Wo die Welt nicht untergehen wird

Bugarach, ein kleines Dorf in Südfrankreich, soll von dem weitherum prophezeiten Weltuntergang am 21. Dezember verschont werden. Im neuen Mekka des New Age halten dann 200 Seelen den Atem an.

Weltuntergangsfanatiker glauben, dass man nur im kleinen französischen Dorf Bugarach die Apokalypse überleben kann. (Bild: Keystone)

Bugarach, ein kleines Dorf in Südfrankreich, soll von dem weitherum prophezeiten Weltuntergang am 21. Dezember verschont werden. Im neuen Mekka des New Age halten dann 200 Seelen den Atem an.

Über eines herrscht im «Relais de Bugarach» Einigkeit: Im Berg rumort es. «Es hört sich an, als würden tief unten dicke Steintüren gewälzt», meint Tiphanie, eine Basler Fotostudentin mit einem schwarzen Kreis auf der Stirn. Patrice, der Patron des Bio- und Esoteriker-Ladens, fühlt sich angesichts der Vibrationen, als stehe er auf der aktiven Membran eines Lautsprechers. «Genau, das ist es», bestätigt David, Archäologe und Ufologe in einem.

Im «Relais» wird bis spät in den Abend diskutiert. «Mit diesem Berg ist etwas los, das ist klar, und ich wünschte mir, es kämen einmal ein paar Forscher vorbei, um das abzuklären», meint Patrice. Beim Verlassen des Ladens erhebt sich die schwarze, 1230 Meter hohe Silhouette des Bugarach-Felsens fast drohend über das wie ausgestorbene Dorf. Die Natur ist hier besonders intensiv spürbar; ihre mystische Schönheit zieht seit langem Hippies, «Neorurale» und Esoteriker an. Östlich von Bugarach (auszusprechen «Bügarasch») liegen die Katharer-Burgen, jene spektakulären Adlerhorste, auf denen die protestantische Sekte im 13. Jahrhundert gegen die Königstruppen Widerstand leisteten; westlich von Bugarach liegt Rennes-le-Château, allen Komplottisten und Dan Brown-Lesern ein Begriff.

Der Gipfel des Okkulten

Der Gipfel des Okkulten ist aber Bugarach. Vor einer der zahlreichen Kalksteingrotten nahm ein gewisser Jean de Rignies schon vor zwanzig Jahren auffällige rhythmische Geräusche auf sein Tonband auf – und er deutete sie zweifelsfrei als Widerhall einer extraterrestrischen Landestation, profaner gesagt eines Ufo-Bahnhofs.

Damit kam der Stein ins Rollen. Eine spätere Untersuchung ergab zwar, dass die Geräusche vom Motor des Tonbandgerätes stammen. Doch das war sekundär: Über Internet erschienen zunehmend Meldungen, am 21. Dezember 2012, wenn laut Maya-Kalender die Welt untergehe, warte im Pic de Bugarach ein Raumschiff mit bis zu 80’000 Sitzplätzen, um Überlebenswillige zu retten.

Bugarach, dieser verlorene Winkel, machte plötzlich planetare Schlagzeilen als letzte Zuflucht vor der neusten Apokalypse. Gurus, Seher und keltische Schamanen organisierten «Initiationsreisen» auf den Pic, das Wochenende zum Beispiel für 617 Euro. «Ab 2010 explodierten auch die Bodenpreise im Ort», erinnert sich der zum Immobilienagenten mutierte Landwirt Bernard Cervières. «Ich empfing Kunden, die barfuss kamen, Bäume umarmten und alte Gemäuer in Seminarräume verwandeln wollten.»

Der Bürgermeister von Bugarach, Jean-Pierre Delord zeigt Briefe aus aller Welt. Ein «Ausserirdischer des Siegels von Sirius I.» schrieb ihm, dass sich der Name Bugarach aus «Bu» und «Garage» zusammensetze, weshalb er am 21. Dezember mit seinem eigenen «streakischen» Raumschiff selbst aus dem Bermudadreieck anreisen werde. Ein anderer Briefschreiber kündigte an, er werde zur Vorbereitung des 21. Dezember 2012 «nach Bugarach kommen, um im Wald ein Menschenopfer zu erbringen.»

Lourdes des New Age

Der bodenständige Gemeindevorsteher, dem der bauernschlaue Schalk ins Gesicht geschrieben steht, findet das nur noch halbwegs amüsant. Anfangs hatte er selbst noch von einem «Lourdes des New Age» geträumt. Im Frühling wurde aber ausserhalb von Bugarach die Leiche eines offenbar okkultistischen Obdachlosen gefunden. Seither begrüsst Delord die drastischen Behördenmassnahmen gegen den erwarteten Massenauflauf am 21. Dezember: Die Präfektur des Departementes Aude will in jenen Tagen 500 Soldaten und Gendarmen nach Bugarach schicken, um den Zugang zum Pic de Bugarach zu verbieten. Die Armee soll in erster Linie verhindern, dass sich suizidgefährdete Apokalyptiker vom Felsen stürzen, wenn sie merken, dass kein Raumschiff abhebt.

Gesperrt wird Ende Dezember auch der beliebte Nordaufstieg, in einschlägigen Kreisen «Druidenweg» genannt. «Bis vor kurzem  kreuzte man hier Erleuchtete mit Pendel, Kristallen und Amuletten», meint Grégoire, ein Sporthiker aus der Gegend, der regelmässig auf den Pic wandert, aber noch nie irgendwelche Vibrationen spürte. «Seitdem die Armee einen Einsatz plant, sind diese Wirrköpfe aber wie verschwunden.»

Handfeste Motive des Bürgermeisters

An den bröckelnden Hausfassaden des 200-Einwohner-Dorfes hängen noch viele Tafeln mit der Aufschrift «à vendre» – «zu verkaufen». Immobilienagent Cervières meint aber, dass kaum jemand die hohen Preise bezahle. Im «Relais» verdächtigt man den Bürgermeister, er habe den ganzen Weltuntergangsrummel mit handfesten Motiven inszeniert. «Entweder wollte er damit von seinem überrissenen Windkraft-Projekt mit 150 Meter hohen Propellern ablenken», meint Patrice Etienne, «oder er möchte seinem eigenen Hotelprojekt Kunden zuführen.»

Vorläufig ist Bugarach keineswegs überschwemmt von Rettungssuchenden. Der Armeeeinsatz und die Debatten um die Auslegung des Maya-Kalenders spielen wohl mit. Aber Bürgermeister Delord denkt schon über den ominösen Tag hinaus: Er will in Zukunft, wie er sagt, «ein jährliches Festival der Utopie oder so etwas ähnliches» in Bugarach organisieren. Aber zuerst wartet er einmal den 21. Dezember ab.

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