Zaubertricks für die zweite Röhre

Im Abstimmungskampf zur zweiten Gotthardröhre wird mit Zahlen getrickst. Auch von der Baselbieter Wirtschaftskammer.

Im Abstimmungskampf um die zweite Gotthardröhre zaubern die Befürworter Zahlen hervor, die so nicht stimmen.

(Bild: Nils Fisch)

Im Abstimmungskampf zur zweiten Gotthardröhre wird mit Zahlen getrickst. Auch von der Baselbieter Wirtschaftskammer.

Der Gotthard liegt knapp 180 Kilometer von Basel entfernt – weit weg also, könnte man meinen. Doch der Basler Gewerbeverband und die Baselbieter Wirtschaftskammer warnen vor einem «Verkehrschaos» in der Region, wenn die zweite Röhre nicht gebaut werde.

Am 28. Februar stimmt die Schweizer Bevölkerung darüber ab, ob der Bund eine zweite Röhre bauen soll. Bundesrat und Parlament waren für den Bau, ein Verein unter der Ägide des VCS ergriff vor einem Jahr das Referendum dagegen.

Die Befürworter sagen, es brauche eine zweite Röhre für Auto- und LWK-Verkehr, da der bestehende Tunnel innerhalb der nächsten zehn Jahre saniert werden muss. Während der Sanierung wäre der Strassentunnel zeitweilig gesperrt, der Verkehr müsste in dieser Zeit also per Eisenbahn durch den Berg geführt werden.

Verlagerung führe zu «Verkehrschaos»

Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die Verlagerung auf die Bahn. Zusammen mit dem Chef des Schweizerischen Gewerbeverbands Hans-Ulrich Bigler machten sich die Baselbieter Wirtschaftskammer und Baselbieter Regierungsrätin Sabine Pegoraro am Montag an einer gemeinsamen Medienkonferenz für eine zweite Röhre stark.

Für die Region sei die Abstimmung essenziell, da für das Szenario Totalsperre und Verlagerung auf die Schiene im Raum Basel eine Verladestation für den Transitverkehr gebaut werden müsste. Damit «würden viele Tausend Lastwagen zusätzlich pro Jahr aus dem Schweizer Binnenverkehr nach Basel gelockt», schreibt Christoph Buser, Direktor der Baselbieter Wirtschaftskammer, in seinem Statement. «Das führt zu einem riesigen Verkehrschaos.»

Aussagen von Buser seien «völliger Blödsinn»

Ausserdem wäre das Verladen auf die Bahn mit hohen Kosten verbunden – «deutlich mehr als drei Milliarden Franken», schreibt die Wirtschaftskammer weiter. Ist diese Zahl wasserfest?

Jon Pult, Tunnelgegner und Mitglied des Vereins Alpen-Initiative, sagt dazu: «Völliger Blödsinn.» Das Gegenteil der Behauptungen sei wahr. Nämlich: «Durch das Verladen des Schwerverkehrs auf die Schiene nimmt die Belastung auf den Strassen ab.»

Mehr LKW auf den Zügen, weniger auf der Strasse, so Pults Erklärung. Der Verkehr nehme viel eher zu, wenn erst einmal zwei Gotthardröhren in Betrieb seien und man damit «die Schleusen öffnet». Die Zahl der Lastwagen auf Schweizer Strassen würde sich drastisch erhöhen.

Kosten «frei erfunden»

Die Kosten, welche die Wirtschaftskammer anführt, seien «frei erfunden», sagt Pult. Der VCS beider Basel spricht in einer Medienmitteilung von «gezielter Fehlinformation» der Tunnel-Befürworter.

Tatsächlich lassen sich die Kosten von über drei Milliarden Franken für Verladestationen nicht nachweisen. Der Bundesrat schätzt, dass Verladestationen für den Güterverkehr in Erstfeld und Biasca zwischen 479 und 686 Millionen Franken kosten würden. Dies ist die Variante Kurz-Rola («Rollende Landstrasse»), die der Bund vorschlägt, falls die zweite Röhre nicht gebaut wird.

Weitere Kosten sieht der Bund beim Personenverkehr, der ebenfalls per Bahnverlad durch den Gotthard geführt werden müsste. Dabei würden Kosten zwischen 192 und 204 Millionen Franken entstehen. Die Sanierung der bestehenden Gotthardröhre wird mit 752 Millionen Franken veranschlagt. Insgesamt sieht der Bundesrat für die Variante ohne zweite Röhre Kosten in Höhe von etwa 1,5 Milliarden Franken für Sanierung und provisorischen Verlad.

Aufrunden und Kosten vermischen

Der Sprecher der Wirtschaftskammer, Daniel Schindler, bleibt bei der Drei-Milliarden-Version. Die Kosten für die Sanierung mit Verlad rundet er auf zwei Milliarden Franken auf. Dazu kämen die Kosten für weitere Verladestationen, die nötig seien, um die Lastwagen in Basel und im Südtessin zu verladen. Dies entspricht der Variante Lang-Rola, die die Röhrengegner vorschlagen.

Dass die Sanierungskosten ohnehin anfallen und nicht zu den provisorischen Massnahmen gehören, klammern Schindler und die Wirtschaftskammer aus. Auch, dass die Variante Lang-Rola kein offizieller Vorschlag ist, wird verschwiegen.

Vager Vorschlag der Tunnelgegner

In der Botschaft des Bundesrats heisst es lediglich, dass die Prüfung von alternativen Standorten für Verladestationen an den Grenzen – also in Basel und im Tessin – angeregt wurde, für den Fall, dass die zweite Röhre nicht gebaut und eine Verlagerung auf die Schiene notwendig werde.

Der Vorschlag Lang-Rola ist also nicht mehr als eine vage Idee der Tunnelgegner. Wo die Verladestationen in dieser Variante gebaut würden, ist noch offen. Denkbar sei auch, dass man diese im süddeutschen Raum baue, sagt Pult.

Neat entlastet Strassen

Der Baselbieter SP-Ständerat Claude Janiak bestätigt derweil: «In der Verkehrskommission und im Parlament war nie die Rede davon, die Verladestation an der Grenze zu errichten – schon gar nicht zwingend.»

Er versteht nicht, dass die Befürworter der zweiten Röhre mit keinem Wort erwähnen, dass der Gotthardbasistunnel und damit die Neue Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) bereits vor der Sanierung des Auto-Tunnels in Betrieb genommen werde.

Damit werde nämlich die Verlagerung der Güter direkt vom Schiff auf die Bahn ermöglicht und der Gütertransitverkehr «hoffentlich abnehmen», so Janiak.

Der Abstimmungskampf um die zweite Gotthardröhre hat damit jedenfalls auch die Region erreicht. Gemessen an den Emotionen, die das Thema begleiten, ist der Gotthard eben doch näher, als man denkt.

Kampagne für zweite Röhre lanciert, SF-Tagesschau, 27.10.2015:

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