Wochenendlich in Chartres

Mitten in Frankreich thront auf einem alten gallischen Heiligtum eine riesige Kathedrale – wir sind in Chartres.

Die Kathedrale von Chartres (Bild: Martin Stohler)

Mitten in Frankreich thront auf einem alten gallischen Heiligtum eine riesige Kathedrale – wir sind in Chartres.

Chartres ist keine EasyJet-Destination, doch seit der TGV durch die französische Landschaft rast, kann man mit der Eisenbahn bequem in die Kathedralen-Stadt an der Eure reisen: Je nach Route ist man in vier bis sechs Stunden am Ziel.

Die Kathedrale sieht man von Weitem. Der Hügel, auf dem sie steht, war wohl schon zur Zeit der Gallier ein sakraler Ort. Ein alter Brunnen, dessen Fassung in der Tiefe einen viereckigen Grundriss hat, stützt diese Vermutung. Man bekommt den Brunnen allerdings nur zu sehen, wenn man an einer Führung durch die Krypta teilnimmt, was unbedingt zu empfehlen ist. Die Kathedrale mit ihren einzigartigen farbigen Glasscheiben hat eine bewegte Geschichte. Der Bau wurde mehrmals ein Raub der Flammen, 743 etwa, als der Herzog von Aquitanien Stadt und Kirche niederbrennen liess, oder 1020, als in Chartres eine Feuersbrunst wütete. In seiner heutigen Substanz geht das Gebäude auf das Jahr 1260 zurück.

Die Kathedrale ist die grösste Sehenswürdigkeit von Chartres, aber keineswegs die einzige. Einen Besuch wert ist auch das «Conservatoire de l’agriculture Compa» hinter dem Bahnhof. Hier findet man in einer Rotonde aus Glas und Stahl eine grosse Sammlung von Landwirtschaftsmaschinen, darunter imposante Traktoren aus dem letzten Jahrhundert, die die Besucherinnen und Besucher daran erinnern, dass wir uns in einer der Kornkammern Frankreichs befinden. Das 1990 eröffnete Museum ist bemüht, sich der Themen Landwirtschaft und Ernährung auf unterschiedlichen Wegen anzunehmen. Dazu zählen kleine Ausstellungen von bildenden Künstlern und Fotografen. Leider sieht man die ausgestellten Maschinen nicht in Aktion; immerhin verfügt das Compa über einige historische Dokumentarfilme, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Wer jetzt noch nicht genug von Museen hat, kann einen Blick ins Centre international du vitrail, ins Musée des beaux-arts oder ins Musée de l’école werfen. Vielleicht hat man aber auch Lust auf eine Fahrt mit dem Petit Train. Dieser startet oben bei der Kathedrale und fährt hinunter zu den malerischen Riegelbauten, in denen früher Handwerker lebten und wo an den Kanälen Wäsche gewaschen wurde.

Nach der Fahrt ist es Zeit für einen Café. Wir trinken ihn mit Blick aufs Südportal der Kathedrale. Rund um die Kathedrale kann man sich auch wohlfeil verpflegen, in der «Reine de Saba» etwa oder ein paar Schritte weiter im beliebten «Picoterie». Die gefüllten Galettes und Crêpes, die es hier gibt, sind köstlich. Wer es gerne etwas teurer hat, findet in der Unterstadt entsprechende Lokale, beispielsweise «Le Moulin de Ponceau» an der Rue de la Tannerie.

Abends dann, nach einem ausgedehnten Tagesprogramm, hatten wir keine Lust auf ein opulentes Mahl, sondern auf ein kleines Menue in lockerer Atmosphäre. Wir fanden beides in der Brasserie des Changes an der gleichnamigen Strasse.
Wer das brausende Leben sucht, wird in Chartres kaum auf seine Rechnung kommen, wer dagegen den etwas verschlafenen Charme der französischen Provinz schätzt und die Kunst des Mittelalters liebt, kann hier schöne Stunden verbringen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.09.12

Nächster Artikel