Wie die Parteien im Wahlkampf auf Migrationshintergrund setzen

Die Parteien schicken Personen mit Migrationshintergrund ins Rennen – nicht zuletzt, um neue Wählerschichten zu erschliessen.

Kandidaten mit Migrationshintergrund: Rohat Kanat (SP), Abraham Sandeep (CVP), Almedina Maliqi (SP) und Mahir Kabakci (SP) kandidieren für den Grossen Rat (von links).

(Bild: Nils Fisch)

Die Parteien schicken Personen mit Migrationshintergrund ins Rennen – nicht zuletzt, um neue Wählerschichten zu erschliessen.

Die Zahl der Grossratskandidaten mit Migrationshintergrund nimmt leicht zu, wie eine Umfrage der TagesWoche unter den Parteien zeigt.

Bei der SP gibt es 14 Kandidierende, die sich aktiv zu einem Migrationshintergrund bekennen; vier mehr als 2012. Bei der FDP würde die Zahl dieser Kandidatinnen und Kandidaten leicht ansteigen, schreibt Luca Urgese, Präsident der Basler FDP. Beim Grünen Bündnis und den Grünliberalen bewegen sich die Zahlen wie vor vier Jahren auf hohem Niveau (Grüne elf Kandidaten, Grünliberale sechs). Und die SVP stellt einen Kandidaten mit Migrationshintergrund.

Die anderen Parteien geben an, dass sie über die Herkunft ihrer Kandidaten nicht Buch führen. Sie tun sich schwer mit dem Begriff Migrationshintergrund. Denn die Kandidatinnen und Kandidaten müssen ohnehin einen Schweizer Pass besitzen, um für den Grossen Rat zu kandidieren.

Grosses Wählerpotenzial

Wer einen Migrationshintergrund hat und wer nicht, werde bei der CVP nicht erfasst, schreibt der Geschäftsführer der Partei. Die LDP schreibt: «Wir betrachten alle Kandidatinnen und Kandidaten gleich und unterscheiden mit und ohne Migrationshintergrund nicht.»

Dass Personen, die seit einer, zwei oder drei Generationen in der Schweiz leben, im Wahlkampf entscheidend sein können, zeigt ein Blick auf die Einbürgerungsstatistik. Seit 1990 wurden in Basel-Stadt rund 20’000 Personen aus dem Ausland eingebürgert. Das sind fast 20 Prozent der Stimmberechtigten im Kanton.

Die meisten eingebürgerten Personen kamen aus dem ehemaligen Jugoslawien (6430 Personen), an zweiter Stelle liegt die Türkei (5261).

Albanische Community und die SP

Dass sich gerade linke Parteien um diese Wählersegmente bemühen, liege auf der Hand, sagt der Politologe Mark Balsiger. Aber auch andere Parteien wie die CVP gingen diese Wählerschicht gezielt an. «Die grosse Anzahl an Zugewanderten, die einen Schweizer Pass besitzen und sich kulturell in verschiedenen Umfeldern bewegen, können von Kandidaten mit Migrationshintergrund bei Wahlen eher abgeholt werden», sagt Balsiger.

Nach diesem Schema rekrutierte die SP im Februar eine albanische Gruppierung, wovon zwei Kandidierende nun für den Grossen Rat antreten. Almedina Maliqi erzählt: «Ein Parteimitglied kam auf uns zu und fragte, ob wir in der SP kandidieren wollen. Ich sagte zu, weil ich so etwas bewegen kann.»

Für sie sei es viel leichter, Stimmberechtigte aus der albanischen Community zur Urne zu bewegen. «Wenn ich meinen Bekannten oder Leuten auf der Strasse auf Albanisch erkläre, wie wichtig es ist, politisch etwas zu tun, gehen diese Personen eher wählen, als wenn sie eine Wahlbroschüre auf Deutsch lesen.»

Alibi-Kandidatin oder reelle Chance?

Sie sehe sich indes nicht als Alibi-Kandidatin, die für die Partei Wählerstimmen akquiriere, sagt Maliqi. «Mir ist bewusst, dass es bei der ersten Kandidatur schwierig wird, den Sprung in den Grossen Rat zu schaffen. Mit meiner Kandidatur sehe ich einfach die Möglichkeit, etwas zu bewirken und vielleicht in der Zukunft gewählt zu werden.»

Die SP-Parteisekretärin Livia Diem schreibt, die beiden Kandidierenden mit albanischem Migrationshintergrund seien «ein besonderer Erfolg» für die Partei – gerade auch, weil es in Basel «eine sehr grosse albanischsprachige Bevölkerungsgruppe» gebe.

Andere Kandidaten stört es, wenn man sie auf den Migrationshintergrund reduziert. Mahir Kabakci, der ebenfalls für die SP kandidiert, sagt, er fühle sich eigentlich nicht, als habe er einen Migrationshintergrund. «Das einzige, was auf meine Herkunft hindeutet, ist mein Name.» Für ihn zähle nur, dass er in der Stadt, in der er aufgewachsen ist, mitreden kann.

Basel-Stadt als «Musterkanton»

Für Rupan Sivaganesan, der die nationale Secondo-Organisation «Gewählte Stimme» koordiniert, gilt Basel-Stadt als «Musterkanton, was die Partizipation von Migrantinnen und Migranten angeht». Der Zuger SP-Kantonsrat sagt, mittels Integration von Migrantinnen und Migranten biete sich das «Potenzial zu mehr Demokratie».

Sivaganesan warnt jedoch davor, dass Kandidierende mit Migrationshintergrund als Alibi-Kandidaten missbraucht würden. «Sie sollten eine echte Chance erhalten, in die Politik einzusteigen.»

Dass es mit der Wahl durchaus klappen kann, beweisen die sechs Grossräte mit türkisch-kurdischem Hintergrund, die bereits heute im Kantonsparlament sitzen.

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