Ammanns Fingerzeig

Mit dem weitesten Satz des Tages und Platz 6 zum Auftakt der 61. Vierschanzentournee hat sich Simon Ammann eindrücklich zurückgemeldet. Doch der Rückstand auf den Überraschungssieger aus Norwegen ist bereits beträchtlich.

Simon Ammann of Switzerland reacts after his final jump of the first stage of the four hills ski jumping tournament in Oberstdorf, southern Germany, Sunday, Dec. 30, 2012. (AP Photo/Matthias Schrader) (Bild: Keystone/Matthias Schrader)

Mit dem weitesten Satz des Tages und Platz 6 zum Auftakt der 61. Vierschanzentournee hat sich Simon Ammann eindrücklich zurückgemeldet. Doch der Rückstand auf den Überraschungssieger aus Norwegen ist bereits beträchtlich.

Da war er plötzlich wieder. Dieser altbekannte Handgriff, der Simon Ammann zuletzt nicht mehr leicht von der Hand ging. Dieser Fingerzeig an die Konkurrenz. Als wollte der Schweizer seinen jüngeren Mitstreitern sagen: «Seht her, ich bin noch da. Schreibt mich bloss nicht ab!»

Ammann war im Finaldurchgang in Oberstdorf kaum gelandet, da fuhr er auch schon demonstrativ seinen rechten Zeigefinger aus und blickte dabei schon in freudiger Erwartung auf die Anzeigetafel. So raste der 31-Jährige durch den Auslauf der Schattenbergschanze und in seinem ausgelassenen Jubel über den weitesten Sprung des Tages (139 Meter) hätte er beinahe vergessen, rechtzeitig auf die Euphoriebremse zu steigen. Ein Kameramann des ZDF konnte sich nur durch einen akrobatischen Luftsprung vor dem heranbrausenden Ammann retten, der immerfort schrie: Yes, Yes, Yes!

Die 61. Vierschanzentournee

Di, 1. Januar (14.00 Uhr)
Garmisch-Partenkirchen
Grosse Olympiaschanze
(143,5 Meter, 2010)

Fr, 4. Januar (13.45 Uhr)
Innsbruck, Bergiselschanze
(136,0, 2004)

So, 6. Januar (16.30 Uhr)
Bischofshofen
Paul-Ausserleitner-Schanze
(143,0, 2005)

Alle Tagessieger seit 1953
Die Vierschanzentournee

Zurück aus dem Tief

Ja, Simon Ammann hat sich nach seinem Totalabsturz bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg (Plätze 26 und 41) in Oberstdorf wieder in der Weltspitze zurück gemeldet. Ja, seine Formkurve zeigt nach oben. Und ja: Der sechste Rang beim Tournee-Auftakt ist mehr als ihm viele Experten zugetraut haben. Aber dass ihm nun endlich der lang ersehnte Triumph bei der Vierschanzentournee gelingt, nein, dafür dürfte die Verfassung nicht reichen.

Das dürfte auch Simon Ammann klar geworden sein. Denn als er nach seiner anfänglichen Ekstase die Oberstdorfer Ergebnislisten studierte, da bemerkte er, dass ihn von der absoluten Spitze doch noch ein gutes Stück trennt. 28,3 Punkte Rückstand auf den norwegischen Sieger Anders Jacobsen riss Ammann bereits bei der ersten der vier Tournee-Stationen auf.

28,3 Punkte – das sind Welten im Reich der Adler, in dem in diesem Winter zwei Mal schon der Hauch eines Zehntelpunktes über Sieg und Platz zwei entschieden hat. «Ich habe über Weihnachten gut gearbeitet», sagte der Toggenburger fast schon ein wenig trotzig.»

Der entfesselte Norweger

Vielleicht ist es ein Trost für Ammann, dass in Oberstdorf keiner mit diesem völlig entfesselten Anders Jacobsen mithalten konnte. In seiner grossartigen Form sprang der Norweger sogar den Überfliegern des Winters um die Ohren. Der österreichische Tournee-Titelverteidiger Gregor Schlierenzauer liegt vor dem Neujahrsspringen in Garmisch 11, 6 Punkte hinter Jacobsen, der drittplatzierte deutsche Lokalmatador Severin Freund schon 17,8 Zähler.

Alles hatte vor der Tournee mit einem Länderkampf Österreich gegen Deutschland gerechnet. Schlierenzauer oder Freund, so lautete das Motto. Dass irgendein Aussenstehender diese Party stören könnte, damit hatte keiner so recht gerechnet, zumal sich bis Oberstdorf nur Springer aus Österreich oder aus Deutschland in die Siegerlisten eingetragen hatten.

Doch dann kam alles ganz Anders.

Der Norweger Anders Jacobsen wurde zum Spielverderber des Länderspiels Österreich gegen Deutschland. Der 27-Jährige war vor dieser Tournee in keiner der Listen der Mit- und Geheimfavoriten aufgetaucht. Aber was sollte man von einem auch erwarten, der vor kurzem noch in Skisprung-Frührente war und vor zwei Wochen in Engelberg auf den Plätzen 25 und 27 gelandet war?

Simon Ammanns Bilanz der Vierschanzentournee

2002 | Platz 5 (3. in Obersdorf)
2003 | Platz 24
2004 | Platz 14
2005 | Platz 40
2006 | Platz 13
2007 | Platz 3 (3. Innsbruck, 3. Bischofshofen)
2008 | Platz 15 (3. Innsbruck*)
2009 | Platz 2 (1. Obersdorf, 2. Garmisch, 2. Bischofshofen)
2010 | Platz 5 (3. Garmisch, 2. Innsbruck, 3. Bischofshofen)
2011 | Platz 2 (1. Garmisch)
2012 | Platz 19

*Ersatzspringen in Bischofshofen
Liste alle Tagessieger seit 1953

Jacobsens Geheimtraining

Doch ein Zufallssieger ist dieser Anders Jacobsen keineswegs. Immerhin ist der gelernte Klempner der letzte norwegische Tourneesieger (2006/2007) – und er ist auch der einzige Nicht-Österreicher im Teilnehmerfeld, der je die Tournee gewonnen hat. «Das war ein perfekter Wettkampf», sagte ein strahlender Jacobsen, dessen Erfolgsgeheimnis möglicherweise ein Geheimtraining ist. In der Woche vor der Tournee hatten sich die norwegischen Adler auf der Schanze in Oberstdorf intensiv auf den ersten Saison-Höhepunkt vorbereitet.

So gross der Vorsprung sein mag, so sehr die Statistik Anders Jacobsen nun die Favoritenrolle zuschiebt – in den letzten drei Jahren hat der Sieger von Oberstdorf stets auch die Tournee gewonnen – eine Vorentscheidung ist im Kampf um die Gesamtwertung noch lange nicht gefallen. «Die Tournee ist noch so lang», sagt Gregor Schlierenzauer, «da kann noch sehr viel passieren.»

Morgensterns Absturz, Deschwandens Aufschwung

Wie schnell man einen Totalabsturz fabrizieren kann, erlebten zwei ehemalige Tourneesieger. Für die beiden Österreicher Thomas Morgenstern (Gewinner 2011) und Andreas Kofler (Gewinner 2010) ist die Tournee schon nach der ersten Etappe vorbei. Morgenstern wurde vom Winde verschmäht und erreichte nicht einmal den finalen Durchgang. Kofler wurde wegen eines zu weiten Sprunganzuges disqualifiziert – bereits zum dritten Mal in diesem Jahr. Auch er liegt aussichtslos zurück.

Insofern erscheinen die 28,3 Punkte Rückstand von Ammann in einem anderen Licht. «Ich bin froh, dass ich auf Tuchfühlung bin», gesteht denn auch der Routinier, der erstmals seit langem bei einer Tournee nicht mehr als Alleinunterhalter auftreten muss. Teamkollege Gregor Deschwanden erreichte als 25. sein bestes Weltcupergebnis. Andere Skisprung-Nationen können davon nur träumen. Der beste finnische Springer landete beim Tourneeauftakt nicht in den Top 40.

61. Vierschanzentournee

Oberstdorf (De), 1. Station, Schlussklassement: 1. Anders Jacobsen (No) 308,6 (138 m/139 m). 2. Gregor Schlierenzauer (Ö) 297,0 (134,5/138,5). 3. Severin Freund (De) 290,8 (138,5/135,5). 4. Dimitri Wassiljew (Russ) 282,6 (137,5/138,5). 5. Tom Hilde (No) 281,3 (135,5/138,5). 6. Simon Ammann (Sz) 280,3 (133,5/139). 7. Manuel Fettner (Ö) 278,7 (136,5/131). 8. Michael Neumayer (De) 274,6 (136,5/134,5). Ferner: 12. Anders Bardal (No). 15. Wolfgang Loitzl (Ö). 16. Richard Freitag (De). 17. Martin Schmitt (De). 25. Gregor Deschwanden (Sz) 251,5 (130/124). – Bemerkung: Andreas Kofler (Ö/8.) wegen nicht regelkonformem Anzug disqualifiziert.

Die Ergebnisliste mit allen Fakten

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