Schweizer Milchschokolade ist seit mehr als hundert Jahren ein beliebtes, wenn auch nicht unumstrittenes Genussmittel.
Es gab einmal eine Zeit, da fielen den Menschen aller Herren Länder, so sie denn von der Schweiz gehört hatten, zum Namen unseres Landes meist nur zwei Dinge ein: Schweizer Banken und Schweizer Schokolade.
Das war in jenen glücklichen Tagen, als sich die Welt von den Wunden des Zweiten Weltkriegs erholte und das stetige Wachstum der Wirtschaft keine Frage war.
Damals sorgte unsere Mutter dafür, dass es im Küchenkasten stets eine oder zwei Tafeln Schokolade gab. Und zwar nicht nur simple Milchschokolade, sondern auch etwas raffiniertere Créationen mit feinen Nougatstücklein oder anderen Köstlichkeiten.
Wenn Onkel Paul auf Besuch kam, hatte er für uns Buben immer eine Schokolade mit Nüssen und Rosinen dabei.
Und an Weihnachten ging in jenen Jahren jeweils ein Schokoladensegen auf uns nieder, der süsser war, als die Glöcklein je klingen.
Rohstoff aus Mexiko
Die Geschichte der Schweizer Milchschokolade – oder genauer das Vorspiel dazu – begann vor mehr als 2000 Jahren in den feuchten Tropenwäldern Mittel- und Äquatorialamerikas, als dort Menschen anfingen Kakao anzubauen und Schokolade zu trinken. Im 16. Jahrhundert dann brachten die spanischen Eroberer die Schokolade von Mexiko nach Europa.
Hier sah man in ihr zunächst nicht nur ein Genuss-, sondern auch ein vorzügliches Heilmittel. Die Historikerin Annerose Menninger bemerkt dazu:
«Der Schokolade schrieb man eine Blut verdünnende und der Verdauung vorteilhafte Wirkung zu. Besonders unterstrich man aber ihren Nährwert. Man brauchte sie als Stärkungsmittel bei Abzehrung, Durchfall, Fieber oder Rachitis, empfahl sie Müttern, Kindern und alten Menschen und schloss sogar auf einen potenzsteigernden Effekt.»
Milch und Kapital
Der Schritt von der Trinkschokolade zur Milchschokolade erfolgte im 19. Jahrhundert. In der Schweiz fand der Tüftler Daniel Peter im Jahr 1875 einen Weg, wie Milch und Schokoladenmasse dazu gebracht werden konnten, eine feste Verbindung einzugehen. Des Rätsels Lösung hiess: Man nehme Kondensmilch. (Vergleichbares war in Dresden Gottfried Jordan und August Friedrich Timaeus bereits im Jahr 1839 geglückt.)
So wichtig Peters Erfindung auch war – den Aufstieg der Schweizer Schokoladenindustrie zu einem wichtigen Sektor der Exportwirtschaft erklärt sie nicht.
Neben der Qualität des Produkts brauchte es auch das nötige Kapital, damit in raschem Tempo eine ansehnliche Zahl mittelgrosser bis grösserer Betriebe entstanden, die sich auf den internationalen Märkten behaupten konnten. Und das war reichlich vorhanden.
«In wenigen Jahren, von 1899 bis 1906», schreibt der Historiker Francesco Chiapparino, «stieg die Zahl der Aktiengesellschaften in der Schweizer Schokoladenindustrie von 4 auf 17, während das Gesamtkapital (aus Aktien und Obligationen) von weniger als 10 auf über 46 Millionen damaliger Schweizer Franken anwuchs.»
Zum Vergleich: In Deutschland nahm die Zahl der Aktiengesellschaften in der Kakaoindustrie von drei auf acht zu und ihr Kapitalvolumen stieg von weniger als vier auf etwa 25 Millionen Franken.
Exportweltmeister mit Problemen
Die Schweizer Schokoladenindustrie produzierte von Anfang an nicht nur für den Heimatmarkt. Die starke Ausrichtung auf den Export war allerdings nicht unproblematisch. Dies sollte sich in den beiden Weltkriegen und in der Zwischenkriegszeit wiederholt zeigen.
Vor dem Ersten Weltkrieg wurden rund zwei Drittel der produzierten Schokolade (rund 27’000 Tonnen) ausgeführt. 1994 betrug der exportierte Anteil noch 44 Prozent, 2010 lag er wieder bei 60 Prozent. Allerdings wird heute die im Ausland verkaufte Schweizer Schokolade zum grössten Teil auch dort hergestellt.
In jüngster Zeit ist der Stern der Schweizer Milchschokolade nicht nur punkto Export etwas am Verblassen. Das liegt nicht daran, dass sie qualitativ schlechter geworden wäre. Beileibe nicht! Die Ursache liegt vor allem in einem veränderten Umfeld.
Die Dosis machts
So wird inzwischen auch im Ausland Schokolade hergestellt, die beachtliche Gaumenfreuden auslösen kann. Zudem hat Milchschokolade nach Rezepten des ausgehenden 20. Jahrhunderts generell an Ansehen verloren, seit als echter Kenner und Geniesser gilt, wer Schokolade mit hochprozentigem Kakaoanteil favorisiert. Und schliesslich setzt dem Nimbus der zuckerhaltigen Milchschokolade auch die generelle Skepsis gegen Süssigkeiten zu.
Diese darf – gerade zur Weihnachtszeit – auch etwas relativiert werden. Denn wie Theophrastus Paracelsus (1493–1541) treffend bemerkte: «Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift ist.»