Wie ein lokales KMU unter den Folgen der Masseneinwanderungsinitiative leidet

Ein kleines Unternehmen in Schönenbuch bangt um sein Sortiment. Auf Unterstützung durch Politik und Wirtschaftsförderung kann es nicht zählen.

Auch die Qualitätsprüfung findet bei Bühlmann inhouse statt. Diese Angestellte überprüft ein neues Produkt auf Zuverlässigkeit. (Bild: STEFAN BOHRER)

Ein kleines Unternehmen in Schönenbuch bangt um sein Sortiment. Auf Unterstützung durch Politik und Wirtschaftsförderung kann es nicht zählen.

Einen Weltmarktführer stellt man sich anders vor. Unprätentiöser als bei der Bühlmann Laboratories AG könnte ein Hauptsitz kaum aussehen: Ein schmuckloser Gewerbebau an der Hauptstrasse in Schönenbuch, die Kunst ist hausgemacht, in einer Vitrine steht eine Auswahl der Produkte, der Chef holt uns persönlich am Eingang ab. Unternehmen wie Bühlmann sind gemeint, wenn regionale Politiker und Wirtschaftsförderer von «exzellenter und innovativer» Life Science sprechen.

Mit rund 50 Mitarbeitern entwickelt und produziert Bühlmann hier Diagnostika für den medizinischen Gebrauch. «Mit unseren Diagnostika suchen wir in Körperflüssigkeiten nach Merkmalen, die auf bestimmte Krankheiten hinweisen können», erklärt Thomas Hafen, CEO bei Bühlmann.

Wenn Patienten beispielsweise bei ihrem Hausarzt eine Blut- oder Stuhlprobe abgeben, ist je nach Krankheitsbild die Wahrscheinlichkeit gross, dass im Labor ein Bühlmann-Test zum Einsatz kommt. «In unserer Nische besetzen wir jeweils einen Marktanteil zwischen 60 und 80 Prozent.» Das Unternehmen – es befindet sich seit 40 Jahren vollständig im Besitz des Gründers Roland Bühlmann – erzielt damit Umsätze im unteren zweistelligen Millionenbereich.

Referat mit rotem Kopf

Der Erfolg liegt nicht zuletzt darin begründet, dass Bühlmann eine eigene Forschungsabteilung unterhält. Dort werden bestehende Produkte verbessert und neue entwickelt. Im Februar etwa will Bühlmann eine Handy-App vorstellen, die es Patienten erlaubt, wichtige Diagnostiktests selber zu machen und die Testergebnisse direkt an den Hausarzt zu übermitteln. «Damit können wir etwa bei chronischen Entzündungskrankheiten wie Morbus Crohn (eine entzündliche Darmerkrankung) eine lückenlose Überwachung gewährleisten.»



Bühlmann unterhält eine eigene Forschungsabteilung. Die internationale Zusammenarbeit mit Hochschulen ist dort eine Selbstverständlichkeit.

Bühlmann unterhält eine eigene Forschungsabteilung. Die internationale Zusammenarbeit mit Hochschulen ist dort eine Selbstverständlichkeit. (Bild: STEFAN BOHRER)

Seit etwa einem halben Jahr beschäftigt sich Hafen jedoch mit Politik statt mit Absatzzahlen und Produktinnovationen. An einer Branchen-Tagung Mitte Oktober sprach Hafen vor Kollegen aus Wirtschaft und Wissenschaft darüber, wie sein Unternehmen seit dem 9. Februar 2014 unter den Folgen der Masseneinwanderungsinitiative leide. Mit roter Krawatte und zunehmend rotem Kopf erklärte er die Folgen der Abstimmung. Dafür musste er etwas ausholen.

Direkt nach der Annahme dieser Initiative sah sich der Bundesrat gezwungen, die laufenden Verhandlungen mit der EU über die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien auszusetzen. Eine Reaktion erfolgte umgehend: Die EU hat die Schweiz aus dem europäischen Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 (H2020) ausgeschlossen. Mit diesem Programm werden Wissenschaft und Industrie in Europa gezielt gefördert. Plötzlich war die Schweiz Aussenseiter. Ausgerechnet das Land, welches im Vorgängerprogramm zu H2020 zu den erfolgreichsten gehörte und durchschnittlich jeden vierten Projektvorschlag realisieren konnte. Die EU-Programme gelten heute hierzulande als wichtigste Förderquelle, direkt nach dem Schweizerischen Nationalfonds.

Wenn das Forschernetzwerk reisst

Für Hafen und seine Firma war dieser Entscheid schwerwiegend. Als forschungsorientiertes Unternehmen ist Bühlmann auf die Zusammenarbeit mit Hochschulen im In- und Ausland angewiesen. «Jedes einzelne unserer Produkte ist aus einer Kooperation mit der Wissenschaft entstanden», sagt Hafen. Da es sich bei den diagnostischen Tests aus Schönenbuch um hochspezifische Produkte handelt, ist das Wissen dafür oft in der Schweiz gar nicht vorhanden. «Benötigen wir für einen Bluttest einen ganz bestimmten Biomarker (eine Substanz die beispielsweise mit einem Krankheitserreger reagiert), kann es sein, dass weltweit nur eine Handvoll Forscher sich damit auskennt.» Bleibt Bühlmann also der Zugang zu internationalen Forschernetzwerken verwehrt, ist das Unternehmen wirtschaftlich empfindlich getroffen.

Statt mit Absatzzahlen und Produktinnovationen musste sich CEO Thomas Hafen in den letzten Monaten mit Politik beschäftigen.

Seit dem 9. Februar zerbrechen sich Hafen und seine Kollegen bei Bühlmann den Kopf darüber, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen. Darüber, wie sie ihre Produkte auch ohne H2020 validieren könnten. Darüber, wie es wäre, die Forschungsabteilung beispielsweise nach Holland auszulagern. Darüber auch, wer ihnen dabei helfen könnte, das Ausmass ihres Problems zu begreifen. Bereits heute überlegt sich Hafen genau, ob er gewisse Stellen in der Schweiz schafft, oder ob er nicht bei einer Tochterfirma oder einem Zulieferer im Ausland ein Büro zumietet.

Denn wirklich weiterhelfen konnte Hafen bis jetzt noch niemand. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) beim Bund nicht, das Basler Regionalbüro von H2020 nicht und die Wirtschaftsförderung Baselland ebensowenig. «Egal wo ich mit meinen Fragen vorstellig geworden bin, Antworten habe ich nicht bekommen.» Das Regelwerk von H2020 ist derart komplex, dass Hafen bis heute von keiner offiziellen Stelle eine Erklärung dafür erhielt, weshalb sein Unternehmen keinen Zugang zu H2020 mehr hat.

Ratloser Wirtschaftsförderer

Umso erstaunlicher ist, was der Baselbieter Wirtschaftsförderer und SVP-Nationalrat Thomas de Courten auf Anfrage sagt: «Ich kenne den Fall und war der Auffassung, dass sich das Problem mit der Teilassozierung erledigt hat.» Falls dem nicht so sei, müsse er beim entsprechenden Departement nochmals nachhaken. De Courten hat sich damals für die Masseneinwanderungsinitiative stark gemacht, gegen erheblichen Widerstand aus der Wirtschaft.

Obwohl Unternehmen wie Bühlmann unter den Folgen leiden, sieht de Courten das Problem nicht bei dieser Initiative. «Ich bin überzeugt, die Masseneinwanderungsinitiative ist wirtschaftsverträglich umsetzbar.» Seiner Meinung nach ist die EU schuld daran, wenn Bühlmann nun um ihr Sortiment bangen muss. «Die EU hat die Zusammenarbeit in diesem Forschungsprogramm in einer ersten Überreaktion sistiert, obwohl kein unmittelbarer Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit besteht.» Wie die Teilassozierung zeige, habe die EU diese Haltung jedoch wieder relativiert.

De Courtens Ratskollege Eric Nussbaumer (SP) hat vor wenigen Tagen in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates einen Vorstoss eingereicht. Die Forderung: Der Bund soll wieder eine Vollassozierung der Schweiz bei H2020 anstreben. «Nur damit können wir die Schweiz als weltweiten Standort für Spitzenforschung aufrechterhalten.»

Gleich klingt es aus der Mitte. Die CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider sagt: «Die Teilassozierung deckt nicht alle Fälle ab, sie ist keine Lösung.» Nun werde ersichtlich, wie weitreichend die Folgen der Masseneinwanderungsinitiative seien. «Soweit haben die Befürworter damals wohl nicht gedacht.»

Die Masseneinwanderungsinitiative stellte in der komplexen Mechanik der bilateralen Zusammenarbeit ein grosses Zahnrad dar, konservative Politiker drehten mit grosser Inbrunst daran. Was sie damit auslösten, ganz unten bei den kleinen Zahnrädern, bei den KMUs auf die sie so stolz sind, daran dachten sie nicht. Und nun will Ecopop die Zuwanderung noch weiter beschränken.

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