Was für ein Abend im St.-Jakob-Park: Im Achtelfinal-Hinspiel der Europa League schlägt der FC Basel den russischen Meister Zenit St. Petersburg mit 2:0. Die Basler, namentlich Mohamed Salah, lassen reihenweise Chancen aus, ehe Marcelo Diaz (83.) und Alex Frei per Foulpenalty in der Nachspielzeit treffen.
Dieser Murat Yakin ist ein Trainer der vielen Überraschungen und seine Mannschaft eine, die in der Europa League weiter für Furore sorgt. Ein 2:0 gegen den hoch gehandelten russischen Meister Zenit St. Petersburg – das übertrifft kühne Hoffnungen, entspricht unter dem Strich aber den Kräfteverhältnissen Donnerstagnacht im St.-Jakob-Park. «Gratulation der Mannschaft für eine grossartige Leistung», freute sich der FCB-Trainer. Und dürfte damit den 15’000 restlos begeisterten Zuschauern im Stadion aus dem Herzen sprechen – und auch denen, die es vorzogen, das Spiel im Fernsehen zu verfolgen.
Bei einer besseren Chancenauswertung wäre sogar noch mehr drin gelegen, es wäre nicht einmal übertrieben zu behaupten, dass die höchste Auswärtsniederlage von Zenit im Europacup – ein 0:5 1989 in Stuttgart – ins Wanken hätte kommen können. Doch dafür hätte Mohamed Salah einen seiner sechs (!) Hochkaräter ummünzen müssen. «Wir mussten lange auf ein Tor warten und haben zu wenig aus unseren Chancen gemacht», meinte Yakin – es war der einzige Kritikpunkt an einem beeindruckenden Basler Auftritt.
Yakin – ein Trainer ohne Hemmungen
Die Überraschung, die Yakin parat hatte: Alex Frei sass auf der Bank, und auch Valentin Stocker, der Mann der vergangenen Wochen. Wenn es der FCB-Trainer aus taktischen Überlegungen für geboten hält, kennt er keine Hemmungen bei seinen Rochaden. Er brachte im Mittelfeld Marcelo Diaz anstelle des gesperrten Fabian Frei – und der Chilene dankte es mit seinem besten Spiel im FCB-Trikot. Obendrein erzielte er die Führung, sein erstes wirklich wichtiges Tor für den FCB in der 83. Minute.
Bis dahin war es bereits ein denkwürdiger Match gewesen. Mit einem Anfangsfurioso setzte der FCB den Uefa-Cup-Sieger von 2008 unter Druck. Ganz offensichtlich waren die Russen auf eine derart beherzte, aufsässige Gangart nicht vorbereitet. Für sie beginnt die Meisterschaft nach dreimonatiger Pause erst am Wochenende wieder. Die beiden Sechzehntelfinalspiele gegen Liverpool waren zwar zwei Ernstkämpfe für die mit dreistelligem Millionenaufwand zusammengestellte Mannschaft, doch eine Einstellung auf die Basler, die aus einem Guss kombinierten, fadn sie zunächst nicht.
Der beste FCB seit dem Trainerwechsel
Was der FCB zeigte, war das Beste, seit Murat Yakin diese Mannschaft übernommen hat. Fussballerisch, was Raumaufteilung, Strategie und Laufbereitschaft anbelangt, aber auch dramaturgisch steht die Partie weit oben auf der ewigen Basler Liste der Nights to remember auf internationaler Bühne.
Zeitweise kam der FCB im Minutentakt zu seinen Möglichkeiten. «Trotz den Umstellungen hat man gesehen, mit welcher Freude die Jungs Fussball spielen», schwärmte Yakin hinterher. Wenn da nur nicht die Abschlussschwäche gewesen wäre: Den Anfang macht Serey Die mit einem unwiderstehlichen Dribbling, doch vor Torwart Malafejew verlor er die Nerven.
Dann schloss sich eine fast schon unglaubliche Serie von Mohamed Salah an. Der Ägypter spielte hervorragend, entpuppte sich im Abschluss aber als wahrer Chancentod. Egal, ob er vom magistralen Diaz bedient wurde oder vom ungemein fleissigen Zoua – er brachte den Ball aus aussichtsreichsten Positionen nicht einmal auf den Kasten von Malafejew. Der Zenit-Keeper konnte Salah sogar anschiessen – und es passierte nichts.
Von Zenit war 45 Minuten lang nichts zu sehen
Von Zenit war 45 Minuten lang so gut wie nichts zu sehen. «Wir haben zu viele Zweikämpfe verloren, hatten individuelle Probleme und haben schwach gespielt», stellte Trainer Luciano Spalletti ungeschönt fest, «wir haben ganz wenig Klasse gezeigt. Ich bin von meiner Mannschaft enttäuscht.» Witsels Schuss aus 17 Metern in der 37. Minute war die erste Annäherung an das souverän verteidigte FCB-Tor. Der gefürchtete Hulk trat erst in der Nachspielzeit der ersten Hälfte in Erscheinung, als er knapp an einer Verwarnung vorbei schrammte, die eine Sperre fürs Rückspiel bedeutet hätte.
Diese Sperre handelte sich nach Seitenwechsel Serey Die mit seiner dritten gelben Karte im Wettbewerb ein. Das war in der 52. Minute und in der besten Phase der Gäste, die 20, 25 Minuten lang ihren Offensivaktionen mehr Nachdruck verleihen konnten.
Ihr bester Spielzug – über Witsel und Hulk zu Schirokow – endete am linken Fuss von Yann Sommer, der erstmals die Mannschaft als Captain aufs Feld führte. Mit seiner erstklassigen Parade verhinderte er in der 69. Minute einen Rückstand und bleibt damit im neunten Heimspiel seit dem Trainerwechsel ohne Gegentor. Auch das aussagekräftig genug für die Retouchen, die Yakin am Grundgerüst und am Geist dieser Mannschaft vorgenommen hat.
Freis Einwechslung als Initialzündung
Und dann setzte der FC Basel zum grossen Finale an, konnte er noch Reserven anzapfen. Die Initialzündung kam von der Seitenlinie, wo Murat Yakin in der 79. Minute Alex Frei aufs Feld schickte – unter dem frenetischen Beifall des Basler Publikums, das offenbar gewillt ist, dem grossen, alten Torjäger einen Abgang durch die grosse Türe des St.-Jakob-Park zu bereiten.
In einem packenden, intensiven Spiel war dieser Moment noch eine zusätzliche Steigerung des Spannungsbogens. Ein Balleroberung Markus Steinhöfers, der für den mit einer Kapselverletzung am Sprunggelenk ausgeschiedenen David Degen in der 62. Minute gekommen war, stand vier Minuten nach Freis Eintritt ins Spiel am Ursprung des 1:0.
Wieder war es Salah, der mit seinem Schuss an Malafejew scheiterte, doch der Zenit-Keeper lenkte den Ball in den Lauf von Diaz, der mit einem präzisen Flaschschuss traf. Eine Belohnung für den immensen Basler Aufwand und Balsam auf eine chilenische Seele. «Diaz hat schon etwas unter der Situation gelitten. Nachdem er viel kritisiert worden ist, war es wichtig, dass er heute im Zentrum ein gutes Spiel gezeigt hat», sagte Yakin, «und ich freue mich, dass er im eigenen Stadion ein Tor gemacht hat.»
Das Crescendo in der Nachspielzeit
Die eruptive Begeisterung auf den Rängen fand aber noch ein Crescendo in der Nachspielzeit: Erst sprintete Salah mit dem Ball am Fuss über 70 Meter, um im letzten Augenblick von Schirokow regelkonform gestoppt zu werden (92.). Dann war es wieder Salah, der mit seinem Trommelantritt Luis Neto entwischte. Der Portugiese grätschte, traf den Ball nicht, dafür Salah, und der italienische Schiedsrichter Daniele Orato, ein guter Leiter der Partie, entschied auf Foul, Penalty, Notbremse und Rot.
Ein Moment für Alex Frei. Für den Mann, der mit seinem verschossenen Elfmeter in Cluj am Anfang des Ausscheidens aus der Champions League stand (wie übrigens auch Salah mit seinen vergebenen Chancen damals im Heimspiel). Diesmal sass Freis Schuss. Halbhoch und unhaltbar für den zur richtigen Seite reagierenden Malafejew platzierte Frei den Ball zum 2:0 – der Schlusspunkt unter einen Europacup-Abend, der mehr als die anwesenden Schaulustigen verdient gehabt hätte und der in Erinnerung bleiben wird, egal, wie nächste Woche das Rückspiel ausgehen wird.
Yakin: «Es ist möglich»
Die Chancen auf die Viertelfinals stehen nach dem ersten Durchgang jedenfalls besser, als man es zu prognostizieren gewagt hätte. Dieser Mannschaft ist zuzutrauen, dass sie auch im Petrowski-Stadion zu ihren Chancen kommen wird – sie sollte dann nur die eine oder andere mehr nutzen.
«Es ist noch alles offen», findet Spalletti. Und Yakin, der haderte, dass «ein drittes und viertes Tor drin gewesen wäre», ist sich bewusst: «Ausgeschaltet haben wir Zenit noch nicht. Aber es ist möglich. Dazu braucht es im Rückspiel noch einmal hohe Konzentration.»
FC Basel–Zenit St. Petersburg 2:0 (0:0)
St.-Jakob-Park. – 15’008 Zuschauer. – SR Daniele Orsato (Italien).
Tore: 83. Diaz 1:0 (überlegter, platzierter Linksschuss in die linke untere Ecke nachdem Malafejew gegen Salah pariert).
94. Alex Frei 2:0 (Foulpenalty, halbhoch in die rechte Torwartecke; Foul Neto an Salah).
Verwarnungen: 18. Witsel (Unsportlichkeit/Schwalbe), 30. P. Degen (Foul), 52. Serey Die (Foul/im Rückspiel gesperrt).
Rote Karte: 93. Luis Neto (Foul an Salah).
FCB: Sommer; P. Degen, Schär, Dragovic, Park; Cabral, Serey Die (70. Elneny); D. Degen (62. Steinhöfer), Diaz, Salah; Zoua (79. A. Frei).
Zenit: Malafejew; Hubocan, Lombaerts, Luis Neto, Rodic; Schirokow, Denissow, Witsel; Danny (82. Kerschakow), Hulk, Semak (46. Fayzulin).
Bemerkungen: FCB ohne Streller, Jevtic (beide verletzt), F. Frei (gesperrt) und Bobadilla (nicht spielberechtigt). Zenit ohne Criscito (verletzt).
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