Wieso die Zauberer aus «Now You See Me 2» plötzlich in China landen

Der chinesische Markt wird für grosse US-Filmstudios immer wichtiger. Um auf die Leinwände im Reich der Mitte zu kommen, entschärfen sie aus Angst vor der Zensur ihre Drehbücher.

BEIJING, CHINA - APRIL 06: (CHINA OUT) Actor Robert Downey Jr. and Chinese actor Huang Xiaoming (R) attend 'Iron Man 3' Beijing premiere at the Forbidden City on April 6, 2013 in Beijing, China. (Photo by VCG/VCG via Getty Images)

(Bild: Getty Images/VCG)

Sie sind zurück, und man hat sie nicht wirklich kommen sehen: In «Now You See Me 2» führen vier Magier die Welt wieder an der Nase herum, nachdem sie im ersten Teil einen hinterhältigen Versicherungsmagnaten ausgenommen haben.

So kurzweilig abstrus die Robin-Hoodiade mit Jesse Eisenberg, Woody Harrelson und Morgan Freeman aus dem Jahr 2013 war, mit einer Fortsetzung hatte niemand gerechnet. Doch jetzt sprengen die «Vier Reiter» den Firmenanlass eines US-Hightech-Fieslings und kommen plötzlich selbst in die Bredouille: Nach der Flucht über ein Dach springen die vier in ein Bauschuttrohr und landen – im chinesischen Macau!

Ex-Hogwarts-Zauberschüler Daniel Radcliffe nimmt die vier verwirrten Illusionisten in Empfang und klärt sie über die rätselhafte Reise ins Reich der Mitte auf: alles nur ein Trick. Was er nicht erklärt, ist, was hinter dem Schauplatzwechsel wirklich steckt, nämlich eine simple Zahl: 49.

China überholt die USA als Filmmarkt

Um 49 Prozent ist der Umsatz des chinesischen Filmmarktes im vergangenen Jahr auf fast acht Milliarden US-Dollar gestiegen, während das Geschäft in Nordamerika im gleichen Zeitraum um nur acht Prozent auf elf Milliarden zulegte. In China werden pro Tag im Schnitt 22 neue Leinwände eingerichtet! Bei diesem enormen Wachstum wird China die USA bald als wichtigster Filmmarkt übertrumpft haben: Analysten rechnen damit, dass es bereits im kommenden Jahr so weit sein könnte.

Für das Blockbuster-Kino aus Hollywood hat das weitreichende Folgen. Im Schnitt belaufen sich die Kosten für eine Grossproduktion wie «The Avengers», «Transformers» oder «Star Trek» auf 200 Millionen Dollar, dazu kommen noch einmal bis zu 100 Millionen für das Werbebudget. Um solche Mammutprojekte zu stemmen, reicht der US-Heimmarkt längst nicht mehr aus. Die USA muss auch in Übersee und besonders in China erfolgreich sein, wo Hollywood-Filme seit 2009 jedes Jahr zwischen 43 und 51 Prozent des chinesischen Boxoffice ausmachen.

Dass es nicht noch ein grösserer Anteil ist, liegt an der Quotenregelung der chinesischen Regierung. Jahrzehntelang hatte die kommunistische Partei ihre Kinogänger mit Propaganda vergrault, bis das heimische Filmgeschäft am Boden lag. 1994 wurde mit «The Fugitive» erstmals wieder ein westlicher Film zugelassen, seither dürfen jährlich bis zu 34 ausländische Produktionen gezeigt werden: nicht viel, verglichen mit dem enormen Hollywood-Output (circa 500 Filme pro Jahr). Deshalb versuchen US-Studios alles Mögliche, um in die Ränge zu kommen.

Koproduzieren, um Quoten zu umgehen

Das Besetzen von Nebenrollen mit «Alibi»-Chinesen oder die Wahl eines chinesischen Schauplatzes gehören ebenso dazu wie zusätzliche Szenen mit chinesischen Schauspielern für den Heimmarkt sowie Product Placement: In «Captain America: Civil War» etwa telefoniert Tony Stark mit einem chinesischen Billighandy. Und dass Matt Damon in «Jason Bourne» so wenig Worte macht, könnte auch damit zu tun haben, dass junge Chinesen sich ihre Action nicht zerreden lassen wollen. 

Doch das ist nichts im Vergleich zu «Warcraft: The Beginning», der wohl nur deshalb zustande kam, weil die meisten Spieler des populären Strategiespiels aus China stammen. In den USA floppte die Game-Adaption, in China dagegen war sie ein Renner. Dabei konnte Universal Pictures auf die Mithilfe der chinesischen Regierung setzen, die private Investitionen in Hollywood fördert: Milliardär Wang Jianlin hat zu Jahresbeginn nicht nur das «Batman»-Studio Legendary gekauft, er ist auch an «Warcraft» beteiligt.

Während die Kinoeinnahmen in den USA (blau) stagnieren, legen diejenigen in China stetig zu. (Bild: Box Office Mojo)

«Now You See Me 2» verrät das gleiche Muster: Auch hier investierte mit Hunan TV ein chinesisches Unternehmen, entsprechend erfolgreich schnitt die Zauberei ab. In China spielte der Film mit 234 Millionen Dollar doppelt so viel ein wie in den USA und bescherte dem verantwortlichen Studio Lionsgate seinen bisher besten Start im Land der Mitte.

Solche Koproduktionen zwischen Hollywood und chinesischen Studios werden immer häufiger, da die dabei entstehenden Filme nicht als «ausländisch» gelten und deshalb auch nicht der Quotenregelung unterliegen. Sie haben für US-Studios zudem den Vorteil, dass sie einen höheren Prozentsatz der Einnahmen in die eigene Kasse spülen.

Bloss kein böser Chinese

Um die staatliche Zensurstelle der chinesischen Regierung aber kommen weder einheimische noch ausländische Filme herum. Und hier ist Leisetreterei gefragt. Filme wie «Kundun» von Martin Scorsese oder «Seven Years in Tibet», beide aus dem Jahr 1997 und über das Leben des Dalai Lama, würden heute in dieser Form nicht mehr finanziert: Sowohl die Walt Disney Studios wie auch Sony Pictures Entertainment wurden nach der Veröffentlichung von China – wenn auch nur temporär – geächtet.

US-Wirtschaftsbericht zum chinesischen Filmmarkt als PDF

Doch nicht nur politisch will die Volksrepublik ihre schmutzige Wäsche für sich behalten: In «Mission: Impossible 3» wurde aus Schanghais Stadtbild eine Wäschezeile gelöscht – zu ärmlich für das Selbstverständnis einer boomenden Industrienation. In «World War Z» war das mörderische Zombie-Virus nicht mehr chinesischen Ursprungs, und der Film «The Karate Kid» wurde, trotz einem vorher abgesegneten Script, komplett gesperrt. Grund: Der Bösewicht ist ein Chinese.

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In vorauseilendem Gehorsam schreibt Hollywood deshalb seine Drehbücher um: Aus dem orientalischen «Mandarin» in «Iron Man 3» wird eine Marionette, die vom wahren Bösewicht, einem Amerikaner, gelenkt wird. Und auch in «Now You See Me 2» sind die Schurken dekadente Westler, die mit einer Schnüffel-Software nach Reichtum streben – für den autoritären Überwachungsstaat China, der seinen Bürgern auf Schritt und Tritt folgt, offenbar kein Problem.

Die Darstellung von Homosexualität (kein Kuss für Sulu in «Star Trek Beyond»!), Drogenmissbrauch oder gar sozialen Spannungen dulden die Zensoren ohnehin nicht, mit Vorliebe werden deshalb Action- und Animationsfilme für die spendierfreudige, aber anspruchslose chinesische Mittelschicht programmiert: effektüberladen, laut und politisch unbedarft. 

Solange Hollywood also auf das schnelle Geld aus ist und sich chinesische Kinogänger keinen besseren Filmgeschmack leisten können, wird auch die Zahl der interkontinental stromlinienförmigen Blockbuster weiter steigen: «Now You See Me 3» ist dem Vernehmen nach bereits in Arbeit.

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