Zum 80. Geburtstag von Peter Bichsel ein Blick in sein zeitloses Werk

Peter Bichsel wird am Dienstag 80 Jahre alt und hat mit dem Schreiben aufgehört. Lesen kann man ihn trotzdem immer wieder: der Reichtum seiner Kolumnen ist unerschöpflich.

Peter Bichsel, Autor, Solothurn, in seinem Schreib Atelier © Renate Wernli (Bild: Renate Wernli)

Peter Bichsel wird 80 und hat mit dem Schreiben aufgehört. Lesen kann man ihn trotzdem immer wieder: der Reichtum seiner Kolumnen ist unerschöpflich.

Damals, in den frühen 1980er-Jahren, als der Volksschullehrer Peter Bichsel für eine Poetik-Vorlesungsreihe nach Frankfurt gerufen wurde, sagte er den Satz: «Das Erzählen, nicht sein Inhalt, ist das Ziel der Literatur.» Es war sein Credo als Schreiber. Dem Autor Peter Bichsel ging es um die Form, nicht um die Materie, um den Fluss, nicht um die Tiefe.

Geschichtenerzählen als kulturelle und soziale Technik: Es ist nicht erstaunlich, dass Bichsel die knappen Formen der Literatur für sich ausgewählt hat. Die Kurzgeschichte, wie in seinem frühen Erfolgswerk «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen», vor allem aber die Kolumne. Jahrzehntelang schrieb Bichsel Kolumnen für verschiedene Erzeugnisse des Schweizer Pressemarktes, zuletzt für die «Schweizer Illustrierte». Seine letzte erschien im Dezember 2014.

Die Angst vor dem weissen Blatt

Geburtstag und Geburtstag
Am 17. April feiert das Literaturhaus Basel seinen 15. Geburtstag und Peter Bichsel ist mit der Kolumnensammlung «Über das Wetter reden» zu Gast. 19 Uhr, anschliessend Apéro. literaturhaus-basel.ch

Dort schrieb er: «Ich habe nach Gesichtern und Geschichten gesucht für meine Kolumnen, immer wieder verzweifelt danach gesucht, und war von Anfang an jedes Mal überzeugt davon, dass mir das nächste Mal nichts mehr einfallen wird.» Die Angst des Autors vor dem weissen Blatt, sie blieb im Fall des Solothurners Bichsel zwar letztlich unbegründet, nicht jedoch die Last des Schreibens selbst. «Schreiben ist ein Geschäft für Nichtkönner», sagte er der TagesWoche vor drei Jahren im Gespräch. «Die Frage nach dem Anfang bleibt jedes Mal, ob ich als achtjähriger Bub oder 77-jähriger Greis schreibe. Und alles, was man gelernt hat, wie man es machen sollte, ist nur ein Hindernis.»

Müsste man aus seinem verzweigten Werk, das noch immer veröffentlicht wird (zuletzt erschien vor wenigen Wochen im Suhrkamp-Verlag «Über das Wetter reden», seine gesammelten Kolumnen von 2012 bis 2015), eine Publikation heraussuchen, so wäre es wohl «Kolumnen, Kolumnen», erschienen vor zehn Jahren, die erste grosse Sammlung von Hunderten seiner Zeitungstexte aus drei Jahrzehnten.

Anders als in seinen Kurzgeschichten gab sich Bichsel in seinen Kolumnen ein öffentliches Gesicht, sprach nicht als Erzähler, sondern als offizielle Person. Die politisch sein konnte, ohne zu politisieren. Die beobachtete, ohne zu definieren. Und die sich erinnerte, ohne zu romantisieren. Als Prosaminiaturen muss man diese Texte verstehen, denen der journalistische Begriff der Kolumne nur formell genügt.

«Die Sprache dichtet für uns»

Nie ist Bichsel schwadronierend, nie sind seine Texte von einer beengenden Dichte, sondern stets minimalistisch und derart präzis im Wort, dass sich zwischen seinen Sätzen grosse Zwischenzeilen und -räume öffnen. Für die beiläufige Zeitungslektüre war er daher nicht geeignet, vielmehr für die vertiefte Lektüre, die Kontemplation, durch die erst die Welt des Poeten sich öffnet. «Letztlich bin ich am Inhalt dieser Texte fast nicht interessiert», sagte Bichsel, «sondern nur daran, mit Sprache umzugehen. Einen Satz zu schreiben, der einen nächsten Satz provoziert. Und so weiter. Schiller sagte: Die Sprache dichtet für uns. Das ist sicher richtig. Die Sprache muss mir etwas erzählen.»

Und er liess sich von der Sprache provozieren, bis er nicht mehr konnte. Anstatt von der Seele habe er sich die Texte in all den Jahren «auf den Buckel geschrieben», notierte er am Ende, «und der Buckel ist voll, ich spür es im Rücken». Kurz vor seinem 80. Geburtstag am 24. März hat er also aufgehört. «Jetzt verabschiede ich mich und versuche, geradeaus zu gehen», lautet sein letzter Satz. Als Leser darf man noch etwas sitzen bleiben, mit den «Kolumnen, Kolumnen» in der Hand.

Peter Bichsel

Peter Bichsel wurde am 24. März 1935 in Luzern geboren und wuchs als Sohn eines Handwerkers ab 1941 in Olten auf. Am Lehrerseminar in Solothurn liess er sich zum Primarlehrer ausbilden. 1964 wurde er mit seinen Kurzgeschichten in «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen» auf einen Schlag bekannt. Zwischen 1974 und 1981 war er als persönlicher Berater für Bundesrat Willi Ritschard tätig. Mit dem Schriftsteller Max Frisch war er bis zu dessen Tod 1991 eng befreundet. Er ist seit 1985 Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Bichsel ist Vater zweier Kinder und lebt in Bellach bei Solothurn.

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