In Seoul kann man all das erleben, wofür sich Tokio zu zivilisiert ist. Die Hauptstadt von Südkorea lohnt sich für einen Stopover auf der Asienreise.
Nach Seoul kommen die Leute leider viel zu selten, dabei ist die südkoreanische Hauptstadt für einen Zwischenstopp auf einer Ostasienreise mehr als geeignet. Die 20-Millionen-Stadt liegt im Bermudadreieck zwischen Schanghai, Peking und Tokio. Erstklassige Touristenziele, wogegen die einzigen Westler in Seoul oft nur zweitklassige Englischlehrer, Geschäftsleute und amerikanische Soldaten sind. Letztere sind ausgesprochen unbeliebt und eine bessere Diskothek im Ausgehviertel Hongdae erkennt man daran, dass am Eingang ein Schild hängt mit der Aufschrift «No GI’s!!!!». Als Europäer ist man hingegen sehr willkommen, oft gibt es im Nachtclub ein Lächeln umsonst und im McDonald’s eine zweite Apfeltasche.
Für ein einziges Wochenende ist Seoul im Grunde zu gross. Wer nicht mehr Zeit hat, sollte deshalb einige Dinge meiden: das für Ausländer hergerichtete Viertel Itaewon mit seinen überteuerten Teestuben, Busfahrten und italienische Restaurants. Erlebt haben muss man: Reizüberflutung bis zum Systemausfall im Konsumviertel Myeongdong. Rohen Oktopus am grossen Fischmarkt. Man darf sich nicht wundern, wenn beim Essen Pärchen zur Tür reinplatzen. Voran die Frau, «balli, balli» (schnell, schnell) rufend, im Schlepptau der beschämte Partner – zuckender Oktopus gilt als potenzfördernd. Am Abend lohnt sich ein Abstecher zum Fernsehturm auf den Namsan-Berg. Man besorgt sich eine Portion Odeng, in Brühe gekochter Fischcake, eine Flasche wodkaartigen Soju und schaut zu, wie die Sonne im unendlichen Lichtermeer der Metropole verschwindet.
Wer einen dritten Tag anhängt, sollte beim Reisebüro der US-Armee einen Tagesausflug in die entmilitarisierte Zone buchen. Am Grenzort Panmunjeom wurde der Kalte Krieg eingefroren und der Hass zweier Brudervölker in bizarren Ritualen verfestigt. Wenn der zum Fremdenführer abkommandierte Leutnant gut drauf ist, sind muntere Anekdoten zu hören, wie die, als George W. Bush einmal auf Visite kam, ahnungslos in der Zone rumspazierte und auf der Es-gibt-kein-zurück-mehr-Brücke beinahe den Nordkoreanern in die Hände fiel.
Kulturell und städtebaulich sei Seoul die kleine Schwester Tokios, ist oft zu hören. Die Stadt ist eher eine Rotzgöre, mit der man viel Spass hat, der man hin und wieder aber auch kräftig eine reindonnern will. Vor ein paar Jahren waren Massage-Fische in Mode. Die wurden als grosse Schwärme in kleinen Becken gehalten, wo man für ein paar Tausend Won die Füsse reinhielt, oder auch mal anderes. Die Putzerfische nagten tote Hautschuppen ab und ausserdem kitzelte es ganz lustig. Nach einer Serie von Medienberichten über gesundheitsgefährdende Wasserwerte sind diese Salons wieder verschwunden.
Die Fisch-Spas wurden abgelöst von Katzen- und Hundecafés. Erstaunlich enge Etablissements, in denen ein Dutzend Tiere gehalten werden, die gegen Eintrittsgeld zum Streicheln herhalten oder als Spielpartner für asoziale Wohnungshunde. Man darf auf die Enthüllungsberichte warten, in denen unhygienische Verhältnisse angeprangert werden: Die Tiere sind selten stubenrein.
- Anbeissen: Barbecue, in allen Variationen. Immer wieder Kimchi versuchen, auch wenn es die ersten fünf Mal fürchterlich schmeckt. Das schärfste gibts im Nudelrestaurant Kyoja in Myeongdong.
- Anschauen: Zur Happy Hour in die Topcloud-Bar im Hochhaus der Steuerverwaltung in Jongno. Den besten Ausblick gibts auf dem WC.
- Ausspannen: Besser als in Lovemotels wie dem «Utopia» im Bezirk Jongno ist das Preis-Leistungsverhältnis nirgendwo.
- Ausgehen: Rund um die Hongik-Universität. All die Metal-Bands, die hier seit 20 Jahren keiner mehr hört, haben dort eine treue Fangemeinde.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.03.12