Am Mittwoch erscheint die 1178. Nummer der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo». Auch die Verletzten der Terroranschläge sind von der Partie. Die Toten sowieso.
Schreie, Lachen, dann Applaus. So reagierten die «Charlie»-Macher auf die neuste Titelseite des Wochenblattes, als Luz sie ihnen präsentierte. Der Zeichner und Überlebende des Terroranschlags vom 7. Januar, mit vollem Namen Renald Luzier, 42-jährig und an einem 7. Januar auf die Welt gekommen, fand vielleicht die beste aller Lösungen: Eine nachsichtige Karikatur, fern jeder Aggressivität, auch wenn ein klarer Standpunkt markiert wird.
Ohne Mohammed-Karikatur ging es nicht, nach all dem, was in den letzten Tagen in Paris und weit darüber hinaus passiert ist. Keine Haudrauf-Satire, die Zeichnung hat auch nichts Schlüpfriges, sie will sogar versöhnlich sein. Und natürlich schwingt auch die tiefe Trauer mit, mit der die Humoristiker vom Dienst in ihrem neuen Leben und in ihren neuen Redaktionsräumen umgehen müssen.
Kolumnist Antonio Fischetti umschreibt die Stimmung in der Redaktion mit einer «Mischung von Emotion und Arbeit».
Wie begeistert die «Charlie»-Macher die Titelseite aufgenommen haben, berichtet ein Journalist der linken Zeitung «Libération», bei der «les Charlies» Unterschlupf gefunden haben, nachdem ihre Büros im 11. Stadtbezirk von den Gewehrsalven verwüstet worden sind. Der Libé-Redaktor hat als einer von wenigen Zugang zu den «Charlie»-Leuten. «Kein Journalist» steht in roten Lettern an der Tür zur improvisierten Redaktion. Davor tummeln sich eine Menge von ihnen, aus aller Herren Ländern. Sie hatten schon genug Mühe, in das scharf bewachte Gebäude nahe der Place de la République zu gelangen. Und natürlich wollen alle wissen, was am Mittwoch im Blatt stehe. Doch das ist vertraulich. Nur die Titelseite wurde vorab publiziert, wohl um etwas Spannung wegzunehmen.
Viele andere Karikaturisten, unter ihnen der bekannteste Franzose, Plantu von «Le Monde», hatten ihre Kooperation anerboten. Die rund zwanzig überlebenden «Charlie»-Satiriker lehnten ab. Ihre neue Nummer soll so «normal» sein wie möglich, angesichts der tragischen und hochdramatischen Umstände. Der mitwirkende Kolumnist Antonio Fischetti umschreibt die Stimmung in der Redaktion mit einer «Mischung von Emotion und Arbeit».
Der Humorist Guy Bedos hat einen Nachmittag lang um seine ermordeten Freunde geweint. Und die «Charlie»-Macher, die den Opfern noch viel näher waren und standen? Sie mussten nun Scherze und Pointen suchen und ihre Trauer herunterschlucken.
Wenn sich die Türe öffnet, dringen Rauchschwaden nach aussen. Die Spontis haben sich auch in ihrer alten Redaktion nie an das gesetztliche Rauchverbot in offenen Räumen gehalten. Und jetzt drückt auch die «Libération» beide Augen zu: Die Charlies stehen schon zu sehr unter Spannung, als dass man ihnen auch noch «la clope» (Glimmstengel) verbieten will.
Zum nahenden Redaktionsschluss kommt auch die emotionale Spannung, das Bewusstsein, im globalen Rampenlicht zu stehen, nicht zuletzt bei schiesswütigen Islamisten. Und dann die Traurigkeit. Der Humorist Guy Bedos erklärte am Dienstag, er habe einen Nachmittag lang um seine ermordeten Freunde geweint. Und die «Charlie»-Macher, die den Opfern noch viel näher waren und standen? Sie mussten nun Scherze und Pointen suchen und ihre Trauer herunterschlucken – bis zum Redaktionsschluss, wenn die neuste, die wichtigste Ausgabe in die Druckerei ging.
Noch einmal werden darin bekannte, eigentlich nicht von «Charlie Hebdo» wegzudenkende Namen Charb, Cabu oder Wolinski unter einzelnen Karikaturen stehen – obwohl deren Autoren nicht mehr am Leben sind. Von Elsa Cayat, die ebenfalls ihr Leben liess, ist dem Vernehmen nach noch eine Posthum-Kolumne in der Ausgabe, die für einmal nicht 16, sondern nur acht Seiten umfassen dürfte. Der Korrektor Mustapha Ourad und die mit ihm ermordeten Polizisten Frank Brinsolaro und Ahmed Merabet werden auch in irgendeiner Form vorkommen.
Charlie kaufen ist jetzt ein Bürgerakt, ein politischer Standpunkt.
Laurent Sourisseau alias Riss hat seinerseits eine Zeichnung beigesteuert, trotz seiner Schussverletzung an der rechten Schulter. «Ça va, er zittert immer weniger», meinte eine Redaktionsstimme, als sie die letzte Riss-Karikatur aus dem Krankenhaus erhielt. In der vorhergehenden, der 1177. Nummer, die schon gedruckt war, als der Anschlag erfolgte, hatte Riss noch frech gewitzelt: Auf einer Illustration zu einem kritischen Bericht über den Air-Asia-Absturz fragt die Stewardess den Piloten der gerade ins Meer stürzenden Maschine: «Wollen Sie Fisch oder Hähnchen, Kommandant?» Der Angesprochene erwidert: «Ich glaube, diesmal wird es für alle Fisch geben.»
Solche oft unverschämten Zeichnungen sind nicht nach jedermanns Geschmack. 50’000 verkaufte Zeitschriften pro Wochen, das war für französische Verhältnisse nicht gerade eine Grossauflage. Von der Nummer 1178 werden drei Millionen Exemplare gedruckt. «Charlie» kaufen ist jetzt ein Bürgerakt, ein politischer Standpunkt. Und dann will sich Charlie auch selber auf die Schippe nehmen, um nicht nur gegenüber anderen unverfroren zu sein.
Noch am vergangenen Wochenende war eine Auflage von einer Million geplant gewesen. Doch wenn allein schon alle Teilnehmer der sonntäglichen Monsterkundgebungen eine Ausgabe kaufen würden, läge der Bedarf bei nahezu vier Millionen. Und auch ins Ausland werden zahllose Exemplare gehen. Dabei wollen viele Blätter rund um den Planeten einige Seiten oder die ganze Ausgabe als Beilage drucken. Aus allen Weltgegenden trafen zudem Geldspenden ein. Das französische Kulturministerium gab 300’000 Euro, Air France wird die Ausgabe unentgeltlich in die ganze Welt hinaustragen. Und mit ihr die «Charlie»-Botschaft, die deren Anwalt Richard Malka mit einem ganz kurzen Satz zusammenfasst: «Wir geben nicht nach.»