Zu Tisch in Eptingen

Bei unserem zweiten und (vorerst) letzten Besuch in Eptingen gab es endlich auch etwas zu essen. Der Frauenverein lud zum monatlichen Mittagstisch.

Der Frauenverein Eptingen hat die Küche bestens im Griff. Hier wird einmal monatlich für das ganze Dorf gekocht. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Bei unserem zweiten und (vorerst) letzten Besuch in Eptingen gab es endlich auch etwas zu essen. Der Frauenverein lud zum monatlichen Mittagstisch.

Unseren Durst haben wir bereits gestillt und den Kopf bei einem schönen Spaziergang ausgelüftet. Es ist also nichts als folgerichtig, dass wir uns in Eptingen nun auch noch an einen Tisch setzen (vor allem wenn der Herr Kollege es sich im Schloss Bottmingen gut gehen lässt). Zwei Tische, vielmehr, an zwei sehr unterschiedlichen Orten.

Die TagesWoche ist unterwegs – seien Sie immer dabei: «Wir reisen durchs Baselbiet»

Der erste Tisch ist von feinem Tuch bedeckt, das Servierpersonal trägt weisse Hemden und schwarze Hosen, am Boden liegen Teppiche. Wer hier im Restaurant Bad Eptingen einkehrt, weiss genau warum. Das Restaurant sei immer gut besucht, hört man. Vor allem abends und am Wochenende.

Das Haus ist aber nicht nur eine Adresse für Feinschmecker aus der ganzen Region, es gibt hier auch einen Stammtisch. Wir wollen vom Chef des Hauses, Heinz Schwander, wissen, worüber dort so gesprochen wird (Nein, Essen gibt es später). Und erfahren: Auch hier ist der Verlust der eigenen Schule immer noch ein Thema. Wie überall im Dorf wurde und werde dies noch immer hochemotional diskutiert, sagt Schwander.

Ohne Laden im Dorf können viele ältere Bewohner nirgendwo mehr selbstständig einkaufen.

Dabei gehe es gar nicht primär um die Schule, sondern darum, dass die Infrastruktur in Eptingen immer schwächer werde. «Vor Jahren gab es hier noch eine Bank, zwei Läden, einen Dorfmetzger», sagt Schwander. Für viele, vor allem ältere Dorfbewohner, sei es schwierig, zuzusehen, wie das eigene Dorf laufend kleiner und leerer werde. Dazu komme, dass die Ältesten kaum mehr irgendwo selbstständig einkaufen könnten. «Wer nicht genügend mobil ist, bleibt auf der Strecke», sagt Schwander. Er helfe dann auch mal aus, mit etwas Brot oder Milch, wenn jemand bei seinem Restaurant danach frage.

Überhaupt sei der Zusammenhalt im Dorf sehr gut, das Vereinsleben rege. Vielleicht ist dies auch eine Reaktion auf die davonschwimmenden Felle. Man rauft sich zusammen, rückt näher, hilft einander aus.

Dann schlägts zwölf und der Wirt wird gebraucht. Er begrüsst die Gäste, gibt letzte Anweisungen, offeriert uns den Kaffee. Wir bedanken uns artig und ziehen weiter, zum nächsten Tisch. Der Magen knurrt.

Turnen, Schwatzen, Essen, Trinken

In der Mehrzweckhalle stehen die Frauen hinter den grossen Töpfen. Es dampft und klirrt, dass es eine Freude ist. Auf der Theke stehen in Reih und Glied Schüsselchen mit gemischtem Salat. Ebenfalls bunt, doch weit weniger geordnet präsentiert sich die Situation in der zum Gemeindespeisesaal umfunktionierten Turnhalle.

Die älteren Dorfbewohner suchen sich gemächlich ihren Platz an einem der drei langen Tische, während sich hinten im Saal ein kleiner Tumult anbahnt. Offenbar besteht zwischen den Kindern und ihren Eltern Uneinigkeit über die Priorität des stillen Dasitzens gegenüber dem lautstarken Spielen mit einem Ball.

Die Eptinger pflegen gegenüber den Stadtbaslern eine gesunde Skepsis, die Kantonsfusion steht hier ausser Frage. Trotzdem tischen die Köchinnen zur Vorspeise ein urbaslerisches Gericht auf. Bei der Mehlsuppe drückt auch der konservativste Oberbaselbieter ein Auge zu, Kulinarik schlägt Politik. Für kurze Zeit hält sich der Spieltrieb und -lärm der Kinder in Grenzen, Hunger schlägt Bewegungsdrang.

Bei so vielen Müttern mit Kindern im Schulalter drängt sich eine Frage auf: Wie schlimm ist er wirklich, der Verlust der Dorfschule? «Nicht schlimm, im Gegenteil», kommt die ebenso klare wie überraschende Antwort. Vorher habe ihre Tochter nur ein gleichaltriges «Gspänli» gehabt, sagt eine Mutter. Seit August besucht das blonde Mädchen die Kreisschule in Diegten, und hat damit auf einen Schlag 18 Klassenkameraden dazu gewonnen.

Auch bezüglich Schulweg habe sich in ihrem Fall nicht viel geändert, die Familie wohne ohnehin ausserhalb vom Dorf, die Kinder mussten schon vorhin mit dem Auto zur Busstation gebracht werden. Oder mit dem Schlitten, wie ein Junge ergänzt (das Stadtkind, also ich, denkt sich neidisch: «Mehr als Glatteis und gefrorenen Hundekot hat’s auf meinem Schulweg nie gegeben.»).

Für Familien nicht attraktiv, weil Kinder fehlen

Ganz nebenbei liefert die erwähnte Mutter auch noch eine handfeste Erklärung dafür, warum nur wenige junge Familien den Weg nach Eptingen finden. «Hier hat es zu wenig Kinder», es sei schwierig, im Dorf gleichaltrige Spielgefährten für die Kinder zu finden. Weiter unten im Tal, in Diegten oder Tenniken, sei das viel einfacher. «Kein Wunder sind diese Dörfer bei Familien beliebter», sagt sie.

Inzwischen hat Renate Rothacher, die Gemeindepräsidentin (ja richtig) den Hauptgang aufgetragen, «Hörnli und Ghackets». Dazu gibt es Apfelmus. Letzteres ist besonders bei Lenny beliebt. Lenny ist mit seinen 20 Monaten bereits Stammgast und bringt jeweils seine Grosseltern und ein Spielzeugauto mit. Lenny ist auch so etwas wie die Antithese zum verwaisenden Eptingen. Gäbe es hier mehr Kinder, die Konsequenzen für das ganze Dorf wären wohl beträchtlich. Letzlich sind steigende Einwohnerzahlen die einzige relle Chance dieser Gemeinde, die eigene Steuerkraft zu steigern.

«Der Mittagstisch bringt das Dorf näher zusammen.»

«Es stimmt leider, wir wachsen fast gar nicht», sagt Rothacher. Dafür werde man hier besonders gut in die Dorfgemeinschaft integriert. Rothacher ist das beste Beispiel dafür, dass diese Aussage zutrifft. Als gebürtige Deutsche ist sie vor zwanzig Jahren nach Eptingen gekommen, in die Gemeinde die sie heute präsidiert.

Den Mittagstisch vom Frauenverein findet Rothacher vor allem wichtig, weil dank ihm die verschiedenen Generationen von Dorfbewohnern zusammenfinden können. «Ohne dieses regelmässige Treffen würden wohl vor allem die älteren Einwohner weniger aus ihren Wohnungen rauskommen», sagt sie.

Nach Kaffee und Kuchen trennen sich die Wege der verschiedenen Generationen wieder. Der Junge, der seinen Schulweg gerne schlittelnd zurücklegt, muss sich seinen Hausaufgaben zuwenden. Die Handwerker kehren an ihre Werkbänke zurück. Etwas lockerer gehen es die Senioren an. Im Gemeindehaus finde ein Jassturnier statt, sagt eine ältere Dame. Es sei ganz schön was los heute, ruft sie noch im Vorbeigehen. Wir sind ganz froh, werden wir nicht zum Turnier gefordert (beschleicht uns doch das Gefühl, dass wir am grünen Teppich haushoch unterliegen würden) und wünschen «Gut Stich».

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