Novartis-Schweiz-Chef Pascal Brenneisen kritisierte öffentlich das Abstimmungsverhalten zweier SP-Nationalräte. Seine Intervention wirft ein Schlaglicht auf die enge Liaison zwischen Basler Abgeordneten in Bern und Novartis – und auf einen Konzern, der offensiv um Einfluss wirbt.
Für die Schweizer Pharmaindustrie lief alles wie am Schnürchen, als im Nationalrat das überarbeitete Heilmittelgesetz (HMG) debattiert wurde. Von der Öffentlichkeit unbeachtet, hatte die bürgerliche Mehrheit zwei Anpassungen am Gesetz durchgebracht, die der Pharma in Zukunft reichlich Rendite einbringen werden. Die Industrie hat sich eine zehnjährige Marktexklusivität bei Medikamenten gegen seltene Krankheiten gesichert. Ein ausgebauter Unterlagenschutz ermöglicht es ihr, einen Wirkstoff, dessen Schutz abläuft, beliebig auf neue Bereiche auszudehnen. Die Praxis heisst in der Branche Evergreening – eine Blume, die niemals verwelkt.
Pascal Brenneisen, Chef von Novartis Schweiz, hätte seinen Erfolg still geniessen können. Bei einem Glas Wein vielleicht, mit seinen zuverlässigsten Verbündeten in Bundesbern. Grund zum Feiern bestand: Die Gesetzesrevision ist ein Lehrstück in erfolgreichem Lobbying.
Öffentliche Abmahnung
Stattdessen setzte sich Brenneisen an den Computer und verschickte eine E-Mail an die beiden Basler SP-Nationalräte Beat Jans und Silvia Schenker, worin er sich hoch verärgert zeigte, dass die beiden Sozialdemokraten das Gesetz im Rat abgelehnt hatten, weil ihnen die Zugeständnisse an die Pharmaindustrie zu weit gingen. Brenneisen zitierte beide zur Aussprache. Publik geworden ist der Vorfall, weil Brenneisen einen Reporter der «Basler Zeitung» über die Strafaktion informierte.
Um auch parteiintern Druck aufzubauen, sandte der Novartis-Manager eine Kopie der Abmahnung an SP-Ständerätin Anita Fetz sowie an die Basler Parteipräsidentin Brigitte Hollinger. Brenneisens unausgesprochene Botschaft: Mit Novartis legt sich besser kein Basler Politiker an. Fetz war als Empfängerin deswegen wichtig, weil das Geschäft nun in den Ständerat kommt.
Brenneisens unausgesprochene Botschaft: Mit Novartis legt sich besser kein Basler Politiker an.
Ob Brenneisen mit seiner aggressiven Reaktion sein Ziel erreichen wird, ist fraglich. Schenker sagt: «Ich werde die Einladung zum Gespräch annehmen, sehe aber keinen Anlass, an meiner Haltung etwas zu ändern.» Nach der öffentlichen Abmahnung würde eine Kursänderung einen erheblichen Gesichtsverlust darstellen.
Interpharma zieht nicht mit
Parteikollegin Fetz weist Brenneisens Vorgehen zurück. So etwas habe sie in den vielen Jahren im Ständerat noch nie erlebt. «Es geschieht hin und wieder, dass sich jemand über das Abstimmungsverhalten beschwert», sagt sie. Es sei aber nicht Aufgabe von Parlamentarierinnen, bei «halb-öffentlichen Marschbefehlen» stramm zu stehen.
Brenneisen selber steht nicht für ein Gespräch zur Verfügung. Er lässt mitteilen: «Das revidierte Heilmittelgesetz ist für den Forschungsstandort Basel und für die lokale und nationale Wirtschaft von vitaler Bedeutung. Mit Erstaunen haben wir daher zur Kenntnis genommen, dass einige politische Vertreter des Kantons Basel-Stadt im Nationalrat die Teilrevision trotzdem abgelehnt haben.»
Doch selbst branchenintern irritierte die Aktion. Brenneisen bat vor dem Verschicken des Mails beim eigentlich für das Polit-Lobbying zuständigen Branchenverband Interpharma um Unterstützung, blitzte damit aber ab. Seit vielen Jahren zieht die Interpharma unter ihrem gewieften Chef Thomas Cueni in Bern die Fäden – in der Regel diskret und unaufdringlich. Brenneisens öffentliche Tadelung gewählter Volksvertreter fügt sich nicht in diese Herangehensweise.
Lockerer Gedankenaustausch
Und sie wirft ein Schlaglicht darauf, wie energisch die Novartis im Parlament um ihre Pfründen kämpft. Vor jeder Session, in der für das Unternehmen relevante Geschäfte anstehen, bittet der Konzern bürgerliche regionale Vertreter zu einer Vorbesprechung, in der klar gemacht wird, wo die Firmeninteressen liegen. In Basel trifft sich die Firmenspitze jährlich mehrmals mit der Regierung zum lockeren Gedankenaustausch. Selbst die SP schickt jedes Jahr eine Delegation auf den Campus, um die politische Wunschliste des Pharmariesen abzuholen.
Wichtigster Ansprechpartner bei Novartis ist nach dem Ausscheiden von Übervater Daniel Vasella für alle Politiker: Länderchef Pascal Brenneisen. Der im persönlichen Umgang joviale, aber bestimmte Jurist mit langer Pharma-Laufbahn nimmt sichtbarer Einfluss auf das politische Geschehen als noch sein Vorgänger Armin Zust. Die Konkurrenten der Roche überlassen das Lobbying dagegen der Interpharma.
Brenneisen war frisch im Job als Länderchef, da mischte er sich erstmals in die Politik ein. Im Vorfeld der Basler Regierungsratswahlen 2012 kritisierte er die Handelskammer, weil diese die SVP zunächst nicht finanziell unterstützen wollte. Nach seinem Zwischenruf erhielt die Blocher-Partei einen Zustupf. Parteipräsident Sebastian Frehner verdankte es Brenneisen mit grossem Einsatz, etwa als der Bundesrat die Medikamentenpreise senken wollte. Ein anderes Mal lud Frehner Parteifreunde auf den Campus ein.
Erfüllungsgehilfen der Pharma
Selbst Stimmungskiller wie die Masseneinwanderungsinitiative haben die enge Liasion nicht gestört. Im Gegenteil: Als im Nachgang der Abstimmung die Forderung aufkam, Frehner müsse seinen Posten als Präsident der regionalen Parlamentariergruppe räumen, weil er als Vertreter der Wirtschaft nicht mehr glaubhaft sei, stärkte Brenneisen dem SVP-Mann den Rücken. Seinen Zugangsbadge für die Wandelhalle, wo sich die Lobbyisten versammeln, hat Frehner dem Novartis-Spindoctor Jean-Christophe Brigg übertragen. Dass die Verbindung noch tiefer geht, verneint Frehner, Inhaber einer Beratungsfirma: «Wir haben kein Mandat der Pharmaindustrie.»
Doch zwei Fragen stehen im Raum: Wieso kämpft Frehner mit so viel persönlichem Einsatz für die Interessen von Novartis – und weshalb wiederum setzt das Unternehmen derart stark auf den Basler SVP-Mann?
Fest steht: Frehners Einfluss auf den Gang der Dinge in Bern ist im letzten Jahr gewachsen und bereits grösser, als es derjenige seines Vorgängers Jean Henri Dunant jemals war. Für den erkrankten Dunant rückte Frehner 2010 in den Nationalrat nach. Er habe sich nie als Erfüllungsgehilfe der Pharma verstanden, sagt der Arzt Dunant, er sei Patientenvertreter gewesen. In der Praxis änderte das wenig: «Ich habe, so weit ich mich erinnern kann, nie gegen Pharmainteressen abgestimmt.»
Wieso kämpft Frehner mit so viel persönlichem Einsatz für die Interessen von Novartis?
Etwas hat sich aber durchaus geändert: das Verhalten der SVP-Abgeordneten. Einen Graben innerhalb der Fraktion, sobald es um Pharmainteressen geht, wie ihn Dunant noch konstatiert hatte, gibt es heute nicht mehr: «Damals gab es bei uns kritische Stimmen gegenüber der Pharma, das scheint heute nicht mehr so zu sein.» Abgesehen von der Ausländerpolitik kann sich Novartis sicher sein: Die parlamentarische SVP tut, was das Unternehmen will. Sie schickt beispielsweise die richtigen Leute in die richtigen Kommissionen. Wie Dunant besetzt Frehner einen Platz in der eminent wichtigen Gesundheitskommission.
Vom Blatt abgelesen
Auch die FDP hat mit Daniel Stolz einen Basler in die wichtige Untergruppe delegiert. Während der Vorgänger von Stolz, der verstorbene Peter Malama, in der Sicherheitskommission sass, waren sich Fraktion und Nachrücker Stolz einig: Er gehört in die Kommission für Gesundheits- und Sozialpolitik (SGK). Aber nicht, weil das die Industrie so wünschte, versichert Stolz, «sondern, weil ich die Gesundheits- und Sozialpolitik nicht den Linken überlassen will».
In der rund 46 Stunden langen Debatte über die komplexe HMG-Revision in der Kommission interessierte sich Stolz dann vor allem für einen Punkt: die Marktstellung der Basler Pharmakonzerne auf Kosten der Prämienzahler weiter zu stärken. Stolz und auch Frehner war von ihren Fraktionen erstmalig die Hauptverantwortung über eine Vorlage zugeteilt worden – und das gleich bei einem so vielschichtigen, zentralen Geschäft.
Während in den Medien die politisch unumstrittenen Punkte des Riesengesetzes diskutiert wurden wie etwa die Abgabe von Medikamenten durch Ärzte, rutschten die Änderungswünsche von Stolz und vor allem von Frehner zugunsten von Novartis und Roche weitgehend unbemerkt durch. Frehner sorgte dabei in der SGK für Verwunderung, als er von druckreifen Manuskripten ablas, was ungewöhnlich ist in Kommissionsberatungen.
Kein Kommentar zu Parteispenden
Die Erklärung dafür liefert Frehners Mitarbeiter Joël Thüring, der die Skripte verfasst haben will: «Wir wollten keine Fehler machen, weil das Geschäft so komplex ist.» Informationen und Argumente habe er von der Interpharma erhalten sowie vom wissenschaftlichen Mitarbeiter, den das Generalsekretariat stellte.
Die Fachkräfte würden einen guten Teil der parlamentarischen Geschäfte mitbestimmen, sagt SVP-Grossrat Thüring: «Sie unterstützen unsere Parlamentarier gerade bei schwierigen Vorlagen mit ihrem Fachwissen.» Ein guter Ansatzpunkt für Lobbyisten und ein effektiver, um auf die Entscheidungsfindung einer Partei hinzuarbeiten. Wie zwei Quellen in Berner Politkreisen durchblicken lassen, helfe eine Spende an die Parteizentrale durchaus, um auf die Verteilung der Kommissionssitze sowie die Positionierung der Fachmitarbeiter Einfluss zu nehmen.
Geht es ums Geld, sind die Parteien plötzlich sehr verschwiegen.
Es bleibt eine Vermutung. Geht es ums Geld, sind die Parteien plötzlich sehr verschwiegen. Die SVP will sich zu Parteispenden «aus Prinzip» nicht äussern, und die FDP-Kommunikationschefin Pia Guggenbühl sagt: «Wir äussern uns nicht über Firmen, welche die FDP unterstützen. Nur der Parteipräsident und der Generalsekretär wissen, ob und mit welchem Betrag eine Firma die Partei unterstützt, aber die Beträge sind auf ein Fünfzehntel des Budgets beschränkt. Damit ist die Unabhängigkeit der Fraktion sichergestellt.» Novartis sagt dazu auf Anfrage: «Die Finanzierung von Verbänden oder Parteien wird bei uns laufend überprüft. Über die Höhe der einzelnen Beiträge geben wir keine Auskunft.»
Gegenleistung für milde Gabe
Der professionelle Lobbyist Andreas Hugi glaubt nicht, dass mit Parteispenden Einfluss auf die Gesetzgebung in den Räten genommen werden kann. «Moralisch wäre das absolut verwerflich. Würde so eine Aktion ans Licht kommen, wäre der Imageverlust derart gravierend, dass niemand das Risiko eingehen will.» Überprüfen lässt sich dies aber nicht, weil die Schweiz Parteispenden nicht gesetzlich regelt. Dass aber Geld fliesst, stellen weder Novartis noch die beiden bürgerlichen Parteien ausdrücklich in Abrede. Weshalb also soll ein Unternehmen nicht bei Gelegenheit etwas für seine milde Gabe zurückerhalten?
Wahrscheinlich hat Hugi sogar recht, wenn er den direkten monetären Einfluss negiert. Gefragt, ob Frehner in Bern als verlängerter Arm von Novartis funktioniere, reagiert Daniel Stolz trotzig: «Wenn das so wäre, müsste ich ja neidisch sein. Ich habe mindestens so gute Beziehungen zur Pharmaindustrie wie er.»