler Zeitung» war zu lesen, die SP und die Eltern wollten «den Fünfer und das Weggli». Ein Vorwurf, der die Eltern im Komitee ärgert. «Wir sind nicht gegen die Gutscheine, und wir haben auch nichts dagegen, etwas mehr zu bezahlen – darum geht es nicht», sagt Barbara Lorenzetti. Bei der vorgeschlagenen Lösung der Muttenzer Regierung fehle aber noch viel.
Die Behauptung, eine Subjektfinanzierung per Gutschein sei nicht ohne Privatisierung zu haben, streitet Lorenzetti ab: «Eine Mischung ist möglich. Und es ist doch klar, was passiert, wenn man privatisiert: Die Leistungen nehmen ab, die Löhne des Personals sinken – und die Kosten der Betreuung steigen.» Die Folge, so Lorenzetti: «Das beliebte und bewährte Personal geht. Das ist nicht im Interesse der Gemeinde und der Kinder.»
Personal befürchtet schlechtere Arbeitsbedingungen
Für die Führung der Muttenzer Kitas hat die Gemeinde die Firma Kiana Group AG vorgesehen. Diese beabsichtigt tatsächlich, die Schrauben beim Personal anzuziehen. Es gibt zwar eine «Besitzstandwahrung» von einem Jahr, wie die TagesWoche erfahren hat, danach aber gibt es eine halbe Stunde Arbeit mehr pro Woche sowie eine Woche weniger Ferien pro Jahr für die Betreuerinnen und Betreuer. «Ausserdem hat man uns gesagt, dass die Löhne sich unter Kiana nach einem Jahr nach den Kibesuisse-Mindestlöhnen richten werden», sagt ein Insider. «Das würde massive Lohneinbussen bedeuten.»
Auf Anfrage bestreitet Daniel Grünig, Geschäftsleiter der Kiana Group AG, dass die Löhne sinken werden: «Das stimmt nicht, das ist nicht wahr», sagt er zur TagesWoche. Gleichzeitig sagt er, die Löhne würden nach einem Jahr nach Kibesuisse berechnet, und «dann muss man schauen».
Die Angst vor einer schlechteren Betreuung ist laut Eltern-Komitee nicht der einzige Grund für den Widerstand. «Es geht im neuen Reglement auch um die schulergänzende Kinderbetreuung, die neu organisiert wird», sagt Komitee-Mitglied Remo Suter, Vater von drei Kindern aus Muttenz. «Das Problem ist nur: Es ist nicht bekannt, wie diese organisiert ist und wie viel sie kosten wird. So ein Reglement kann man doch nicht annehmen».
Barbara Lorenzetti pflichtet Suter bei: «Es gibt kein Angebot, erst ab Mitte 2018. Da muss doch das Ganze einfach zurück zum Absender.»
Reglement sieht vollständige Privatisierung vor
Die geplante Privatisierung sei überhaupt zurückzuweisen, findet Lorenzetti, die Gemeinde gebe hier «die Kontrolle über eine wichtige Grundversorgung ab». Sie fügt an: «Wer das Reglement liest, stellt fest, dass es um die Privatisierung aller Betreuungsangebote geht – auch um die schulergänzende Betreuung oder den Mittagstisch. Wir möchten das verhindern.»
Weiter moniert das Komitee, dass der bisherige Kita-Rabatt für Familien mit mehr als einem Kind einfach wegfalle. Das führe letztlich nur wieder dazu, ist Barbara Lorenzetti überzeugt, dass trotz Subjektfinanzierung mehr Frauen zu Hause blieben, weil sich arbeiten schlicht nicht lohne – trotz Unterstützung.
«Bei den Kritikpunkten werden viele Ebenen vermischt»
SP-Gemeinderätin Kathrin Schweizer, Vizepräsidentin des Gemeinderats und verantwortlich für Gesundheit und Soziales in Muttenz, fände es «schade», wenn das Reglement am 19. Oktober abgelehnt würde. Es sei wichtig, dass nicht nur ein Drittel der Muttenzer Eltern mit betreuten Kindern von Vergünstigungen profitiere, wie das derzeit der Fall sei, sondern eben alle. Und dabei käme es zu Einbussen für einige Eltern, das sei bei einer Systemumstellung kaum zu vermeiden.
«Falls es zur Ablehnung kommt, dann hoffe ich, dass wir ein klares Signal bekommen, was genau wir machen sollen», sagt Schweizer: «Bei den Kritikpunkten werden viele Ebenen vermischt». Die Job-Sicherheit der Angestellten derjenigen Kitas, die per 1. Januar 2018 in private Hände übergehen sollen, sei mit einem Jahr «Besitzstandwahrung» von langer Dauer – und man habe bei der Wahl der Firma gut geschaut. «Wenn die Beträge zu tief sind, dann muss die Gemeindeversammlung beschliessen, das Budget zu erhöhen. Das ist bei der derzeitigen finanziellen Lage nicht einfach», sagt Schweizer.
Barbara Lorenzetti vom Komitee für ein familienfreundliches Muttenz sind die Zahlen bekannt. «Kindererziehung und -betreuung, das kostet», sagt sie. «Aber dort lässt sich gut streichen, ohne, dass der Souverän es merkt – die Folgen spürt man erst viel später.»
Lorenzetti ist überzeugt, dass sich die Kitas und die schulergänzende Betreuung auch lohnen könnten, wenn sie in der Hand und somit der Kontrolle der Gemeinde blieben. «Es gibt so viele Leute mit guten Ideen, die auch wirtschaftlich etwas draufhaben», sagt sie. «Man müsste es nur wagen.»