Am Ende war Wawrinka einfach nur noch leer

Die Erwartungshaltung war gross, der Druck noch grösser, am Ende war es ein eher fahriger denn fantastischer Showdown: Novak Djokovic setzt sich gegen einen schwachen Stan Wawrinka durch.

Novak Djokovic (L) of Serbia hits a return to Stan Wawrinka of Switzerland during their men's singles semi-final match at the Australian Open 2015 tennis tournament in Melbourne January 30, 2015. Djokovic defeated Wawrinka to win the match. REUTERS/Brandon Malone (AUSTRALIA - Tags: SPORT TENNIS) (Bild: BRANDON MALONE)

Die Erwartungshaltung war gross, der Druck noch grösser, am Ende war es ein eher fahriger denn fantastischer Showdown: Novak Djokovic setzt sich gegen einen schwachen Stan Wawrinka durch.

Es war die Szene, die wie ein Sinnbild für all die Irrungen und Wirrungen an diesem rätselhaften Grand-Slam-Abend stand. Die Szene, als Novak Djokovic soeben den dritten Satz seines Halbfinalduells mit Stan Wawrinka gewonnen hatte, aber einfach an der Grundlinie stehen blieb und sich für den nächsten Ballwechsel vorbereitete.

Erst als sein Gegenspieler Wawrinka gemächlich zur Pausenbank strebte und dann auch noch Gelächter der Fans aufbrandete, setzte sich auch Djokovic langsam in Bewegung – nicht ohne ein Kopfschütteln über sich selbst und den Fauxpas in aller Öffentlichkeit.

Eher fahriger als fantastischer Showdown

So wie die Nummer 1 der Welt in diesem kuriosen Augenblick erschien, ohne Klarheit und Souveränität, so wirkte irgendwie der ganze dritte Teil dieser Australian-Open-Trilogie zwischen dem «Djoker» und Titelverteidiger Wawrinka – es war ein Duell der übergrossen Anspannung, der hochgradigen Nervosität, der verrückten Wendungen.

Und am Ende dieser ganzen sportlichen Achterbahnfahrt in Melbourne siegte mit Djokovic der etwas bessere von zwei Männern, die sich während drei Stunden und 30 Minuten nie wirklich ihrer Sache und ihrer Klasse sicher waren: 7:6, 3:6, 6:4, 4:6 und 6:0 lautete, in nackten Zahlen, die Bilanz eines eher fahrigen als fantastischen Showdowns, in dem sich der Serbe als Konkurrent von Andy Murray für den Final am Sonntag qualifizierte.

Djokovic egalisiert Federer-Rekord

«Es war extrem schwer, einen Rhythmus und Konstanz zu finden. Es war ein Weg durch viele, viele Höhen und Tiefen», sagte Djokovic hinterher. Mit seinem fünften Vorstoss ins Endspiel Down Under egalisierte der 27-jährige gleichwohl den Bestwert von Stefan Edberg und Roger Federer in der modernen Tennisära, jetzt könnte der Spitzenmann der Branche selbst auch den fünften Titel nach 2008, 2011, 2012 und 2013 holen.

Auf der anderen Seite musste Wawrinka in der höheren Weltranglisten-Mathematik einen recht tiefen Sturz verkraften – nach Abzug der Siegerpunkte von 2014 und der Addition der Zähler fürs Erreichen des Halbfinals wird der Schweizer unsanft auf Platz 9 der am Montag veröffentlichten Hackordnung der Profis landen. «Im Moment ist die Enttäuschung gross, draussen zu sein», sagte der 29-jährige.

«Der Druck war schon sehr gross», sagte Wawrinka, «es war ein ständiges Auf und Ab.»

Es war wohl von vornherein vermessen, nach den Giganten-Duellen der beiden letzten Jahre auf ein neuerliches Late-Night-Feuerwerk voller Esprit und Brillanz zu setzen. Aber die Anhäufung von kleineren und grösseren Irrtümern enttäuschte dann doch genau so wie der Umstand, dass sie beide, der Weltranglisten-Spitzenreiter und der noch amtierende Champion, nie in einer Spielphase gemeinsam auf höchstem Niveau spielten.



Stan Wawrinka of Switzerland reacts as he sits in his chair during his men's singles semi-final match against Novak Djokovic of Serbia at the Australian Open 2015 tennis tournament in Melbourne January 30, 2015. REUTERS/Thomas Peter (AUSTRALIA - Tags: SPORT TENNIS)

Der Druck war hoch, sagt Wawrinka. Zwischendurch sah man ihm das auch an. (Bild: THOMAS PETER)

«Der Druck war schon sehr gross», sagte Wawrinka später, «es war ein ständiges Auf und Ab.» Als schliesslich abgerechnet war in der Abendvorstellung des zwölften Turniertags, standen tatsächlich den 69 Gewinnschlägen satte 118 Fehler gegenüber, oft genug aus unbedrängter Situation.

Nur Djokovic konnte sich schliesslich damit trösten, dass am Ende bloss der Sieg zählt in diesen Zweikämpfen – für einen Schönheitspreis hatte er sich ja vor zwölf Monaten, als Verlierer eines weit hochwertigeren Vergleichs, nichts kaufen können. «Ich habe mir das Leben da draussen selbst kompliziert gemacht», sagte Djokovic, «aber das ist jetzt abgehakt. Jetzt blicke ich nach vorne, zum Finale, zum Spiel gegen Andy.»

Djokovic liess Chancen auf schnelleren Sieg aus

Zum Verdruss seines Trainerteams um Chefanweiser Boris Becker hatte Djokovic an diesem eigenwilligen Halbfinal-Abend immer wieder verlockende Chancen auf einen weitaus rascheren Sieg ausgelassen – insbesondere, als er im vierten Satz eine 2:0-Führung binnen weniger Minuten verspielte, plötzlich 3:5 zurück lag und dann wieder in einen fünften Entscheidungsakt gegen Wawrinka musste. Doch Djokovic konnte von Glück reden, dass Wawrinka diese Schwächephasen nicht nachhaltig und kapital ausnutzen konnte, er, der Titelverteidiger, hatte selbst nicht genügend Standfestigkeit und Solidität zu bieten.

Nach der Aufholjagd in Durchgang vier gewann er schliesslich kein einziges Spiel mehr bis zum deprimierenden 0:6-Abschied. Er sei «ziemlich erledigt jetzt», sagte Wawrinka, «die Erschöpfung ist gross. Ich hatte schon das Gefühl vorher, dass die Batterie leer war.» Blieb die Frage offen, ob sich auch bei ihm nun die Spätfolgen der extrem strapaziösen Saison 2014 bemerkbar machten, die ja erst nach einem Parforceritt mit ATP-WM und Davis Cup-Finale Ende November beendet war.



Boris Becker, former tennis player and coach of Novak Djokovic of Serbia, reacts after Djokovic won a point against Stan Wawrinka of Switzerland during their men's singles semi-final match at the Australian Open 2015 tennis tournament in Melbourne January 30, 2015. REUTERS/Brandon Malone (AUSTRALIA - Tags: SPORT TENNIS)

Der Chefanweiser jubelte mit: Boris Becker in der Box von Djokovic. (Bild: BRANDON MALONE)

Djokovics Mission steht dagegen erst noch vor dem möglichen Höhepunkt, dem erträumten Krönungsakt am Sonntagabend. Mit Murray erblickt er dann auf der anderen Seite des Netzes einen Mann, den er seit frühesten Jugendtagen als Freund und Gegenspieler kennt, auch deshalb, weil ihr Geburtstag im Mai 1987 nur eine Woche auseinander liegt.

Djokovic hatte sich allerdings schon vom Herausforderer der Herren Nadal und Federer zur gleichwertigen Führungskraft aufgeschwungen, als Murray noch vergeblich den Königsweg zu den ganz grossen Triumphen suchte. Drei Mal war Djokovic höchstpersönlich der Spielverderber für den Schotten auch in Melbourne, zwei Mal in Endspielen, ein Mal im Halbfinal. Aber wer würde nun schon wetten, dass diese Serie für Djokovic hält. Und für Murray.

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