Nach der Annexion der Krim schottet sich die Halbinsel immer mehr ab. Krim-Einwohner dürfen die Regionengrenze nicht passieren, weil die ukrainische Polizei sie für prorussische Aktivisten hält. Studenten von der Krim trauen sich nicht mehr in ihre Heimat.
Anastasia Hrynenko weiss nicht, wann sie ihre Eltern das nächste Mal wiedersehen wird. Die 21 Jahre alte Studentin wohnt seit sechs Jahren in Kiew, aufgewachsen ist sie in der Stadt Aluschta auf der Krim. Ihre Stiefmutter, den Vater und die drei Brüder hat sie zuletzt eine Woche nach dem Krim-Referendum besucht, das am 16. März den Anschluss der Halbinsel an Russland besiegelte. Nun traut sich Hrynenko nicht mehr in ihre Heimat.
«Vielleicht kann ich dann nicht mehr zurück nach Kiew», fürchtet die junge Frau. Denn seit April verbietet die ukrainische Polizei Krim-Einwohnern die Einreise. Die Sicherheitskräfte befürchten, dass Männer und Frauen von der Krim sich den Separatisten in der Ostukraine anschliessen könnten. Aktivisten von der Krim hätten an prorussischen Demonstrationen in Odessa und Charkiw teilgenommen, sagt das Innenministerium.
Mitte April verabschiedete das Parlament in Kiew ein Gesetz über den Rechtsstatus der von Russland annektierten Krim. Jeder Ukrainer dürfe in die autonome Republik ein- und ausreisen, besagt die Vorschrift. Doch die Realität sieht anders aus.
Ob man die Regionengrenze passieren kann, hänge von der ukrainischen Polizei ab, berichtet Hrynenko. «Wer einen ukrainischen Pass zeigt und ukrainisch spricht, wird vielleicht durchgelassen.» Auf der Krim sprechen die meisten Menschen jedoch russisch. Und wer die Abspaltung unterstützt, hat seinen ukrainischen Pass längst gegen ein russisches Dokument getauscht. Hrynenkos Eltern – die Stiefmutter Psychologin, der Vater Übersetzer – seien gegen das Referendum gewesen. «Das zeigen sie aber aus Angst nicht offen», sagt die Studentin, die auf der Krim eine ukrainischsprachige Schule besuchte.
Die Halbinsel im Schwarzen Meer wird allmählich abgeschottet. Milizen der Krim-Regierung patrouillieren in den Zügen, die auf die Krim fahren, und verteilen Einreiseformulare. Am 27. Mai wird die Ukraine den Zugverkehr in die besetzte Republik komplett einstellen, Flüge wurden schon im März gestrichen.
Studentin Hrynenko ist froh, dass die Grenze das Einzige ist, was sie von ihren Eltern und Brüdern trennt. Andere Familien reisst die Politik auseinander. «Wir streiten uns dauernd», sagt Dimitri Kryvoschejew, der in Kiew lebt und in Molodohwardijsk aufwuchs, einer Kleinstadt nahe Luhansk. Während der 24-Jährige die Maidan-Revolution unterstützt, lehnen seine Eltern die Übergangsregierung ab.
Der Student Dimitri Krywoschejew in Kiew. (Bild: Andre Eichhofer, n-ost)
Jeder, der Sympathie für die Maidan-Revolution bekundet, werde in seiner Heimat als «Banderowtsi» beschimpft, erzählt Dimitri weiter. Der Ausdruck geht auf Stepan Bandera zurück, den Anführer der Ukrainischen Aufständischen Armee, die im Zweiten Weltkrieg zeitweise mit der Wehrmacht kollaborierte.
Hrynenko und Kryvoschejew studieren Sozialarbeit und Politikwissenschaft an der Kiewer Mohyla-Akademie. Im November demonstrierten die beiden gemeinsam mit tausenden Akademie-Studenten am Kiewer Unabhängigkeitsplatz für Europa.
Russland bedeutet Hoffnung auf Geld
Doch Europa ist von der Ostukraine weit entfernt, Russland dagegen liegt ganz nah. Die meisten Leute schauten hoffnungsvoll zum grossen Nachbarn über die Grenze, wo die Strassen besser und die Renten höher seien, berichtet Kryvoschejew. In seiner Heimat leben die meisten Menschen vom Bergbau. Mit der EU, glauben viele, würden die Kohleindustrie aussterben und die Preise steigen.
Unter Russland hätte das Volk mehr Geld in der Tasche, versprach auch die selbsternannte Krim-Regierung vor dem Referendum. «Davon merkt meine Familie nichts», sagt die Krimtatarin Aishe Memetova aus Simferopol. Sie studiert an der Hamburger Bucerius Law School und besuchte ihre Mutter das letzte Mal im Februar. Tatsächlich seien die Renten, die jetzt in Rubel fliessen, höher als früher. Dafür stiegen aber die Lebensmittelpreise.
Die Touristen fehlen
Weil sich die Krim allmählich isoliert, bleiben auch die Touristen aus. «Eigentlich beginnt Anfang Mai die Saison», berichtet Memetova, doch derzeit seien die Schwarzmeerstrände leer. Memetovas Familie, die Anfang 2000 von Usbekistan auf die Krim übersiedelte, besitzt in Simferopol ein Haus, deshalb wolle sie die Halbinsel nicht verlassen.
Als sich die Krim Russland anschloss, war Memetova in Hamburg. «Alles änderte sich so plötzlich», sagt sie. Über Nacht stempelte das Referendum sie in ihrer Heimat zur Ausländerin. «Mit meinem ukrainischen Pass darf ich mich nur drei Monate zu Hause aufhalten», sagt die Juristin. Nach ihrem Studium will sie nach Kiew zurückgehen, auf der Krim sieht sie keine Zukunft.