Burkina Faso wählt einen neuen Präsidenten. Es soll einer werden, der dem Volk dient – und nicht umgekehrt.
Das Motto für diesen Sonntag lautet im westafrikanischen Burkina Faso: «Ich wähle und bleibe». Diese mutigen Worte sind eine Ansage zur demokratischen Revolution. Der Wahltag ist ein Fest, das sich die Bevölkerung erkämpft hat. Junge, Alte, Frauen und Männer wollen ihre Stimme abgeben für ein modernes, gerechtes und freies Afrika. Wer Präsident wird, steht dabei nicht im Zentrum. Vielmehr geht es darum, dass der künftige Präsident spürt, dass er der Diener des Volkes ist und nicht umgekehrt.
Vor einem Jahr hat man mit Demonstrationen den alten Potentaten aus dem Amt gejagt. Niemand will einen neuen starken Mann. Das Volk hat sich in die Politik eingemischt und es wird den künftigen Machthabern genau auf die Finger schauen. Die Chancen stehen gut, dass dieses neue Selbstverständnis nicht nur Burkina Faso verändern wird – es könnte den Beginn einer neuen Zeit für ganz Afrika bedeuten.
Die Entwicklung, die zu freien und fairen Wahlen führte, nahm ihren Anfang im Oktober 2014. Die Bevölkerung organisierte sich in der zivilgesellschaftlichen Vereinigung «le Balai Citoyen», zu Deutsch «der Bürgerbesen», und strömte in Massen auf die Strassen, um gegen die Änderung von Artikel 37 der Verfassung zu demonstrieren. Diese hätte es dem amtierenden Präsidenten Blaise Compaoré erlaubt, nach über 28 Jahren an der Spitze des Staates nochmals zu kandidieren.
Schon 1983 schien die Zukunft anzubrechen
Der Protest eskalierte, als klar wurde, dass die Regierung nicht auf die Demonstranten zugehen würde. Das Parlament wurde angezündet und die Massen zogen in Richtung Präsidentenpalast. Als Compaoré realisierte, dass ihn die Armee nicht schützen würde, liess er sich von Frankreich in die Elfenbeinküste ausfliegen.
Der langjährige Präsident, der 1987 in einem blutigen Putsch gegen seinen früheren Busenfreund und damaligen Präsidenten Thomas Sankara an die Macht gelangt war, war endlich weg. Ein Neuanfang schien möglich.
Anführer und Identifikationsfiguren des Balai Citoyen waren der Rapper Smockey und der Reggaemusiker Sams’K Le Jah. Sie waren inspiriert von Compaorés Vorgänger, dem jungen, visionären und charismatischen Armeeleutnant Thomas Sankara. Dieser putschte sich 1983 selbst an die Macht, unterstützt vom Volk. Er war es, der das Land vom kolonialen Namen Obervolta befreite und in Burkina Faso umtaufte, das «Land der aufrichtigen Menschen», womit er an die Integrität und die Würde seiner Bewohner appellierte.
In einem Interview im Jahr 1985 erklärte Sankara, dass man nichts weniger wagen müsse, als die Zukunft zu erfinden. Diese Aussage unterstrich sein progressives Wirken: Er bekämpfte die Korruption, kürzte die Saläre der Staatsangestellten drastisch, auch sein eigenes, und verkaufte die teuren Staatskarossen. Er förderte die heimische Produktion, verbesserte das Gesundheitswesen, kämpfte für die Rechte der Frauen und dafür, dass sein Land und auch die anderen Staaten Afrikas ihre Schulden an die ehemaligen Kolonialmächte nicht zurückzahlen sollten. Unter Sankara wurde das arme Burkina Faso vom unbedeutenden Reservoir für billige Arbeitskräfte für die Plantagen der Elfenbeinküste zum Vorbild für die panafrikanische Bewegung.
Als Smockey und Sams’K Le Jah Kinder waren, sahen sie Präsident Sankara mit dem Velo durch die ungepflasterten Quartierstrassen der Hauptstadt Ouagadougou fahren und Hoffnung auf eine Politik für das darbende Volk verbreiten. Als Jugendliche litten sie unter der visionslosen Machtpolitk Compaorés, der sich durch Waffen- und Diamantenhandel an den Konflikten in den Nachbarstaaten bereicherte und sich in seinen Palästen verschanzte.
Die Bewegung «Le Balai Citoyen» veränderte das politische Selbstverständnis
Als Erwachsene sangen sie gegen die Missstände in ihrer Heimat an. Sie zogen durchs Land und klärten die Jugend in der Provinz mit Filmabenden und Diskussionsrunden politisch auf. Als Compaoré sich an der Macht festkrallen wollte, mussten sie handeln: Sie gründeten den «Bürgerbesen» um den Präsidenten und seine Clique hinwegzufegen.
Diese Bewegung veränderte das politische Selbstverständnis der überwiegend jungen Bevölkerung. Vorbei war die Zeit, in der man mit einem resignierten Schulterzucken den Machtspielen der Politik zuschaute. Dem Vorbild Senegals folgend, wo die Bürgerbewegung «Y’en a marre», «Jetzt reicht’s!», 2012 die Wiederwahl Abdoulaye Wades verhindern konnte, trug man gemeinsam seinen Unmut auf die Strasse – und blieb.
Als Compaoré weg war und wegen des Machtvakuums das Chaos drohte, fingen die Aktivisten an, die Strassen aufzuräumen und zu putzen. Das Militär gab unter dem Druck der wachsamen Bürger bald die Macht an eine Übergangsregierung ab. Diese ordnete gegen den Willen der mächtigen, auch nach Compaorés Flucht noch bestehenden Präsidentschaftsgarde RSP die Exhumierung von Sankaras Leichnam an und die Untersuchung der Umstände seines – bis dato ungeklärten – Todes.
Thomas Sankara starb mit erhobenen Händen im Kugelhagel
Als am 17. September 2015 das Ergebnis dieser Exhumierung bekanntgegeben werden sollte, stürmte die RSP eine Kabinettssitzung und nahm den Übergangspräsidenten Kafando und mehrere Minister fest. Der Verdacht liegt nahe, dass Gilbert Diendéré, der Gerneral der RSP, den Fortgang der Untersuchungen im Mordfall Sankara verhindern wollte. Er und andere Mitglieder der RSP werden verdächtigt, direkt an der Erschiessung Sankaras beteiligt gewesen zu sein.
Am 25. Mai 2015 wird Thomas Sankara exhumiert. (Bild: THEO RENAUT)
Der Putsch der RSP misslang jedoch, unter anderem weil die Bevölkerung wieder auf die Strasse ging und weil die internationale Gemeinschaft die Aktion scharf verurteilte. Diendéré sitzt heute im Gefängnis, angeklagt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Präsidentschaftsgarde wurde aufgelöst. Ausserdem wurden alle Präsidentschaftskandidaten die 2014 für die die Verfassungsänderung zu Gunsten Compaorés stimmen wollten, vom Wahlkampf ausgeschlossen.
Die Exhumierung Sankaras ergab, dass er mit erhobenen Händen im Kugelhagel gestorben sein musste. Es ist fraglich, warum General Diendéré sich hat hinreissen lassen, mit einer 1300 Mann starken Truppe gegen eine Regierung zu putschen, die vom Volk getragen und von der Armee und der Polizei verteidigt wurde. War es eine Verzweiflungstat? Oder hat er seine Macht durch seinen Einfluss in der Armee, seine Kontakte zu Rebellengruppen in Mali und seine diplomatischen Beziehungen, die bis in die höchsten Etagen des Pariser Elysées reichen, falsch eingeschätzt? Darüber lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren.
Schafft es Burkina Faso, seine Zukunft neu zu erfinden?
Klar ist, dass der «dümmste Putsch der Welt», wie ihn viele Burkinabé nennen, dazu geführt hat, dass die alten Eliten weiter an Macht verloren haben. Gewonnen hat die Zivilgesellschaft.
Am Sonntag wird in Burkina Faso ein neuer Präsident oder eine neue Präsidentin gewählt. Damit alles mit rechten Dingen zugeht, überwachen Aktivisten des Balai Citoyen im ganzen Land die Wahl. Die aktuelle Kampagne heisst «Je vote et je reste», «Ich wähle und bleibe», und zeigt auf, dass die grosse Herausforderung erst noch kommt. Es geht um die Frage, ob die Zivilgesellschaft es schaffen wird, die Institutionen zu überwachen, damit sie dem Volk dienen und nicht wie bis anhin den Interessen von Politikern und Beamten.
Thomas Sankara hat vor 30 Jahren gesagt, dass man es wagen müsse die Zukunft neu zu erfinden. Die Burkinabé haben sich auf dieses Wagnis eingelassen und ihr Vorbild bleibt nicht unbemerkt. Die Aktivisten aus Burkina Faso, Kongo-Brazzaville, Burundi, Sengal, Togo und anderen afrikanischen Staaten, in denen sich seit Jahrzehnten die gleichen alten Männer an der Macht halten, sind vernetzt. Es bleibt abzuwarten, ob Burkina Faso zum Modell wird, an dem sich Afrika orientiert, um seine Zukunft neu zu erfinden.