Viel zugetraut wird den fünf afrikanischen Teams – Nigeria, Ghana, Elfenbeinküste, Kamerun und Algerien – an dieser WM nicht unbedingt. Das Entwicklungstempo des Fussballs auf dem Schwarzen Kontinent wird durch die altbekannten Probleme gebremst.
Vielleicht lag Anthony Baffoe richtig, als er neulich mutmasste, dass in Brasilien im Gegensatz zur vorigen Weltmeisterschaft keine afrikanischen Fussballer bis kurz vor ihren Spielen über Prämien feilschen werden. Der in Deutschland geborene Ex-Profi, der mittlerweile die Geschäfte der ghanaischen Fussballergewerkschaft führt, meint, der afrikanische Fussball sei «erwachsen» geworden. «Es bewegt sich viel in Afrika, unsere Zeit kommt jetzt», sagte er der «Süddeutschen Zeitung». Und zumindest die Kameruner sind einen Schritt weiter.
Vor vier Jahren stritten Kameruns Spieler bis spät in die Nacht vor ihrem ersten Turnierspiel mit den Funktionären um die Prämien für ihre WM-Teilnahme und verloren dann erschöpft und uninspiriert mit 0:1 gegen Japan. Diesmal haben sie die Angelegenheit bereits sechs Tage vor ihrem Turniereinstieg gegen Mexiko erledigt. Sie weigerten sich einfach, in das Flugzeug nach Brasilien zu steigen.
Das bewog die Herren im Verband Fecafoot zum Einlenken. Man habe «einen Kredit aufgenommen, um die Forderungen der Spieler zu erfüllen», sagte ein Sprecher. Als echter Fortschritt lässt sich diese typisch afrikanische Fussballgeschichte jedoch kaum verkaufen.
Der Mangel an Führung und Organisation
In Wahrheit sind die zentralen Probleme des kontinentalen Fussballs auch vier Jahre nach der WM in Südafrika, die ja zu einer Initialzündung werden sollte, ungelöst. Die Verbände arbeiten schlecht, politische Einflussnahme ist an der Tagesordnung, und die Korruption ist allgegenwärtig.
Nigerias Nationalteam geriet im Vorfeld der WM unter den Verdacht, in eine Manipulation des Vorbereitungsspiels gegen Schottland involviert zu sein, die oftmals superreichen Spieler bezahlen Journalisten für gefällige Berichte, und Kwesi Appiah, der Trainer von Deutschlands Vorrundengegner Ghana, legte vor der Bekanntgabe seines WM-Kaders offen, das zwei Spieler ihm Geld für eine WM-Nominierung geboten hätten, natürlich ohne Namen zu nennen.
«Seit einem Jahrzehnt stockt die Entwicklung des afrikanischen Fussballs, denn die Spieler in Afrika finden nicht die Bedingungen vor, um sich ordentlich weiter zu entwickeln», sagt Nigerias Nationaltrainer Stephen Keshi, der einen «Mangel an Führung und Organisation» beanstandet.
Europäischer Professionalität und afrikanischer Improvisation
Ganz anders in Europa, wo sich seit der Jahrtausendwende enorme Entwicklungen beobachten lassen. In vielen Ländern wurde die Jugendarbeit revolutioniert, der Fussball wurde verwissenschaftlicht, längst gehören Analysten und zahllose andere hoch qualifizierte Spezialisten zum Stab der grossen Nationalmannschaften.
Ghanas Appiah dagegen muss sich mit Neuerungen, wie einem Spielanalysesystem, begnügen, die anderswo längst Standard sind: «Ich habe jetzt die Mittel, Gegner sehr genau zu analysieren, zu beobachten, wie sie verteidigen, nach welchen Mustern sie angreifen. Wir können den Spielern jetzt sagen, was sie in einem Spiel wahrscheinlich erwarten wird», sagt er.
Diese wachsende Kluft zwischen europäischer Professionalität und afrikanischer Improvisation sieht auch Antoine Heye, der während der vergangenen drei Jahre als Sportdirektor beim libyschen Verband arbeitete. «Die führenden Fussballnationen planen dieses Turnier komplett durch, das ist in afrikanischen Ländern völlig anders, daraus entsteht ein deutlicher Wettbewerbsnachteil», sagt er.
Zumal in der Vergangenheit etwas professioneller arbeitende nordafrikanischen Fussballnationen wie Tunesien oder Ägypten «aufgrund der politischen Umstürze 2010 und 2011 deutlich zurückgeworfen» worden seien, meint Heye. Die viel beschworenen positiven Entwicklungen gibt es in Afrika allenfalls in kleineren Nationen, wie Gabun, Sambia oder Botswana. Aber auch deren Entwicklungstempo ist nicht mit den Fortschritt vieler europäischer, südamerikanischer und asiatischer Fussballnationen vergleichbar.
Die Stars altern und es fehlen einheimische Trainer
Vor einigen Jahren war es noch en vogue, einen baldigen Weltmeister vom Schwarzen Kontinent vorherzusagen. Inzwischen wagt kaum noch jemand solch eine Prognose. Die Gruppe der afrikanischen Spieler, die eindeutig zur Phalanx der 10, 15 besten Fussballer der Welt gehören, ist zuletzt geschrumpft.
Der Ivorer Didier Drogba hat seinen Leistungszenit mit 36 Jahren überschritten, Ähnliches gilt für Kameruns Samuel Eto’o und Ghanas Michael Essien, alleine Manchester Citys Yaya Touré von der Elfenbeinküste, der zuletzt drei mal in Folge Afrikas Fussballer des Jahres war, gehört eindeutig in die Kategorie der ganz grossen Spieler des Fussballplaneten.
Zu überwinden seien all diese Missstände allenfalls, wenn die erfolgreichen Spieler, die über viele Jahre in Europa gespielt und die dortigen Arbeitsweisen verinnerlicht haben, nach ihren Karrieren zurückkommen, «um in Afrika zu arbeiten und den Fussball hier weiter zu entwickeln», meint Nigerias Nationaltrainer Keshi. Der vorwurfsvolle Unterton ist nicht zu überhören, denn diese Anstrengung will offenbar kaum jemand auf sich nehmen.
In sofern ist Anthony Baffoes Engagement ein Hoffnungsschimmer, auch wenn es ihn dazu zwingt, die Dinge mitunter etwas zu optimistisch zu beschreiben. Schon ei Vorstoss in die Viertelfinals, wie das Kamerun (1990), Senegal (2002) und Ghana (2010) gelungen ist, würde als Überraschungscoup gewertet.