Lektionen zu streichen, hält Bildungsdirektor Urs Wüthrich für unverantwortlich. Das sei aber vielleicht bald unvermeidlich.
Als Bildungsdirektor hat Urs Wüthrich (SP) bis jetzt alle Abstimmungen gewonnen. Im Hinblick auf den 25. November macht er sich aber ernsthaft Sorgen. Dabei beschäftigt ihn vor allem eine Frage: Wie soll er die zusätzlichen Ausgaben kompensieren, wenn das Volk die drei Bildungsinitiativen tatsächlich annimmt?
Eine unangenehme Schlussfolgerung
Anfang des Monats sagte Wüthrich in einem Interview mit der «Basler Zeitung» noch, dass es für diesen Fall keinen Plan B gebe. Seither hat sich der Bildungsdirektor aber offenbar einige Gedanken gemacht und dabei einen äusserst unangenehmen Schluss gezogen: In den Baselbieter Schulen drohe ein «Kahlschlag», sagt er nun. Die in den Initiativen geforderte Verkleinerung der Klassen und Entlastung der Lehrer würden 30 Millionen Franken pro Jahr kosten – viel und obendrein «unnötig ausgegebenes Geld», so Wüthrich, das im Bildungsbereich wieder eingespart werden müsste. Mit der Streichung von Lektionen etwa.
«Auf diese Weise würden die Bildungschancen aller Kinder verschlechtert», sagt er. Eine Alternative sähe er bei einer Annahme der Initiativen aber kaum mehr, so angespannt wie die finanzielle Lage jetzt schon ist. Darum bezeichnet er die Initianten und ihre Forderung auch als «verantwortungslos».
Komitee ist verärgert
Das sind harte Vorwürfe, auf die man im angegriffenen Komitee «Gute Schule Baselland» ebenso scharf reagiert. «Da wird versucht, die Stimmung im Kanton mit falschen Behauptungen und leeren Drohungen zu drehen», sagt Jürg Wiedemann, der starke Mann im Komitee. Der angekündigte Kahlschlag lasse sich im Baselbiet politisch unmöglich durchsetzen. «Das Volk will eine gute Schule und wird niemals akzeptieren, dass auf Kosten der Kinder und Jugendlichen gespart wird», sagt der grüne Landrat.
Notfalls werde das Komitee eine weitere Initiative prüfen, um die angedrohten Stundenstreichungen zu verhindern. «Die Aussichten auf einen Sieg an der Urne wären jedenfalls bestens», sagt Wiedemann, der sich überhaupt zuversichtlich gibt, auch im Hinblick auf den 25. November. «Mit den drei Initiativen kann das Baselbieter Bildungssystem stark verbessert werden», sagt er ganz im Widerspruch zu Wüthrich. Darum seien auch ihre Chancen so gut.
Neuer Konflikt mit Basel
Trifft diese Einschätzung zu, wird sich Bildungsdirektor Wüthrich auch mit Basel bald noch weiteren Ärger einhandeln. Vor wenigen Monaten haben die Bildungsverantwortlichen der beiden Kantone noch stolz einen «Durchbruch» in der gemeinsamen Schulplanung verkündet. Konkret ging es um eine einheitliche Stundentafel für Baselland und Basel-Stadt, von einem «Meilenstein in der Bildungsharmonisierung» war damals die Rede, einer «Pioniertat», wegweisend fürs ganze Land.
Inzwischen gibt sich Wüthrich deutlich weniger vorlaut. «Gleiche Stundentafeln wie Basel-Stadt sind kaum mehr möglich, falls wir tatsächlich Lektionen streichen müssen», sagt er.
In Basel wird man das gar nicht gerne hören, nach all den Konzessionen, die dem Baselbiet dem Vernehmen nach gemacht wurden. Nur damit der «Meilenstein» gesetzt werden konnte, der jetzt schon wieder am Wanken ist.
Mit der Initiative zur «Optimierung der Betreuung» soll die Pflichtstundenzahl der Klassenlehrer in der Primar und in der Sek um eine Lektion gesenkt werden. Die frei werdende Zeit soll in die individuelle Betreuung der Schüler ausserhalb des ordentlichen Unterrichts investiert werden.
Mit der Initiative gegen «Zwangsverschiebungen» soll erreicht werden, dass alle Jugendlichen die nächst gelegene Sekundarschule besuchen können. Seit vergangenem Schuljahr drängt der Kanton darauf, dass die Klassengrössen besser ausgenutzt werden, auch wenn dafür Jugendliche an weiter entfernte Schulen geschickt werden müssen.
Die Annahme aller drei Initiativen des überparteilichen Komitees würde Kanton und Gemeinden 30 Millionen Franken jährlich kosten.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.11.12