Wie Sie abstimmen, spielt keine Rolle

Hinter der ganzen Symbolhaftigkeit der Abzocker-Initiative und ihrem Gegenvorschlag verbirgt sich: nichts.

Dagobert bleibt Dagobert, Abzocker bleibt Abzocker. Egal, wie die Abstimmung am 3. März ausgeht. (Bild: United Archives)

Hinter der ganzen Symbolhaftigkeit der Abzocker-Initiative und ihrem Gegenvorschlag verbirgt sich: nichts.

Liest man dieser Tage in einem Schweizer Medium ein «Experten-Interview» zur Abzocker-Initiative, sollte man vorsichtig sein: Im Kampf für oder gegen die Initiative von Ständerat Thomas Minder wird mit allen Tricks gearbeitet. Wie der «Tages-Anzeiger» vor zwei Wochen berichtete, hatte die Schweizer Börse aktiv versucht, ihren Chef Christian Katz für Interviews ­gegen die Initiative zu vermitteln. Mit Erfolg: Katz durfte in der «Aargauer Zeitung», im «St. Galler Tagblatt», in der «NZZ am Sonntag» und auf 20 Minuten online sein Totschlag-Argument vom «Verlust hiesiger Arbeitsplätze» verbreiten.

Die Gegenseite ist nicht minder zimperlich. Nach dem Rücktritt von Daniel Vasella bei Novartis, nach den Boni-Ankündigungen von Roche und UBS war der Reflex immer der gleiche. Tod der Abzockerei! Nieder mit der Raffgier! Ja zur Minder-Initiative!

Das Problem dabei: Befürworter und Gegner der Initiative bleiben bei ihrer Argumentation auf der Symbol­ebene. So werden die Leute im Abstimmungskampf mit löchrigem Käse und Boxhandschuhen (von Minder) oder Lupen und Katastrophenfilmen (von Economiesuisse) unterhalten. Zum Inhalt der Initiative und des Gegenvorschlags hört man selten etwas Substanzielles. Und falls doch, weiss man nie, ob die Information wertfrei oder Partei ist (wie die von Economiesuisse in Auftrag gegebene Studie bei Finanzexperte Peter V. Kunz).

Falsche Vorstellungen

Auf der Suche nach einem unabhängigen Experten landen wir in Zürich. Dort arbeitet Stefan Eichenberger seit 2011 als Gerichtsschreiber. Es ist der erste richtige Job für den 30-jährigen jungliberalen Gemeinderat von Illnau-Effretikon. Vor der Anstellung hat er seinen Doktor in Rechtswissenschaften gemacht. Thema seiner Disserta­tion: «Entschädigungs­ausschüsse im Schweizer Aktien­recht»­.­

Eichenberger hat sich in seiner 200 Seiten starken und bisher unbeachteten Abhandlung mit Initiative und Gegenvorschlag (Stand 2010) auseinandergesetzt. Sein Fazit fällt ernüchternd aus: «Beim Ausbau der Aktionärsdemokratie (…) scheinen die Vorstellungen zu stark von der staatlichen Demokratie geleitet zu sein.»

Es geht um die Rechte der Aktionäre. Nicht um Demokratie.

Während in einer echten Demokratie jeder Bürger eine Stimme hat, gilt bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (und nur dort kommen Initiative und Gegenvorschlag zur Anwendung) das Prinzip: eine Aktie, eine Stimme. «Dies führt dazu, dass es im Wesentlichen institutionelle Investoren sind, welche die Entscheidungen treffen, und nicht die zahlreichen Kleinaktionäre.»

Heisst: Es spielt im Grunde keine ­Rolle, ob die Summe aller Vergütungen der Geschäftsleitung zwingend (wie in der Initiative vorgesehen) oder nur konsultativ (wie es der Gegen­vorschlag will) dem Aktionariat vorgelegt wird: Wie die Erfahrung zeigt, stellen sich die grossen Aktionäre, die «institutionellen Investoren», fast nie gegen den Verwaltungsrat. Um die Vergütungsexzesse zu unterbinden, müssten die Investoren an der General­versammlung eine aktivere Rolle einnehmen, «und das zu erreichen, ist ziemlich schwierig», sagt ­Eichenberger.

Falsche Erwartungen

Die Absegnung der Vergütungen ist der zentrale Unterschied zwischen Initiative und Gegenvorschlag. Die anderen Unterschiede – laut Initiative müssen Pensionskassen neu «im Sinne» ihrer Mitglieder abstimmen und der Verwaltungsrat ist nur noch für ein Jahr gewählt (drei Jahre im Gegenvorschlag) – sprechen für Eichenberger eher für die Annahme des Gegenvorschlags. Der Jungliberale ist skeptisch gegenüber staatlichen Regulationen. Dennoch ist Eichenberger überzeugt: «Die Abstimmung schürt falsche Erwartungen auf beiden Seiten.»

Eine der beiden Seiten hat das kürzlich selber zugegeben: Abzocker-Initiant Thomas Minder sagte in einem Interview mit «Le Temps» (in der Übersetzung der NZZ): «Ich habe nie gesagt, dass mein Ziel die Senkung der Löhne sei. (…) Wenn die Aktionäre Firmengeld verschwenden, indem sie überrissene Bezüge bewilligen, ist das ihr Problem.»

Tja, unser Problem ist es in der Tat nicht. Wir müssen nur abstimmen. Wie, spielt keine Rolle.

Quellen

Kurzfassung der Studie von Peter V. Kunz.

Der «Tages-Anzeiger» über die Kampagne von Economiesuisse.

Der Börsen-Chef Christian Katz auf einem kleinen Medienrundgang in der «Aargauer Zeitung», im «St. Galler Tagblatt», in der «NZZ am Sonntag» und auf 20 Minuten online.

Thomas Minder in «Le Temps» und in der NZZ.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 08.02.13

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