Wirrungen um Basels Verkehr

Anfang 2014 wird das neue Verkehrsregime für die Innenstadt eingeführt. Den Durchblick haben die wenigsten.

Basels City soll weitgehend autofrei werden. Ein Viertel der Stadt ist derzeit Verkehrsfläche. Auch die Zahl der gebührenfreien Parkplätze soll reduziert werden. Die rund 100'000 Parkplätze nehmen 1,2 Quadratkilometer ein – oder: das gesamte Gundeli. (Bild: Nils Fisch, Tino Bruni)

Anfang 2014 wird das neue Verkehrsregime für die Innenstadt eingeführt. Den Durchblick haben die wenigsten.

Für Fussgänger besteht kein Grund zur Aufregung. Das neue Verkehrskonzept für die Basler Innenstadt erlaubt es ihnen weiterhin, zu flanieren, wo es ihnen gefällt. Ausserdem setzen sie sich künftig weniger Gefahren durch den motorisierten Verkehr aus, da Autos und Roller weitgehend aus dem Stadtzentrum verbannt werden.

In vielen Strassen im Zentrum gilt neu das Schritttempo. «Um eine Verlagerung vom moto­risierten Individualverkehr auf den Velo- und Fussgängerverkehr zu erreichen, wird dem Langsamverkehr ausreichend Raum zugebilligt», heisst es im Legislaturplan der Regierung.

Und das passiert jetzt: Die Innenstadt wird ­autofrei, in der darumliegenden Zone innerhalb des Cityrings gilt Tempo 30. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Fast täglich sorgen Unklarheiten für Schlagzeilen. Ein Aspekt der momentanen Verwirrung ist auf den plötzlichen E-Bike-Boom zurückzuführen: Die Regierung hat ihr Legislaturziel zu einem Zeitpunkt definiert, als der Grossteil der Velos noch allein durch die Muskelkraft ihres ­Besitzers ins Rollen kam. Das Elektrovelo war Senioren vorbehalten und galt vielen als Fahrzeug für Gebrechliche. 

Das E-Bike als Politikum

Heute, vier Jahre später, rasen auch junge Frauen und Männer mit dem motorunterstützten Fahrrad durch die Gassen und ersparen sich so Schweissringe unter den Armen bei der Ankunft am Ziel. Der E-Bike-Boom wäre durchaus im Sinne des Umweltschutzes und der entsprechenden Legislaturziele – würde das Wort «rasen» nicht auf das Fahrverhalten vieler Neo-Elektrovelo­fahrer zutreffen.

Und weil erst seit Kurzem von einem Boom gesprochen werden kann, sind Elektrovelos erst vor Kurzem zum Politikum geworden. Namentlich, als die «Basler Zeitung» vor gut zwei Wochen titelte: «Polizei sperrt Innenstadt für Elektrovelos – Fahrräder mit Kontrollschild werden in autofreier Zone nicht geduldet». Der Aufschrei war gross, schliesslich macht die erwähnte «autofreie Zone» in Zukunft den grössten Teil der Innenstadt aus.

E-Bikes im Zentrum erlaubt – ohne Motor

Doch diesmal waren es nicht die Autofahrer, die auf die Barrikaden gingen, sondern die sonst oft bevorzugten Velofahrer. Ein Verbot für das Verkehrsmittel Nummer eins, bloss weil daran eine Nummer haftet – das könne doch nicht ernsthaft durchgesetzt werden, schrieben sich Kommentatoren in Internetforen die Finger wund.

Die Erlösung kam bald. Schon am darauffolgenden Tag schrieb die BaZ: «Verkehrspolizisten krebsen zurück – Verbot für Elektrovelos mit Nummernschild in Innenstadt als nichtig erklärt.» Die Folge war kein kollektives Aufatmen, sondern die endgültige Verwirrung beim Volk – und auch bei den Politikern, die das Regime vorangetrieben hatten. Von links bis rechts gingen Vorstösse zum Thema ein; in den kommenden Wochen, wenn der Grosse Rat nach seiner Sommerpause wieder tagt, gilt es, diese zu behandeln.

«Ehrlichkeit der Lenker»

Bernhard Frey Jäggi muss als Leiter Verkehr der Basler Polizei den politischen Willen umsetzen. Geduldig erklärt er, was es mit den E-Bikes auf sich hat. Sämtliche Arten dieser Velos, auch jene mit Schild, seien weiterhin auf den Routen des öffentlichen Verkehrs zugelassen, beruhigt er. Aber: «Auf den Velorouten in den Begegnungszonen müssen Velos mit gelbem Nummernschild den Motor abstellen.» Basel werde es Zürich gleichtun und auf die «Ehrlichkeit der Lenker» setzen.

Die Ordnungshüter werden nicht zusätzliche Mittel zur Verfügung haben, um Motorkontrollen bei E-Bikes durchführen zu können. Ausserdem kommen mit dem neuen Verkehrsregime noch ganz andere Neuerungen auf die Polizei zu. Wobei nicht all diese Änderungen unter dem Titel «Verkehrs­regime» laufen, sondern manche auch der «Parkraumbewirtschaftung» zuzuschreiben sind. Was dem Bürger jedoch egal sein kann. Er will wissen: Was ändert sich für mich? Um ein umfassendes Bild zu zeichnen, legen wir vor dem Thema Auto einen Stopp bei den Motorrädern ein. Ein Bereich, der ebenfalls für Verwirrung und Unsicherheit sorgt.

Parkgebühren gelten auch für Elektroroller

Vor knapp einem Jahr hat die von SP-Grossrätin Brigitte Heilbronner initiierte Parkgebühr für ­Roller in der Innenstadt mindestens so hohe Wellen geworfen wie die Posse um die E-Bikes diesen Sommer. Mit einem Unterschied: Hier krebst niemand zurück. Die Gebühr ist beschlossene Sache und soll mit dem neuen Verkehrskonzept eingeführt werden. Die 36 zahlpflichtigen Standorte werden in der Innenstadt und beim Bahnhof SBB installiert.

Für die erste halbe Stunde bezahlt der Lenker tagsüber 50 Rappen, für jede weitere Stunde auch. Parkkarten sind keine vorgesehen, einzig Anwohner sollen ihre Roller mit einer Dauerbewilligung kostenlos parkieren können. Jeder andere Fahrer aber muss künftig einen freien Parkplatz suchen und diesen auch bezahlen – den Roller einfach aufs Trottoir oder neben Velos zu stellen, geht nicht mehr.

Beschränkte Anzahl Rollerplätze

Anders als Autos dürfen Motorräder zeitlich ­unbeschränkt auf einem Parkfeld stehen bleiben. Damit der Halter nicht jede Stunde neu bezahlen muss, kann er die anfallende Gebühr ausrechnen und auf einmal bezahlen. Probleme könnte es eher wegen der beschränkten Parkplätze geben: Insgesamt soll es deren 334 im Bereich um das Zentrum geben, namentlich werden diese unter anderem bei der Heuwaage, der Schifflände, im Gebiet Clarastrasse und beim Bahnhof SBB entstehen. Für Rollerfahrer wird das bedeuten: Sie müssen morgens genug Zeit einberechnen, wenn sie nicht zu spät zur Arbeit kommen wollen – denn die Anzahl Parkplätze ist beschränkt.

Doch nicht nur ­deswegen hält CVP-Grossrat Markus Lehmann die Gebühr für unsinnig. Vor einem Jahr wollte er die Regelung auch wegen der vielen jungen Rollerfahrer verhindern – und reichte einen Vorstoss ein. Die Regierung hielt an der Parkgebühr fest.
An Lehmanns Haltung hat sich nichts geändert, wie unsere aktuelle Wochendebatte zeigt. Er schreibt, das Ganze sei nichts als eine «Bevölkerungs-Nerv-Aktion». Mit dieser Haltung steht er nicht allein da: Die Junge SVP Basel-Stadt plant eine Volksinitiative «für ein mobiles Basel ohne Gebühren für Zweiräder». Allerdings könne diese nur mit geeigneten Partnern lanciert werden, sagt Vizepräsident Pascal Messerli. Diese Partner habe die Partei noch nicht gefunden.

Ein Pilotprojekt mit 
versenkbaren Pollern am Spalenberg macht die Sache nicht einfacher.

Andere Politiker wehren sich nicht grundsätzlich gegen eine Parkgebühr, sind aber der Ansicht, Elektroroller sollten davon ausgenommen werden. Im Gegensatz zu Markus Lehmann hegt der grünliberale Aeneas Wanner noch Hoffnungen. «Bei der Parkplatzbewirtschaftung geht es auch um eine Lenkungswirkung», schreibt er in einem Anzug – und verlangt, dass «saubere Elektroroller» von der Gebühr befreit werden. Die Antwort steht noch aus.

Bernhard Frey Jäggi kann in seiner Funktion als Verkehrschef keine politische Stellungnahme vorwegnehmen, doch er äussert Bedenken zur prak­tischen Umsetzung der Kontrollen: «Von aussen sieht man einem Roller nicht an, wie er betrieben wird» – weshalb es für einen Polizisten unmöglich sei, die Fahrzeuge zu unterscheiden. Wanner hält mit einem technischen Argument dagegen: «Am Auspuff kann man sehr wohl erkennen, wie ein Roller angetrieben wird. Doch um das zu sehen, muss man sich bücken.» Er glaube ­daran, dass sein Anliegen durchkommen könnte.

Verzögerung wegen Einsprachen möglich

Solche Probleme kennen Autofahrer nicht. An den neuen Parkregeln gibt es nichts mehr zu rütteln, in manchen Quartieren gelten sie bereits. Weisse Zonen werden nach und nach in blaue umgewandelt, womit Gratisparkieren bald der Vergangenheit angehört. In der Innenstadt selber wird es nicht einmal mehr blaue Plätze geben, einzig Anwohner werden ihr Auto längere Zeit stehen lassen können.

Dieses Thema mag derzeit noch verwirren, doch ist es eine Frage der Erfahrung, bis alle den Durchblick in Sachen Parkkarten-Möglichkeiten haben. Mit der Umsetzung des Verkehrsregimes selber könnten jedoch noch einige Brocken auf die Verwaltung zukommen. Ende Oktober werden die Verkehrsanordnungen im Kantonsblatt publiziert. Eine Anordnung wird beispielsweise den Steinenberg betreffen, der autofrei werden soll – was nicht alle motorisierten Stammgäste der «Kunsthalle» oder des Theaters freuen dürfte und zur einen oder anderen Beschwerde führen könnte. Einsprachen dieser Art kennt man bei der Verwaltung nur zu gut: Das jetzige Verkehrskonzept ist eine ab­geschwächte Form einst radikalerer Pläne, zum Kompromiss kam es, nachdem das ursprüngliche Konzept in elf Verfassungsklagen kritisiert worden war.

Zulieferer müssen noch Lösungen finden

Ebenfalls noch nicht in Stein gemeisselt sind die Regeln für Zulieferer. Wochentags dürfen Geschäfte bis um elf Uhr beliefert werden, samstags bis um neun Uhr. Doch was passiert, wenn ein Laden oder ein Restaurant später öffnet? Was geschieht mit Kunden von Firmen, deren Tiefgaragen sich in der autofreien Zone befinden? Und was ist mit den Ladenbetreibern selber? Dürfen sie ihre Kunden künftig nur noch in den Morgenstunden beliefern?

Geschäfte wie etwa der Kost Sport in der Freien Strasse tun sich schwer mit dem neuen Regime. Für jede Skilieferung vorgängig eine Kurzbewilligung einzuholen, wie dies künftig private «Zügler» oder Handwerker tun müssen, sei ein Ding der Unmöglichkeit und teuer. Das haben inzwischen auch die Behörden eingesehen und zugesichert, das Konzept werde zumindest für den oberen Teil der Freien Strasse erst dann umgesetzt, wenn das Kunstmuseum-Parking stehe. Wann das sein wird, ist offen.

Noch drei Signalisationen

Anrainer des Spalenbergs können von solchen Lockerungen nur träumen. Für sie kommt hinzu, dass ein Pilotprojekt mit versenkbaren Pollern alles noch komplizierter macht – eine Bewilligung reicht nicht, ein Badge muss her, um die Durchfahrt überhaupt zu ermöglichen. Eine Arbeitsgruppe mit Gewerbevertretern und Verantwortlichen der Verwaltung ist nun dabei, Lösungen für solche und ähnlich gelagerte Probleme zu suchen.

Bernhard Frey Jäggi ist zuversichtlich, dass all das, was erst auf Papier festgehalten ist und kompliziert klingt, in der Praxis einfacher wird als angenommen. Auch darum, weil die heutige Flut von Verkehrsschildern in der Innenstadt künftig von drei Hauptsignalisationen abgelöst wird. Auf deren zwei sind Fussgänger zu sehen. Für sie wird das Spazieren jederzeit und in allen drei Zonen erlaubt sein. Ganz im Sinne des politischen Willens.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 06.09.13

Nächster Artikel