Welche Dramatik vor 20’976 Zuschauern im St.-Jakob-Park: In der 89. Minute war der FC Basel mit dem Ausgleich von Saint-Etienne ausgeschieden in der Europa League. Und dann trifft Luca Zuffi in der 91. Minute zum zweiten Mal an diesem Abend – das 2:1, mit dem der FCB das 2:3 aus dem Hinspiel ausgleicht und dank der Auswärtstorregel in die Achtelfinals einzieht.
Der St.-Jakob-Park hat schon einiges an mit Dramatik vollgepackten Europacupspielen erlebt, Nächte zum Erinnern hat der FC Basel geboten, in der Frühzeit seines internationalen Wirkens mal ein 6:4 gegen Brügge. Und dann nervenaufreibende Spiele gegen Liverpool und Manchester United oder gegen Bayern München und Tottenham Hotspur, eine Auseinandersetzung, die im Elfmeterschiessen gipfelte.
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Und nun das: Der FCB treibt es noch weiter auf die Spitze, lässt die Herzen seiner Fans stillstehen, als in der 89. Minute Moustapha Sall zum 1:1 ausgleicht. Mit diesem Resultat ist die AS St.-Etienne, der Rekordmeister Frankreichs und Landesmeister-Finalist von 1976, eine Runde weiter. Und dann dieses unglaubliche Basel Comeback. Dieser Luca Zuffi.
Zuffis fantastisches Freistosstor
Das Joggeli hat bis dahin einen guten, einen hochspannenden, einen aufwühlenden Match erlebt. Der FCB macht das Handicap aus dem Hinspiel früh wett. In der 15. Minute zirkelt Luca Zuffi einen Freistoss aus halbrechter Position und aus ungefähr 24 Metern über die Abwehrmauer hoch ins Tordreieck. Besser kann man so einen Ball nicht treten.
Luca Zuffis erster Streich: Der Freistoss zur Führung in der 15. Minute. (Bild: Reuters/RUBEN SPRICH)
Es ist eine kleine Parallele zur Champions-League-Qualifikation im vergangenen August. Auch damals hatte Zuffi im Rückspiel früh (11. Minute) mit einem direkten Freistoss getroffen, und mit einem 1:0 wäre der FCB damals in die Königsklasse eingezogen. Es kam bekanntlich anders, und Zuffi konnte sich von seinem schönen Tor nichts kaufen.
Der Ausgleich – Pech für Vaclik, verdienter Lohn für St.-Etienne
Und dann, nach einem Kampf auf Biegen und Brechen, gegen eine starke AS St.-Etienne, die den FCB leiden liess, die ihn immer wieder in Bedrängnis brachte, die selbst nicht viele Basler Chancen zuliess, dann also, als die Zeit fast schon abgelaufen war, rutschte Tomas Vaclik aus. Der FCB-Goalie, der bis dahin einige mirakulöse Paraden gezeigt hatte. Er erreicht die Flanke von Renaud Cohade, einem der herausragenden Spieler bei den Franzosen, nicht. Und Moustapha Sall drückt den Ball über die Linie.
Der Ausgleich ist verdienter Lohn für die Anstrengungen und die Qualitäten, die Saint-Etienne in dieser Februarnacht nahe am Gefrierpunkt in die Waagschale wirft. Die Spieler feiern vor dem Gästesektor mit über 2000 mitgereisten Fans, die ihrer Pyrolust freien Lauf lassen.
Embolo mit Gelb-Rot vom Platz
Zehn Spieler haben beide Teams zu diesem Zeitpunkt nur noch auf dem Platz. In der 82. Minute sieht der eingewechselte Valentin Eysseric die rote Karte, weil er Renato Steffen erst foult, ihm dann die Stirn bietet und Steffen diese Einladung zu einem bühnenreifen Umfaller nutzt.
Vier Minuten später muss auch Breel Embolo vom Platz für ein taktisches Foul, das ihm die zweite gelbe Karte des Abends einbrockt.
Woran sich also festklammern in der 89. Minute? Als die Felle davon geschwommen scheinen? An den vier Minuten Nachspielzeit, die der niederländische Unparteiische anzeigt? An Alexander Fransson, den Urs Fischer noch für Walter Samuel ins Rennen schickt?
127 Sekunden zwischen Hölle und Himmel
«Vorwärts, wir machen noch eins» – mit diesen Worten schickte der FCB-Trainer den Schweden aufs Feld. Und die Stéphanois sind noch nicht aus ihrer Euphorie über den Ausgleich wieder auf dem Boden zurück, als der FCB in der ersten Minute der Nachspielzeit zurückschlägt. Birkir Bjarnason flankt, Michael Lang setzt zu einem Kopfball an, der es nicht Richtung Tor schafft, stattdessen aber zur perfekten Vorlage für Luca Zuffi wird. Direkt und aus kurzer Distanz trifft er zum 2:1.
Das ganz grosse Paket an Emotionen: Marek Suchy zuoberst auf der Basel Jubeltraube nach dem 2:1, das das Weiterkommen bedeutet. (Bild: Keystone/GEORGIOS KEFALAS)
127 Sekunden liegen zwischen Am-Boden-zerstört und dieser Wiederauferstehung. Der Joggeli-Kessel erlebt eine dieser Gefühlsexplosionen, die ein Tor, eines mit dieser Geschichte sowieso, erzeugen kann. Urs Fischer weiss gar nicht recht wohin mit seinen Emotionen, und der FC Basel steht in den Achtelfinals der Europa League.
Bei Christophe Galtier sieht die Gefühlswelt natürlich ganz anders aus. «Brutal» – mehrfach verwendet er dieses Wort in seiner sehr bedachten Einschätzung des Erlebten. Wenn er nach dem über weite Strecken überzeugenden Auftritt seiner Mannschaft etwas zu kritisieren hat, dann das, was nach dem Ausgleich passierte. Der Jubel seiner Spieler mit den Fans. «Es ist noch nicht vorbei in diesem Moment. Wir müssen daraus lernen», sagt der tief enttäuschte Trainer der ASSE, «aber es gibt angenehmere Lehrstücke.»
Teures Lehrgeld: St-Etienne-Trainer Christophe Galtier. (Bild: Keystone/GIAN EHRENZELLER)
Fischer: «Weiss nicht, wie viele Lebensjahre mich das gekostet hat»
Urs Fischer kann das aus der sehr viel angenehmeren Warte betrachten. «Ich weiss nicht, wie viele Lebensjahre mich das gekostet hat», sagt er über die 127 Sekunden zwischen dem 1:1 und dem 2:1, «aber es ist auch egal. Das sind die Emotionen, für die es sich lohnt.»
Für den FCB-Coach muss dieses spektakuläre, dieses gute Ende eine kleine Genugtuung sein, nachdem das Urteil über seine Arbeit in Basel hier und da am Fortkommen im Europacup gemessen wurde und nicht am Schaffen in der heimischen Liga. «Es geht hier nicht um Urs Fischer», wiegelt er tapfer ab, «das ganze Stadion hat es verdient. Und ich bin ein Teil des Ganzen.»
Der Moment der Gefühslexplosion: Luca Zuffi (rechts) trifft ein zweites Mal gegen St-Etienne und bringt den FC Basel damit eine Runde weiter. (Bild: Keystone/GEORGIOS KEFALAS)
Einem wollte der Trainer dann aber doch ein kleines Kränzchen winden: Luca Zuffi. Wobei: Auch der sei ein Teil des Teams. Immerhin lieferte Zuffi quasi die Pointe des Abends: Er, dessen Tor in Tel Aviv vergebens war, trifft gegen St.-Etienne aus einer Standard-Situation, also jener Waffe, die eine der gefährlichsten der Franzosen ist. Und dann beschert er mit seinem Treffer Basel ein unvergessliches Erlebnis.
Wohin soll das noch führen?
Für den FC Basel ist es ein weiterer grossartiger Meilenstein in seiner jüngeren Erfolgsstory, und am Freitag um 13.00 Uhr erfährt er seinen nächsten Gegner. Mit der Erfahrung der Kampagnen 2012/13 und 2013/14, als der Weg bis in die Halb- respektive Viertelfinals gewiesen hat, darf man jetzt die Frage stellen: Wohin soll das diesmal führen? Zur Erinnerung: Das Endspiel findet am 18. Mai in Basel statt.
Vor dem Spiel:
Die Bedeutung der Zahlen – erster Teil: Saint-Etiennes Trainer Christophe Galtier weiss, dass eine Mannschaft in 43 Prozent der Fälle weiterkommt, wenn sie das Hinspiel einer K.o.-Runde mit 3:2 gewonnen hat. Solche Erkenntnisse seien für Statistiker, sagt Basels Trainer Urs Fischer. » «43 Prozent» oder: «Statistiken sind für Statistiker»
Die Bedeutung der Zahlen – zweiter Teil: Die TagesWoche ist in die Datenbanken dieser Fussballwelt gestiegen und hat Beispiele von Begegnungen gefunden, die der FC Basel nach einer 2:3-Niederlage noch gedreht hat. » Die Magie der Rückspiele
Die personifizierte Basler Hoffnung: Als der FC Basel letztmals in der Europa League ein Heimspiel in der K.o.-Runde bestritt, traf Matias Delgado zweimal. Mit seinen Scorerwerten ist der Captain auch gegen den französischen Rekordmeister ein Hoffnungsträger. » Die herausragenden Zahlen des Fantasista
Alles zum Hinspiel: Wer sich nochmals die Geschehnisse von vor einer Woche zu Gemüte führen will, findet alles unter www.rotblaulive.ch.