«Ah, ein Lichtlein – wie bei Hänsel und Gretel»

Warum der Staat Profisportler unterstützen soll und der Rankhof ein Märchenort ist. Ein Gespräch über Handball mit RTV-Präsident Alex Ebi.

«Haben Sie eine Wand draussen?» Alex Ebi mag Widerspruch, um sich in Schwung zu reden. (Bild: STEFAN BOHRER)

Warum der Staat Profisportler unterstützen soll und der Rankhof ein Märchenort ist. Ein Gespräch über Handball mit RTV-Präsident Alex Ebi.

Der RTV Basel abgeschlagen am Ende der Tabelle, die Schweizer seit 2006 an keinem grossen Turnier dabei und in den Hallen immer weniger aktive Handballer: Schwierige Zeiten für einen, der in den Handball verliebt ist wie Alex Ebi, seit 2002 Präsident des RTV Basel.

Alex Ebi, was ist los im Schweizer Handball?

Das ist also das Thema, ja? Handball in der Schweiz … Ist denn etwas Besonderes los?

Alex Ebi

Die grossen Zeiten des RTV Basel erlebte Alex Ebi (48) auf dem Feld mit. 1984 wurde der Rückraumspieler mit den Baslern Meister, 1986 mit St. Gallen, 1987 war er mit 199 Treffern NLA-Torschützenkönig. Bis zu seinem Rücktritt als Handballer 1996 spielte er 67-mal für die Schweiz und wurde von Nationalcoach Arno Ehret zum «Genialix» erhoben.
Seit 2002 ist er Präsident des RTV und rettete den Club vor dem Konkurs, ohne dass die finanziellen Sorgen ausgestanden wären. Ebi ist Vater dreier Kinder und Basler Generalagent der Helvetia-Versicherung.

Nein, eben nicht. Das Nationalteam der Männer startet in eine EM-Qualifikation, hat aber seit 2006 jeden Grossanlass verpasst.

Okay, die Schweizer ­Nationalmannschaft also. Diese Baisse ist hausgemacht. Eine Randsportart wie Handball braucht als Aushängeschild ein gutes Nationalteam, wenn sie ­beachtet werden will. Bis Mitte der Neunziger hatte die Schweiz während 15 Jahren eine ausgesprochen ­erfolgreiche Nationalmannschaft. Handball war vielleicht sogar die e­rfolgreichste Mannschaftssportart der Schweiz. Weder Fussball noch Eis­hockey waren damals an der Welt­spitze. Im Handball aber konnte die Schweiz jeden Gegner schlagen.

Und was hat sich geändert?

Damals hatten wir zwei ausländische Spieler pro Club. Bis in Schaffhausen ein reicher Herr gekommen ist, Giorgio Behr. Der wollte aus Schaffhausen eine erfolgreiche Mannschaft machen. Aber kein Schweizer – nein, das ist übertrieben – wenig Schweizer wollten dorthin. Auf dieses Schaffhausen raus ohne Autobahn, quer durch Zürich …

Sind Sie auch gefragt worden?

Klar. Jedes Jahr. Da wollte man einfach nicht hin. Also hat er immer zwei gute Ausländer verpflichtet, was aber ohne gute Schweizer nicht gereicht hat. Deswegen hat er sich Ende der Neunziger vehement dafür eingesetzt, dass die Clubs so viele EU-Ausländer verpflichten können, wie sie wollen. Und er hatte die ­Unterstützung des Nationaltrainers. Weil der das Gefühl hatte, er brauche ja bloss zwölf gute Schweizer. Und wenn gute Ausländer in die Schweiz kämen, würde das ­Niveau in den Trainings höher.

Das hat nicht geklappt?

Im Handball funktioniert das einfach nicht. Wir haben vier Positionen, die viel wichtiger sind als die anderen. Das sind die Aufbauspieler und der Goalie. Wenn in der Liga auf diesen vier Positionen nur noch Ausländer spielen, dann hast du auch für das Nationalteam keine Schweizer für die wichtigen Positionen. Und dann ist zügig der Niedergang losgegangen.

Und jetzt?

Jetzt haben wir keine gute ­Nationalmannschaft mehr. Und wir bekommen auch keine mehr. Denn damit wir das ändern könnten, müssten wir wieder eine B­eschränkung auf drei Ausländer einführen.

Ist das realistisch?

Schon. Wir diskutieren das in der Liga immer wieder hin und her. Wahrscheinlich muss man auch ­Ausnahmen machen. Vielleicht ist das jetzt Quatsch, wenn ich das ­einfach vom Schiff aus sage. Aber es müsste in die Richtung gehen, dass die, die zwei Millionen Franken in der Kasse haben, so viele Ausländer verpflichten dürfen, wie sie wollen. Damit sie eine gewisse Chance ­haben, im ­Europacup mitzuspielen. Alle anderen dürften nicht mehr als drei ­Ausländer haben.

Spannender wird die Schweizer Liga so aber nicht.

Das mag für die Liga nicht besonders witzig sein. Aber so, wie es jetzt ist, ist es auch nicht spannend. Schaffhausen wird immer Meister. Letztendlich bestimmt das Geld in den Teamsportarten den Platz.

Diese Idee dürfte doch kaum eine Chance haben.

Im Eishockey gibt es ja auch eine Ausländerbeschränkung. Warum nicht auch im Handball?

Aber im Eishockey kann der SC Bern nicht einfach mit mehr Ausländern spielen als die anderen, bloss weil er mehr Geld generiert.

Klar. Weil die europäischen Wettbewerbe im Eishockey nichts zählen. Aber gut, das sind Ideen. Es ist doch im Schweizer Sport immer dasselbe: Egal, ob es der FC Basel im Fussball ist, Voléro im Volleyball oder Schaffhausen im Handball: All diese Vereine, die mit viel Geld operieren, sind zu gut für die Schweiz – aber zu schlecht für Europa. Dieses Problem können wir nicht lösen. Da fällt mir immer ein: Flensburg-Handewitt hat ein Einzugsgebiet, das flächenmässig gleich gross ist wie die Deutschschweiz. Alles, was handballmässig kreucht und fleucht, will irgendwie in dieses eine Team, das Weltspitze ist. Wir hier haben schon Kämpfe ­zwischen Birsfelden und Muttenz. Das ist so ein kleinkariertes Denken.

Damit zum nächsten Punkt: Was läuft im Handball in Basel? Sie sprechen von Grabenkämpfen …

Oh! (Denkt nach.) Da gibt es wohl zwei Sichtweisen. Die eine ist die des kleinen Dorfvereins. Der hat zwei, drei gute Junioren und versucht in allen Altersstufen ein Team anzu­bieten. Dann ist es aus Sicht dieses Clubs richtig, seine guten Spieler bloss nicht zu verlieren. Weil so die Hoffnung besteht, mit ihnen einmal in die Nationalliga B aufzusteigen. Und das ist dann ein Megaziel.

Warum nicht die Nationalliga A?

Dorthin werden sie nie kommen, denn dafür brauchen sie eine Million Franken. Darunter läuft jetzt einfach nichts. Wenn du Schwein hast, dann kommst du vielleicht mit 600 000 Franken durch.

Der RTV hat aber ein Budget von 300 000 Franken angegeben.

Bei uns ist das speziell. Erstens sind unsere Spieler von hier. Zweitens sind sie alle total unterbezahlt. Die sind hier, weil sie Kollegen sind, das hat sich historisch ergeben. Wenn diese Generation weg ist, dann wird es mit so wenig Geld nicht mehr gehen.

Zurück zum Dorfverein.

Genau. Die werden die drei guten Junioren nicht gehen lassen. Aber das ist kreuzfalsch! Denn die drei werden nicht besser. Ab einem gewissen ­Niveau passen sie sich ihren Kollegen an. Egal, wie gut die Trainer sind. Die müssen in ein Juniorenteam, das in der höchsten Kategorie spielt. Und auch dort gilt: Sobald einer geradeaus gehen kann: ab in die 1. Liga. Damit er mit 19 NLB spielt und mit 20 vielleicht beim RTV.

«Es gibt eine gewisse Sektenmässigkeit. Und der RTV ist sowieso immer der Böse.»

Aber so ist es derzeit nicht?

Das funktioniert schon viel besser. Aber wir haben mindestens zehn Jahre verpasst. Durch dieses Gärtchendenken.

Was lässt Sie hoffen? Der RTV hat derzeit gar keine Junioren angemeldet.

Die sind alle bei Birsfelden. Vor drei, vier Jahren hatten wir alle Junioren­teams im Inter: U15, U17, U19, U21. Aber alleine packen wir das nie im Leben! Dazu braucht es 60 Junioren auf höchstem Niveau. Also müssten wir in der Region eine Junioren­abteilung haben. Nennen wir sie Basel United. Und sobald einer etwas kann, wird er dorthin geschickt. Aber nein, wir schicken ihn nicht. Da gibt es eine gewisse Sektenmässigkeit. Und der RTV ist sowieso immer der Böse.

Sie sprachen vorhin von einem Schritt vorwärts. Das klingt jetzt aber ganz anders. Worin liegt denn die Hoffnung?

Darin, dass wir aufgegeben haben und ich nicht mehr um solche Dinge kämpfen mag. Ich hatte das Gefühl, dass es möglich sein müsste, wie es in jeder anderen Region der Schweiz übrigens der Fall ist. In Zürich heisst dieses Team Gun Foxes. In der Innerschweiz gibt es Pilatus. Und so weiter. Überall gibt es obendrüber einen Nationalliga-A-Verein und ­untendrunter Juniorenteams, die von mehreren Clubs gemeinsam ­geführt werden. Nur hier rund um Basel ist es ganz schwierig.

Also hört dieses Gärtchendenken nie auf?

Ich hoffe schon. Der TV Birsfelden macht das toll. Es birgt ja auch eine Gefahr, wenn alle zusammenspannen: Dass der einzelne Club denkt, er müsse selbst nichts mehr für die ­Junioren machen. Das wäre fatal!

Aber die Breite nimmt immer mehr ab. In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl lizenzierter Handballer in der Nordwestschweiz halbiert.

Das ist das Problem, das ich vorher geschildert habe: Wenn du kein Nationalteam hast, fehlt dir das Aushängeschild in den Medien. Wenn dein Nationalteam nicht gut ist, fehlt das nationale TV. Und wenn das TV fehlt, schwindet die Popularität.

Und wie steht es um den RTV?

Wir versuchen noch so lange wie möglich, diese NLA-Mannschaft oben zu halten, weil ich überzeugt bin, dass das wichtig ist für die Beachtung der Sportart. Damit Handball in der Region überlebt, braucht es ein Flaggschiff.

Sie sagen, Sie versuchen es so lange wie möglich?

Eben, es ist alles eine Frage des ­Geldes. Eigentlich müssten wir eine Geschäftsstelle hinstellen mit drei Festangestellten: ein Administrator und zwei, die das Produkt verkaufen und jene Leute betreuen, die Geld geben. Und dann müsstest du noch die Rankhofhalle so herrichten, dass sie als Heimspielstätte erkennbar ist.

Nebst den Handballern, die auch noch bezahlt werden sollten.

Ja. Das wäre nur das Backoffice, damit wir auf dem Markt mit unseren Konkurrenten mithalten könnten.

Mit Konkurrenz meinen Sie den FC Basel?

Nicht, dass man das falsch versteht. Ich finde es super, gibt es den FCB. Und es gäbe ohne ihn auch nicht mehr Sponsoren für andere Clubs. Es geht darum: Wenn ich an ein FCB-Spiel gehe, dann merke ich schon weit vor dem Stadion, dass da ein Spiel stattfindet. Da wird der Verkehr umgeleitet, da ist Licht, nicht gerade ein roter Teppich, aber fast. Du hast deinen fixen Platz, ­einen VIP-Bereich, alles!

Da können Sie mit dem RTV nicht mithalten.

Gehen Sie mit den Eindrücken des FCB-Spiels in den Rankhof: dunkel, kaum eine Lampe, Nieselregen, man sieht gar nichts. Da hinten soll noch etwas kommen? Ah, ein Lichtlein! Wie bei Hänsel und Gretel. Dann kommen Sie in die Halle und es ist schon nett. Aber es ist Beton, es ist gelb. Hundert Striche am Boden. Wer kein Handballer ist, versteht nicht, welche Linien wichtig sind.

Sie haben immer wieder gesagt, dass Sie das Präsidium des RTV gerne abgeben möchten?

Ja, das ist mein grosser Wunsch.

Aber?

Solange wir noch nicht alle Altlasten bezahlt haben, bekomme ich es nicht übers Herz, zu sagen: Was der RTV nachher macht, ist mir egal. Oder einem Kollegen zu erzählen: Hör mal, das ist eine super Sache, hier Präsident zu werden. Und dann findet er raus, wie viel Arbeit tatsächlich auf ihn wartet.

Haben Sie schon einmal bereut, Präsident geworden zu sein?

Nein. Es gäbe den RTV ja einfach seit elf Jahren nicht mehr. Es gibt auch viele sehr gute Dinge.

Nämlich?

Zuallererst gibt es in der Region eine Sportart auf NLA-Niveau, die mir gefällt. Handball finde ich die geilste Sportart, die es gibt. Alle haben ihre Möglichkeiten, gut zu werden. Die Kleinen, die Grossen, die Dummen, die Gescheiten, für alle hat es Platz. Kommt dazu, dass man im Handball enorm viel lernt. Überhaupt: Die Sportvereine machen extrem viel für die Gesellschaft, ohne dass wir in Basel-Stadt gross unterstützt würden, während zum Beispiel wahnsinnig viel Geld in die Kultur fliesst.

Sie würden also gerne das Kulturbudget zugunsten des Sports kürzen? Immerhin erhalten die Sportvereine doch die Hallen für ihre Juniorenteams gratis.

Das stimmt. Wir bekommen auch Subventionen. Fünf Franken pro Mitglied, das im Kanton lebt. Fünf Franken! Da komme ich natürlich nicht weit. Ich will auch nicht der Kultur etwas wegnehmen. Ich stelle einfach fest: Der Sport hat keine Lobby. Und in dieser Stadt wird enorm viel gemacht für die Alten. Aber enorm wenig für die Jungen.

Warum fehlt eine Sport-Lobby?

Weil es extrem zeitaufwendig ist, sich Gehör zu verschaffen. Schauen Sie, wenn wir ein U21-Team haben, dann brauchen wir nur für Schiedsrichter, Verband, Auswärtsspiele und Trikots 25 000 Franken. Und da ist noch kein Trainer bezahlt und kein Sandwich. Mitgliederbeitrag eines Juniors: 200 Franken …

«Wenn man das Extrembeispiel FCB nimmt, ist alles witzlos.»

Was soll denn so eine Lobby erreichen?

Machen wir ein Gedankenspiel: ­Jeder Club, der Basel in der höchsten Liga vertritt, erhält ein Viertel des für die Liga durchschnittlichen Budgets. Oder die Hälfte!

Dann hätte die Stadt beim FCB ein Problem.

Klar. Diesen ­Gedanken killt man ­natürlich im Ansatz, weil man das Extrembeispiel FCB nimmt. Wenn man immer das Extrembeispiel FCB nimmt, dann ist alles witzlos. Der FCB hat 30 000 Zuschauer, ihr 1000. Da braucht es diese Sportart nicht. Habt ihr auch einen Event? FCB-Heimspiele sind eben ein richtiger Event. Nein? Gut, dann braucht es euch nicht.

Gut, dann kommt halt das Argument, dass der Staat nicht Spitzensportler unterstützen soll.

Aber warum denn nicht? Sind denn die, die im Theater eine Aufführung machen, die Schauspieler, die Musiker, alles Amateure – oder Junioren?

Eher nicht.

Ach nein! Aber sagen Sie jetzt nicht, dass das gar Profis sind! Dann dürften sie ja keine Subventionen erhalten. Also der Sportler darf kein Geld erhalten, aber der Musiker schon?

Ja.

Das finden Sie also korrekt? Haben Sie eine Wand draussen? (Lacht.) Aber es stimmt, dieses Argument kommt immer. Und eine Zeit lang habe ich es selbst geglaubt.

Und was hat Sie bekehrt?

Ich habe Theaterdirektor Georges Delnon am Radio gehört, als seinem Haus das Budget hätte gekürzt ­werden sollen. Danach hatte ich das Gefühl, der arme Mann könne jetzt nur noch ein Kasperlitheater auf­führen. Aber allerhöchstens! Dabei hat er über 28 Millionen Franken an Subventionen jedes Jahr. Jetzt stellen Sie sich mal vor, ich hätte eine Mannschaft, die jedes Jahr 28 Millionen Franken Subventionen bekommt und würde mich noch immer beklagen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.11.12

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