Wochenendlich in Nizza

Zwischen Plastikstühlen und Gault-Millau-Essen: ein Ausflug in die untouristischste Stadt der Riviera.

Licht tanken am Mittelmeer (Bild: Peter Sennhauser)

Zwischen Plastikstühlen und Gault-Millau-Essen: ein Ausflug in die untouristischste Stadt der Riviera.

Das tollste Spektakel sind die Stadtgärtner, die, an Kletterseilen in den Wipfeln hängend, die Platanen am Boulevard Victor Hugo zurückschneiden: affengleich, ohne Schutzkleidung, über einem Mann auf der Strasse, der den Verkehr um die herunterkrachenden Äste herumlenkt. Ein bisschen verantwortungslos, sehr elegant und durchaus effizient: französisch eben. Zusammen mit den alten Damen in Lockenwicklern auf dem Weg zum Supermarché und den hupenden Lieferwagenfahrern machen die Baumschneider am Montag unseres verlängerten Wochenendes deutlich: Hier leben Menschen; sie kümmern sich nicht um die Touristen, und für sie gibt es keine «Saison». Ein wohltuender Kontrast zum glitzernden Cannes und den als Fischerdörfer getarnten Edelshoppingstrecken im Westen mit dem obligaten «Saint» im Namen.

Nizza, Standort des Flughafens für die französische Riviera (ab Basel per Billigairline in 50 Minuten zu erreichen) und Universitätsstadt mit 350 000 Einwohnern, hat ein Kulturangebot jenseits von überteuerten Galerien, Architektur aus der Belle Epoque und seit vier Jahren sogar eine 8 Kilometer lange Tramlinie, die zur Überraschung der Stadtbehörden so gut genutzt wird, dass zusätzliche Züge gekauft und der Fahrplan verdichtet werden musste.

Mit der Ausrede, das reiche Kulturangebot (Musée Massena, Musée d’Art Moderne et d’Art Contemporain und weitere) am Sonntag zu nutzen, schlendern wir am Morgen nach der Ankunft vom Mittelklasse-Hotel Villa Victoria der Promenade des Anglais entlang: fünf Kilometer weisser Kieselstrand am hellblau gleissenden Mittelmeer, heranrollende Wellen und 19 Grad, Ende November – dafür sind wir, seien wir ehrlich, hergekommen. In einem der Strand­cafés mit weissen Plastikstühlen geniessen wir das Licht zu einem überteuerten Kaffee.

Ein Anfall von Unternehmungslust führt uns über den als Sehenswürdigkeit eingestuften Blumenmarkt des Cours Saleya in die historische Altstadt im Osten der Promenade und hinauf (per Lift) zum Burg­hügel, von dessen flachem Gipfel sich absurderweise ein Wasserfall in die tief unten liegende Stadt zu ergiessen scheint.

Der krönende Abschluss des Tages ist das Nachtessen in einem via Tripadvisor aufgespürten mit Gault-Millau-Sternen geschmückten Mini-Restaurant im Hotelbezirk: Wer nicht den Château Margaux 1995 für 1697 Euro bestellt, isst hier für vielleicht 130  zu zweit wie die Götter in Frankreich.

Der sonntägliche Mietwagenausflug entlang der Küste nach St-Tropez ist unsere Flucht vor einem Marathon-Grossanlass in Nizza und weitgehend überflüssig. Aber irgendwas mussten wir mieten, nachdem wir am Samstag vergeblich zwei der an vielen Standorten verfügbaren Mietfahrräder per Mobiltelefon freizuschalten versucht hatten.

Die obligate Bouillabaisse in einem der Hafenrestaurants jenseits des Burghügels ist keine Enttäuschung, aber auch nicht mehr. Am Wasser bleibt man eben immer Tourist.

Am Montag zeigt sich der Cours Saleya nach dem Frühstück im «Coin Quotidien» gewandelt zum reichhaltigen (und teuren) Flohmarkt voller Jugendstil-Objekte. Ein Abstecher ins «Negresco», das Prunkhotel der Jahrhundertwende an der Promenade des Anglais, lässt sich gut verbinden mit der Abreise: Hier hält der Express-Bus zum Flughafen (98, nur auf Verlangen).

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02/12/11

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