Die israelische Stadt lockt mit ihrer unorthodoxen Lebenslust immer mehr Europäer übers Mittelmeer.
Ein israelischer Radiosender spielt gerade verrückt, und zwar verrückt viel Madonna-Hits. Der Grund? Die Pop-Queen ist offenbar auf dem Ben-Gurion-Flughafen gelandet. Vor zehn Jahren eröffnete Madonna ihre Konzertreise noch in Barcelona, jetzt lanciert die Kaballerina ihre Welttour mit ihrem Tross also hier. Das kann man als Statement verstehen: Tel Aviv ist das neue Barcelona. Am Mittelmeer gelegen, sonnig, jugendlich, tolerant, kosmopolitisch und hedonistisch. Hier trifft Untergrund auf Mainstream, hier kennt die Lebenslust keine Uhrzeiten.
Die Wege von Madonna und uns kreuzen sich nicht. Vielleicht hat sie sich mehr geleistet als das Beachfront Hostel, obschon das neben einem Bunker mit US-Flagge (die Botschaft) liegt. Von aussen wirkt das Hostel abgetakelt. Der erste Eindruck wird rasch korrigiert: saubere Zimmer, umwerfende Aussicht auf Strand und Mittelmeer. Zum Glück haben wir die Badehose eingepackt (30 Grad, im Mai!), ein Schwumm erfrischt nach der langen Anreise.
Danach tauchen wir auf – und in die Stadt ein. Ein erster Spaziergang führt uns zur Bograshov-Strasse, entlang an lokalen Designern und freundlichen Cafés. Nach 20 Minuten stehen wir beim Dizengoff Center. Wir umgehen diesen Shopping-Koloss (das Budget dankt es!), halten am Yitzhak Rabin Memorial inne – und flanieren später Richtung Rothschild-Boulevard. In den 1930er-Jahren wurden in Tel Aviv über 4000 Gebäude im Bauhaus-Stil errichtet, was mittlerweile mit dem Label «Weltkulturerbe» und einem Museum gewürdigt worden ist.
Am Freitagabend beginnt der Sabbat, der jüdische Ruhetag. Der öffentliche Verkehr steht still, auch die meisten Läden bleiben 24 Stunden geschlossen. Doch die Ruhe trügt: Während man in Jerusalem betet, macht sich in Tel Aviv Feierlaune breit. Die Nacht wird zum Tag, Musik dringt auf die Strassen, die Stadt trifft sich, sie tanzt, sie feiert das Leben. Miss Kittin legt in einem Club auf, ein Star in Europa, hier zahlt man nicht mal Eintritt. Wow! Man fühlt sich jung, selbst wenn mans nicht mehr ist.
Und schläft am Samstag aus, ehe man in der Sonne weiterdöst, am herrlichen, kilometerlangen Sandstrand. Den Nachmittag nutzen wir für einen Ausflug in den Süden, nach Jaffa. Die historische Altstadt ist schmuck, ebenso der Hafen, der seit rund vier Jahren aufgewertet wird. All dies hat auch seine Schattenseiten – alteingesessene Menschen, seien es Juden oder Araber, werden aufgrund der Gentrifizierung an den Rand gedrängt. Jaffa ist im Aufschwung, dazu beigetragen hat auch ein Schweizer: Vincent Muster aus Bienne, der sich hier vor 18 Jahren zuerst ein neues Leben und dann ein gastronomisches Angebot aufbaute. So verwandelte er ein altes Lagerhaus am Hafen in ein Restaurant mit Bar und Kultur: Den Container. An den Wänden Kunst, im Ohr Livemusik, auf dem Teller leckeres Essen und im Blickwinkel das Meer: Da fällt der Abschied schwer, zumal Vincents reiche Lebensgeschichte nicht an einem Abend zu Ende erzählt ist. Wir verlängern unseren Aufenthalt, ein Wochenende scheint uns zu wenig. Und reisen weiter nach Jerusalem – nur 50 Busminuten voneinander entfernt, scheinen diese beiden Städte Welten zu trennen.
- Anbeissen: Container, im Hafen von Jaffa.
- Anzapfen: Jimmy Who, neu eröffnete Bar, liebevoll eingerichtet. Rothschild-Boulevard 24.
- Anschauen: Die Altstadt von Jaffa. Bauhaus in Tel Aviv. Das entsprechende Museum liegt an der Bialik-Strasse.
- Ausspannen: Beachfront Hostel, Herbert Samuel 78.
- Ausgehen: Levontin7 für Konzerte, Rothschild-Boulevard und Florentin für gemütliche Bars.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.06.12