Irgendwie gilt Cabral in Basel stets als zweite Wahl. Dabei ist er seit Jahren einer der am häufigsten eingesetzten Spieler. Jetzt will er wissen, was er dem FC Basel wert ist.
In diesem Winter war es wieder soweit. Adilson Tavares Varela Cabral, kurz Cabral, blickte in eine Zukunft, die mehr in den Sternen denn in der Startelf des FC Basel zu stehen schien. Wie in eigentlich jeder Transferperiode, seit er im Sommer 2007 nach Basel gekommen ist. Der FCB hatte für das defensive Mittelfeld Geoffroy Serey Die und Mohamed Elneny verpflichtet, Trainer Murat Yakin schraubte in der Winterpause hier am Mannschaftsgefüge, schliff dort etwas ab. Und Cabral schien durch den Rost zu fallen.
Nun ist er trotz seiner erst 24 Jahre ein Veteran in solchen Dingen. Und doch vermochte ihn das altbekannte Thema tatsächlich noch einmal zu verblüffen. Pünktlich zum Start der Frühjahrsrunde gegen Sion nämlich stand Cabral wieder in der Basler Startformation. Und damit, sagt er, hatte er selbst nach dieser etwas speziellen Vorbereitung genauso wenig gerechnet wie die Beobachter ausserhalb des Vereins.
Dabei müsste man meinen, der Überraschungseffekt habe sich in der Causa Cabral inzwischen abgenützt. Weil ihn eigentlich nie jemand auf der Rechnung zu haben scheint – ausser die Trainer des FCB. Die aber setzen so sehr auf den Mittelfeldspieler, dass er seit über drei Jahren am Ende der Saison stets zu jenen elf Baslern gehört, die über alle Wettbewerbe gesehen die meisten Einsätze haben
Andere kommen und gehen – Cabral bleibt
Stets werden neue Zentrumsspieler zum FCB geholt, von Marcos Gelabert über Antonio da Silva bis Gilles Yapi und Marcelo Diaz. Hochgelobte Talente aus dem eigenen Nachwuchs setzen sich durch, wie Granit Xhaka, oder ab, wie Sandro Wieser. Cabral bleibt. «Es hiess jedes Mal, es werde schwierig für mich», erzählt er das Repetitive seiner Geschichte, «aber dann komme ich doch auf mindestens zwanzig Matches in der Liga und spiele in der Champions League.»
Derzeit liegt er sogar an der Spitze des Teams, was die Anzahl Einsätze betrifft. Kein schlechter Zeitpunkt eigentlich, um über die Verlängerung seines im Sommer auslaufenden Vertrages zu verhandeln. Doch irgendwie fehlt noch immer die Einigung. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Cabral jetzt wissen will, was er dem FCB wirklich wert ist.
Yakin und das grosse Aber
Und da beginnt es, knifflig zu werden. Häufig ist es im Fussball nämlich ziemlich einfach, das Verhältnis von Lohn zu Leistung abzuschätzen. Wer David Beckham verpflichtet, braucht keine Flanken zu zählen, um zu wissen, dass die Trikotverkäufe explodieren werden. Wer Alex Frei im Kader hat, investierte bis vor kurzem noch nicht in Aufbautrainings, sondern in Tore am Laufmeter. Und wenn Yann Sommer weiterhin so stark hält wie bis anhin, wird sich sein Lohn kaum verringern.
Aber bei Cabral? Gewiss, er ist ein Abräumer vor dem Herrn. Einer, der «die Drecksarbeit» erledigt, wie er es selbst umschreibt. «Er spielt eine wichtige Rolle in der Achse des Teams», sagt sein Trainer, «er ist super interessiert und fragt mich immer wieder, wie er sich bewegen soll. Er hat sich zum wichtigen Spieler entwickelt mit seiner Art, wie er seine Aufgabe in der Defensive interpretiert.» Und dann kommt auch schon das grosse Aber aus Murat Yakins Mund: «In der Offensive weniger.»
Das Gute sieht bloss einfach aus
Das ist die Krux an Cabrals Spiel. Ist er schlecht, wirkt er auf dem Feld merkwürdig phlegmatisch. Ist er aber gut, sieht das, was er mit dem Ball tut, nicht mehr als einfach aus. Unspektakulär. Er macht dann Dinge, die sich jeder Amateurkicker zutrauen würde, der auf der Tribüne sitzt. Ein Pass über zwei Meter nach links, einer über zehn Meter nach rechts. Das sind viele kleine, wichtige strategische Entscheidungen, die schwerer zu treffen sind, als es aussieht. Es bleibt aber – bis auf das traumhafte Solo im Oktober 2010 gegen die AS Roma – nichts, was die Massen entzücken würde.
Das ist durchaus Absicht. «Ich verkompliziere das Spiel nicht», erklärt Cabral, «meine Position erlaubt keine Extravaganzen.» Und um seiner Aussage Gewicht zu verleihen, ruft er gleich einen ganz Grossen seiner Zunft in den Zeugenstand: «Sergio Busquets ist sicher nicht der Spieler des FC Barcelona, von dem am meisten gesprochen wird. Aber für mich ist er der wichtigste.»
Der Vasella-Vergleich
Wie wichtig aber ist Cabral für den FCB? Ein bisschen ist es dieselbe Frage wie bei Daniel Vasellas Lohn als CEO und Verwaltungsratspräsident von Novartis: Wie gross ist der Anteil des Einzelnen auf einer bestimmten Position für den Erfolg des Ganzen – und wie viel Lohn soll es dafür geben? Auf Cabral umgemünzt heisst das: Wurde der FCB zuletzt auch dank Cabral dreimal Schweizer Meister und zweimal Cupsieger – oder kam Cabral im Fahrwasser einer grossen Mannschaft zu all seinen Medaillen?
Noch scheinen sich Club und Spieler in der Beurteilung dieser Frage nicht einig zu sein. «Ich kann durchaus verstehen, dass er sich seine Optionen gut überlegt», sagt Bernhard Heusler, «er steht an einem wichtigen Punkt seiner Karriere.»
Und dann fasst der FCB-Präsident in zwei Sätzen die ganze Ambivalenz zusammen, die bei der Beurteilung von Cabrals Schaffen immer zum Vorschein kommt. Erst sagt Heusler: «Diese Saison von ihm ist sehr eindrücklich.» Und etwas später: «Aus meiner Sicht ist der FC Basel der ideale Verein für ihn.» Weil Cabral der Durchbruch in einem grösseren Club halt doch nicht zugetraut wird.
Yakin fordert mehr Offenheit
Cabral selbst würde nicht direkt sagen, dass er sich manchmal unterschätzt fühlt. Er wählt den Umweg, meint: «Ich hatte das Gefühl, dass in den vergangenen Jahren andere Spieler mehr Beachtung gefunden haben als ich.»
Scheu wirkt er im Auftreten neben dem Platz, ja fast abweisend mit seinen praktisch dauernd aufgesetzten grossen Kopfhörern, die inzwischen die Profifussballer dieser Erde uniformieren. Im Umgang mit den Lateinamerikanern im Team mag er ab und zu seinen durchaus eindrücklichen Wortschatz an spanischen Schimpfwörtern aufblitzen lassen, den er sich in seinem Jahr in Sevilla angeeignet hat. Trotzdem gehört er intern nicht zu den Lautsprechern. Auch darum fordert Yakin mehr Führungsqualitäten: «Er muss offener werden. Ich will, dass er sich innerhalb der Mannschaft mehr Akzeptanz erarbeitet.»
Eine grosse Standpauke
Das bedeutet aber nicht, dass der Sohn kapverdischer Einwanderer und mittlerweile eingebürgerte Schweizer einer ist, der sich selbst kleiner macht, als er ist. Nach seinem Zuzug von Lausanne im Sommer 2007 dauerte es nur wenige Wochen, bis sich Cabral mit dem Anspruch auf mehr Einsatzzeit bei Christian Gross meldete. Ein aufmüpfiges Begehren, dem der damalige FCB-Trainer eher humorlos eine Absage erteilte – Standpauke vor versammelter Mannschaft auf dem Trainingsplatz inklusive.
Fast sechs Jahre sind seither vergangen, Cabral hat sich in der Hierarchie wortwörtlich hochgearbeitet. Bis wohin genau, das möchte er nun wissen. Der FCB soll es ihm in einem Vertrag sagen. Verhandeln aber mag er den nicht selbst: «Mein Agent kümmert sich um das Vertragliche. Ich spiele Fussball.»
Letzteres wird dem FCB ganz recht sein. Die Mannschaft kann seine defensiven Qualitäten gebrauchen. Zum Beispiel, wenn es in den Achtelfinals der Europa League gegen den russischen Riesen Zenit St. Petersburg geht. Gut möglich, dass nach diesen beiden Spielen eine Vertragsverlängerung verkündet wird. Damit im Sommer wieder alle denken können: In dieser Saison wird es schwierig für Cabral.
Cabrals hinreissendes 3:1 für den FCB in der Champions League bei der AS Roma im Jahr 2010.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.03.13