Wochenendlich in Kiew

Weder wärmt die Sonne, noch rollt der EM-Ball. Aber Kiew, dieses «Jerusalem des Ostens», ist auch im Winter eine Stadt des Staunens.

Sakralbau von überwältigender Pracht: Die Sophienkathedrale mit ihren 13 birnenförmigen, vergoldeten Kuppeln. (Bild: Andreas Schneitter)

Weder wärmt die Sonne, noch rollt der EM-Ball. Aber Kiew, dieses «Jerusalem des Ostens», ist auch im Winter eine Stadt des Staunens.

Die Temperaturen-App zeigt etwas Zweistelliges unter null an. Die Nächte im späten November sind schwarz, die Stras­sen leer, die Kälte ist bissig. Kiew im Winter, das ist keine Destination für den City-Trip als Bummelurlaub, obwohl die Stadt eine der grünsten Europas ist. Aber ein Stopover am Dnjepr lohnt sich auch in dieser Jahreszeit.

Die Bilder aus dem vergan­genen Sommer, als halb Europa zur ­Fussball-EM auf dem Kreschatik, der ­monumentalen Prachtsstrasse mit den ­stalinistisch geprägten Zuckerbäcker­bauten, Tore und Trunkenheit feierte, sind noch im Gedächtnis. Sechs Monate später sind die Embleme der Euro noch da, etwa am neuen Flughafenterminal, der die ukrainische Hauptstadt zu einem regionalen Drehkreuz für Osteuropa stemmte, aber auch in der Innenstadt an den Laternenmasten und in den Kneipen. Sonst aber glänzt die Stadt wieder durch eigene Grösse. Tage in Kiew sind Tage des Staunens.

Orthodoxe Kirchen

«Jerusalem des Ostens» wurde die Stadt im Mittelalter genannt wegen ihrer vielen orthodoxen Kirchen. Die beeindruckendste von ihnen, die Sophienkathedrale, ist mit ihren 13 birnenförmigen, vergoldeten ­Kuppeln ein Sakralbau von überwäl­tigender Pracht. Im Innern begeistern die ­Fresken und Mosaiken nach byzanti­nischem Vorbild. Auf dem Glockenturm lockt eine Aussicht, die weit über die Stadtgrenze hinausreicht.

Kolossale Statue

Auf monumentale Grösse verstanden sich auch die Sowjets. Im Südosten der Stadt, nahe dem Flussufer, steht auf einem riesigen Platz die Rodina Mat, die kolos­sale Mutterlandstatue mit Schild und Schwert, 102 Meter hoch, errichtet im ­Gedenken an den «Grossen Vaterländischen Krieg» gegen das Dritte Reich.

Ein paar Hundert Meter entfernt von ­ihren Füssen zeigen Eisenplastiken heroische Szenen des Krieges, dargestellt in überzogenem sowjetischem Realismus: Soldaten mit Händen, gross wie Autofelgen, den grimmigen Blick nach vorne gerichtet, die Fäuste geballt. Nach so viel Propaganda schwinden die Sinne – das zum Komplex gehörige Museum zum Zweiten Weltkrieg, eines der grössten des Landes, rückt die Glorifizierung in ihren Relationen zurecht. Obschon altbacken inszeniert, vermitteln die über 300 000 Exponate eine umfangreiche Ahnung über die Zerstörung, die über die Stadt kam.

Viele Teile der Stadt wurden danach neu aufgebaut, und gebaut wird noch immer. Nicht im wuchtigen Sowjetstil, sondern so, wie Städte heute aufgewertet werden: mit Glas und Eisen. Schön ist das nicht zwingend, darum ab in den Untergrund. Zur tiefstgelegenen Metrostation der Welt, die Arsenalna, fährt man 100 Meter unter den Boden. Dort öffnet sich ein Reich mit Shoppingflächen und Cafés, traditionellem Food und fancy Kleiderläden. Unter Tage kann man in Kiew stundenlang bleiben. Das Nachtleben ist legendär, die Clubs sind zahllos, die Preise noch immer moderat.

  • Anbeissen: Restaurant SSSR mit Menüs aus allen Ecken der untergegangenen ­Union.
  • Ausschlafen: Apartement statt Luxus­hotel – im Zentrum die bessere Wahl.
  • Anschauen: Der Kreschatik. Die Hauptschlagader der Stadt. Sitzen. Schauen. Staunen.
  • Abfeiern: Sorry Babushka. Drei Floors, drei Welten.


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Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.12.12

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