Wochenendlich in Paris

Im Geiste Gainsbourgs: Zwei Tage und eine Nacht im Zeichen der «Décadanse».

Noblesse oblige: Die Zimmer im Hotel Raphaël, die Nischen im Club Le Baron. (Bild: Marc Krebs)

Im Geiste Gainsbourgs: Zwei Tage und eine Nacht im Zeichen der «Décadanse».

Der Train à Grande Vitesse macht seinem Namen alle Ehre: Nur noch drei Stunden dauert die Reise von Basel bis zum Gare de Lyon. Ein Katzensprung für ein Wochenende, an dem es Grosses zu feiern gibt. Unser Ziel: 48 Stunden wie Gott in Frankreich – oder treffender: wie Gainsbourg in Feierlaune. Der Geist des genialen Chansonniers lebt in den Wänden des Hotel Raphaël weiter. Nur zwei Minuten vom Arc de Triomphe entfernt steht dieses prunkvolle Grand Hotel, das Gainsbourg als Zweitdomizil diente. Allein im prächtigen Foyer soll er jeweils Stunden verbracht haben, erzählt uns der Concierge. Was hat er gemacht? «Ein Bild betrachtet», sagt der Mann höflich. Ein Bild? Ein Gemälde. Ein Meisterwerk. Ein echter William Turner. Nicht nur das Foyer begeistert, auch das Zimmer mit seinen Antiquitäten. Wir setzen uns kurz auf einen Louis XVI. Wie erhofft majestätisch – die Zimmerpreise leider auch. Egal. Man lebt nur einmal.

Gainsbourg war Kind einer jüdischen Migrantenfamilie. Also ab ins Marais, wo man koscher naschen und très cher shoppen kann. Es sei denn, es ist Ausverkauf wie jetzt: Dann schlägt man den Haute Couturiers ein Schnippchen: bonjour Schnäppchen! Ein Grund anzustossen: mit einem Pastis 51 in der schmucken Bar Les Etages (Gainsbourg, den es nicht nur nach Provoka­tionen dürstete, bestellte jeweils einen Doppelten und erfand dafür den Ausdruck «102»).

Zum Diner passieren wir die Seine und flanieren durch die Rue de Verneuil. An der Wand von Nummer 5 zeugen Tausende Kritzeleien davon, wie sehr Serge noch immer verehrt wird. Tochter Charlotte, die das Haus geerbt hat, soll manchmal in der gleichen Strasse speisen, im «Le Cinq Mars». Eine gute Wahl: Das Restaurant ist diskret, klein und romantisch, wie der Stadtteil an der Rive Gauche – und die Küche so frisch wie der Wind, der durch die Gasse zieht.

Auf dem Heimweg ist uns noch nach einem krönenden Abschluss zumute: Gainsbourg und Jane Birkin beschworen einst «La Décadanse». Dekadenz und Tanz, das vereint eine Disco, die früher als «Etablissement» deklariert war: «Le Baron». Noblesse oblige. Vier aufgeregte Britinnen, die ihren Polterabend feiern, zappeln vor Vorfreude. Das hätten sie besser sein lassen. Der Türsteher – er hat den Ausdruck Coolness verinnerlicht – weist sie ab. Jetzt zappeln sie vor Kälte. Wir setzen gelangweilte Blicke auf und kehren unseren inneren Dandy nach aussen. Ça marche. Und drin sind wir. Gedämpft die Lichter, rot der Samt, lecker der Absacker: «Le Baron» steht auch für einen Haus-Cocktail, mit dem die DJane entlöhnt wird. 15 Euro. Paris hat seinen Preis.

Und was empfiehlt sich am Sonntag? Ein Spaziergang auf den Spuren weiterer Dandys: Oscar Wilde liegt auf dem Friedhof Père Lachaise begraben, ebenso Jim Morrison (The Doors). Am Eingang verkauft ein Mann Karten, worauf die Grabstätten eingezeichnet sind. Als er erfährt, dass wir aus der Schweiz kommen, entschuldigt er sich in unserer Mundart: «Nehmen Sie den Plan nicht allzu genau. Den haben die Franzosen gemacht.» Kein Problem. Man kann den Hügel auch planlos abschreiten. Der Spaziergang von Morrison (schmal) zu Chopin (charmant) bis Piaf (schlicht) führt an verwunschenen Gräbern und schmucken Altären vorbei. Ganz schön. Und ganz schön schaurig.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23/12/11

Korrektur 24.12.: Gare de Lyon ist der neue Zielbahnhof, nicht der Gare de l’Est.

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