Am Berliner Fankongress wird auf hohem Niveau über Fanbelange diskutiert. Das Thema, das die Szene am meisten bewegt, hatten die Verbände allerdings zuvor für tabu erklärt.
Als die Organisatoren am Sonntag Morgen zur ersten Veranstaltung des Tages baten, merkte man vielen der etwa 200 anwesenden Fans an, dass sie in der Nacht zuvor etwas später ins Bett gekommen waren. In einem Hostel in der Nähe des Berliner Ostbahnhofes war in der Nacht zuvor um 23 Uhr eine «Public-Viewing»-Übertragung des «Aktuellen Sportstudios» geboten worden.
Vor einem Millionenpublikum wurde im Mainzer Studio über die Thematik (Fangewalt, Pyrotechnik) diskutiert, die auch die nach Berlin Gereisten bewegte. Und nach Ende der Sendung traten viele Fans den Beweis an, dass man auch länger als 14 Stunden am Tag über Fussball reden kann.
Anekdoten aus Schottland
Als Umar Fredricks am Sonntag Morgen über den Fanalltag in Schottland berichtete, huschte dennoch schon wieder ein Lächeln über die ermüdeten Gesichter der deutschen Fans, die sich über die Lage im benachbarten Ausland informieren wollten. Als schottischer Fussballfan sei man oftmals Opfer von «Repression und merkwürdigen Polizeieinsätzen» berichtete er.
Fredricks schloss sein Lamento mit einer anschaulichen Anekdote: «Kürzlich traf die Polizei in einer öffentlichen Toilette einen Betrunkenen an, der dort eingeschlafen war. Der bekam dann ein Stadionverbot für den Celtic Park.» Der selig schlafende Trunkenbold dürfte es verkraftet haben: Er interessierte sich überhaupt nicht für Fussball.
Ein Thema, das nicht diskutiert werden darf
Stigmatisiert fühlen sich auch die deutschen Fans, die am Wochenende zum ersten von der Fanszene selbst organsierten Fankongress zusammenkamen. Die Anhänger aus fast allen grösseren Clubs, die meisten davon aus der Ultraszene, hätten gerne über das Thema Pyrotechnik diskutiert.
Doch die Gespräche darüber sind definitiv beendet, wie alle Vertreter von DFB und DFL in Berlin noch einmal betonten. «Wir können über alles reden, ausser darüber», betonte der Geschäftsführer der Deutschen Fussball Liga (DFL) Holger Hieronymus vor Ort.
Das Thema hatte die deutsche Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten immer wieder beschäftigt, nachdem Gespräche zwischen Verbänden und einer Faninitiative gescheitert waren, die zum Ziel hatten, «Pyrozonen» auszuweisen, in denen Fans nach Absprache zündeln dürfen. Im Gegenzug sollte das illegale Abbrennen unterbleiben.
Unerfüllte Erwartungen
Die Erwartung der Kongress-Veranstalter vom Ultra-nahen Fanbündnis «Pro Fans», dass die Veranstaltung mehr erbringen könnte als den Austausch von konträren Positionen, war damit früh ad acta gelegt. Auch, weil andere Forderungen aus der Szene (fanfreundliche Anstosszeiten, Preispolitik, mehr Bewegungsfreiheit am Spieltag) nicht so vehement angesprochen wurden wie das offenbar alles überlagernde Pyrothema.
«Wir finden es aber gar nicht so schlimm, dass DFB und DFL hier keine Versprechungen machen», sagte Johannes Mähling von «Pro Fans». Ob die Dialogbereitschaft ernst gemeint sei, zeige sich «ja eher im Alltag als auf Kongressen.»
Immerhin wurde so die Stimmung in einer Szene deutlich, die sich vom offiziellen Fussball offenbar schwer verkannt fühlt. Nicht zuletzt von den Medien, denen dutzende Redner Panikmache und Gewaltfaszination vorwarfen. Die meisten Redner, die «der Presse» vorhielten, undifferenziert zu berichten, sprachen dabei allerdings ihrerseits reichlich undifferenziert über die Medien.
Wer an beiden Tagen zuhörte, konnte zudem nur den Eindruck gewinnen, als seien Fanausschreitungen generell reine Medienerfindungen. Beim Workshop über «Gewalt» waren Medienvertreter ausgeschlossen.
Die Rolle der Medien
Allerdings gelang es manchem Redner gut zu dokumentieren, an welchen Stellen die Berichterstattung tatsächlich unsachlich und sensationsheischend ausfiel. So berichtete ein Fan aus Hannover von der medialen Eskalation eines an sich eher «nicht so schlimmen» Vorfalls.
Auf der Rückfahrt von einem Auswärtsspiel habe einer der 500 Zugfahrer am Hannoveraner Bahnhof einen Böller gezündet. Die Pressemeldung der Polizei habe daraufhin «500 Fans» und «Randale» thematisiert, woraus wiederum eine Zeitung getitelt habe: «500 Fans randalieren am Bahnhof.»
Matthias Stein, Fan-Sprecher beim Drittligisten FC Carl Zeiss Jena präsentierte Zahlen: Nach Polizei-Angaben hätten in der vergangenen Spielzeit siebzehneinhalb Millionen Menschen die Spiele besucht, die 846 Verletzten stellten einen Anteil von 0,0015 Prozent dar – eine deutlich geringere Quote als beim letztjährigen Münchner Oktoberfest. Auch der Anstieg zur Vorsaison (plus 62 Verletzte) sei ein reines Medienthema: «Diese Zahl bekomme ich schon durch einen gepflegten Einsatz von Pfefferspray zusammen.»
Amnesty International gegen Pfefferspray-Einsatz
In die gleiche Kerbe – nach Ansicht der Fans rühren die meisten Verletzungen von überzogenen Polizeieinsätzen her – hieb auch Alexander Bosch von Amnesty International. Die Polizei kommuniziere zu wenig und greife oft zu «einem wahllosen Einsatz von Pfefferspray.»
Im Übrigen unterstütze Amnesty seit jeher die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte, um Anzeigen gegen einzelne Beamte überhaupt ernsthaft verfolgen zu können. In Deutschland müssen die Beamten bislang nur in Berlin Namensschilder tragen, im ebenfalls sozialdemokratisch regierten Brandenburg wird bald nachgezogen.
Keine Replik von der Polizei
Gerne hätte man darauf eine Replik der Polizei gehört – Gewerkschaftsvertreter betonen ja durchaus zu Recht, dass ihnen viele Fans vermummt entgegenträten. Doch die Polizei hatte als einzige der eingeladenen Parteien am Tag vor Veranstaltungsbeginn aus «terminlichen Gründen» abgesagt.
So war es dem DFL-Fanbeauftragten Thomas Schneider vorbehalten, einen kritischeren Standpunkt einzunehmen. «Wenn Polizei und Ultras aufeinandertreffen, stehen sich zwei weisse, von Deutschen dominierte Männerbünde gegenüber. Da geht es um Treue, Ehre und Territorien.»
Zwist um eine Studie
Für die Ultras, die sich ja gerne als «aktive Fanszene» bezeichnen, gehören bengalische Feuer zum Kurvenvergnügen wie die Badehose zum Sommerurlaub. Glaubt man einer Studie, die die Deutsche Fussball Liga (DFL) in der vergangenen Woche veröffentlicht hat, stehen sie mit dieser Vorliebe allerdings ziemlich alleine da. 84,4 Prozent der «Fussballinteressierten» seien gegen Pyrotechnik, fast genau so viele sprächen sich für «harte Strafen» aus, «wenn entsprechende Verbote missachtet werden.
Wenig überraschend, dass DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus jubilierte: «Die an Deutlichkeit kaum zu überbietende Haltung der Fans» sei Rückenwind für die harte Linie der Verbände und strafe die Ultras Lügen, die propagierten, Pyro-Technik sei Bestandteil der Fankultur.
Ebenso wenig überraschend, dass die Fanvertreter das ganz anders sehen. Zum einen ist ihnen die Datenbasis bei nur etwa 1000 Befragten zu dünn, zum anderen bezweifeln sie, dass «Fussballinteressierte» mit «Fans» gleichzusetzen seien. «Interessiert» am Fussball sei schliesslich Hinz und Kunz.
Genau das ist des Pudels Kern. Während die DFL sich als Sachwalterin aller Fussballinteressierten sieht, sehen sich die Fanorganisationen als Lobbyisten der echten und wahren Fans, die im Idealfall 34 von 34 Ligaspielen verfolgen.