«Wir haben den Propheten gerächt!»

Mindestens zwölf Menschen starben am Mittwochmorgen bei einem Terroranschlag auf das französische Satiremagazin «Charlie Hebdo», das umstrittene Mohammed-Karikaturen publiziert hatte. Die Regierung hat eine Grossfahndung nach den schwer bewaffneten Attentätern eingeleitet.

Eine Stadt unter Schock: Seit Mittwochmorgen gilt für den Grossraum Paris «Attentatsalarm». (Bild: CHRISTIAN HARTMANN)

Mindestens zwölf Menschen starben am Mittwochmorgen bei einem Terroranschlag auf das französische Satiremagazin «Charlie Hebdo», das umstrittene Mohammed-Karikaturen publiziert hatte. Die Regierung hat eine Grossfahndung nach den schwer bewaffneten Attentätern eingeleitet.

Das Viertel südlich der Metrostation Richard-Lenoir ist an normalen Tagen still und verlassen. Doch der Mittwoch wird nicht als normaler Tag in die französische Geschichte eingehen. Laut knallten mehrere Schüsse durch die Gassen; gut hörbar waren Rufe wie «Allahu Akbar» (Gott ist gross).

Drei Männer waren in einem dunklen Citroën mit verdunkelten Scheiben vor der Redaktion von «Charlie Hebdo» vorgefahren. Zwei vermummte Angreifer erzwangen sich mit Kalaschnikows den Zutritt zu den Büros, wo um elf Uhr gerade eine Redaktionskonferenz stattfand. Mit ihren schweren Waffen erschossen die Täter gezielt Zeichner und Journalisten, darunter den Chefredaktor Stéphane Charbonnier, der sich unter dem Kürzel Charb als Mohammed-Karikaturist einen Namen gemacht hatte. Unter den Opfern sind auch die drei landesweit bekannten Karikaturisten Cabu, Wolinski und Tignous.

Während des Anschlags riefen die Täter laut Augenzeugen auch: «Wir haben den Propheten Mohammed gerächt!» Nach der rund zehnminütigen Schiesserei verliessen die Attentäter den Tatort ohne besondere Eile.

Bislang blutigster Anschlag in Frankreich

Als sie in einer Einbahnstrasse davonfahren wollten, versperrte ihnen eine herbeieilende Polizeipatrouille zuerst den Weg. Die Polizisten hatten aber den schweren Waffen der Terroristen nichts entgegenzusetzen und musste mit ihrem Fahrzeug zurückweichen.

Der schwarze Citroën fuhr daraufhin zur Porte de Pantin am Stadtrand von Paris. Dort nahmen die Täter eine Geisel und setzten sich Richtung Banlieue ab. Vorläufige Bilanz: zwölf Tote, darunter zwei Wachpolizisten, vier Schwer- und weitere Leichtverletzte.

Staatschef François Hollande besuchte nur gut eine Stunde später den Tatort und sprach in einem improvisierten Auftritt von einer «aussergewöhnlichen Barbarei».

Staatschef François Hollande besuchte nur gut eine Stunde später den Tatort und sprach in einem improvisierten Auftritt von einer «aussergewöhnlichen Barbarei». (Bild: REMY DE LA MAUVINIERE)

Der blutigste Terroranschlag Frankreichs seit je bewirkte landesweit schockierte Reaktionen. Staatschef François Hollande besuchte nur gut eine Stunde später den Tatort und sprach in einem improvisierten Auftritt von einer «aussergewöhnlichen Barbarei». Premierminister Manuel Valls löste sofort eine Fahndung aus. Zudem hob er das Antiterror-Dispositiv auf seine höchste Stufe.

Der Grossraum Paris steht nun unter «Attentatsalarm». Bisher schon zirkulierten in französischen Bahnhöfen und Flughäfen Militärpatrouillen – jetzt erhalten sie weitere Verstärkung. Redaktionen, Kaufhäuser, Kultus- und andere Orte werden ausserdem speziell bewacht.

Karikaturisten seit 2013 unter Polizeischutz

Für die Redaktion von «Charlie Hebdo» kommen die Massnahmen zu spät. Das kleine, aber bekannte Satiremagazin mit starkem Linksdrall hatte seit 2013 schon Sonderschutz genossen, nachdem es einmal mehr Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte. «Charb» wollte mit diesen bewusst unflätigen Zeichnungen ein Zeichen setzen, dass man vor religiösen Eiferern nicht weiche.

Mit der Zeit hatten die Anarchos von «Charlie» aber selbst genug von der ständigen Polizeiüberwachung; einige Mitarbeiter konnten sich nur noch mit einem persönlichen Geleitschutz bewegen. So war die Redaktion am Mittwoch nicht mehr rund um die Uhr geschützt.

Mitarbeiter einer benachbarten Presseagentur filmten die mörderische Attacke mit ihren Handys von ihren Bürofenstern aus. Man hört darauf nicht nur die Schüsse, sondern auch Allahu-Akbar-Rufe. Anwohner erklärten, sie hätten zuerst an einen Filmdreh geglaubt. Erst als die Flammen aus den Gewehrläufen geschossen seien, hätten sie den Ernst der Lage erkannt.

In Paris fanden am Mittwochabend mehrere spontane Solidaritätskundgebungen für die Opfer und die «Charlie Hebdo»- Redaktion statt. Rufe erklangen, das Satiremagazin müsse so rasch wie möglich wieder erscheinen.

Houellebecq auf dem Cover

Zu sehen war an den Treffen auch die Titelseite der neuen «Charlie»-Ausgabe. Darauf ist der Autor Michel Houellebecq abgebildet, der zufällig am gleichen Tag seinen sechsten Roman «Soumission» herausgebracht hatte (die deutsche Version «Unterwerfung» wird in einer Woche erscheinen).

Cover der jüngsten Ausgabe von «Charlie Hebdo», die den umstrittenen neuen Roman «Unterwerfung» von Michel Houellebecq thematisiert. Der Autor zeichnet in seinem Buch das Szenario einer Islamisierung Frankreichs unter einem muslimischen Präsidenten.

Cover der jüngsten Ausgabe von «Charlie Hebdo», die den umstrittenen neuen Roman «Unterwerfung» von Michel Houellebecq thematisiert. Der Autor zeichnet in seinem Buch das Szenario einer Islamisierung Frankreichs unter einem muslimischen Präsidenten. (Bild: JACKY NAEGELEN)

Das Buch schildert die Wahl eines moslemischen Präsidenten 2022 in Paris und die nachfolgende Islamisierung Frankreichs. In der «Charlie»-Karikatur meint Houellebecq: «2015 werde ich meine Zähne verlieren.» Und in einer zweiten Sprechblase: «2022 werde ich den Ramadan machen.» Das Ganze segelte unter der Überschrift «Die Vorhersagen des Zauberers Houellebecq.» Nur den Terroranschlag des 7. Januar 2015 hatten weder er noch «Charlie Hebdo» vorhergesehen.


Nach dem Anschlag auf «Charlie Hebdo» ging eine Welle der Solidarität durch die sozialen Medien – massenhaft verbreitet und geteilt wurden auch legendäre «Charlie»-Cartoons.

Nächster Artikel