Nach einer Serie von Tiefschlägen kämpft sich das deutsche Tennis-Aushängeschild Andrea Petkovic zurück auf die grosse Bühne. An den French Open spielt die gebildete 26-Jährige am Mittwoch gegen die Sandspezialistin Sara Errani um den Einzug in die Halbfinals.
Zoran Petkovic kann sich noch «verdammt genau» an die Tennistage in Paris erinnern, vor einem Jahr und zwei Wochen. An die French Open, die für seine Tochter vorbei waren, ehe es auf der grossen Grand Slam-Bühne überhaupt so richtig losging. An die zweite Qualifikationsrunde, in der sie gegen die Chinesin Zhou auf Aussenplatz 6 vor einem Häuflein eiserner Fans scheiterte.
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Die Stunden danach, die Tage danach – Vater Petkovic schlägt noch jetzt die Hände über dem Kopf zusammen: «Da war Andy ganz unten, das war schlimm.» So schlimm, dass der Weg von der Niederlage fast geradewegs in einen Abschied vom Tennis geführt hätte: «Innerlich», sagt die 26-jährige Deutsche, «hatte ich schon zwei, drei Mal die Kündigung unterzeichnet. Ich war mit mir und der Tenniswelt nicht mehr im Reinen. Es gab keinen Spass mehr, keine Hoffnung.»
So unberechenbar kann der Sport sein, so grausam und so wunderschön. Denn bei den French Open 2014 ist aus der zweifelnden, rätselnden und frustrierten Athletin wieder eine geworden, die ganz grosse Ziele anvisieren kann und auch dort siegt, wo es zählt – bei jenen Grand Slam-Turnieren, die alles überragende Bedeutung haben im professionellen Tennis.
Von Nummer 136 vor einem Jahr zurück auf 29
Die Nummer 136 der Welt war Petkovic, als sie im Stadion Roland Garros 2013 die grosse Sinnkrise erfasste, die Nummer 29 ist sie in diesen bewegenden und bewegten Frühlingstagen, wo sie nach vier Siegen endlich wieder ein Major-Viertelfinale erreichte. Und nun am Mittwoch gegen die laufstarke, zähe Italienerin Sara Errani anzutreten hat, die 2012er-Finalistin und letztjährige Halbfinalistin.
Doch in puncto Zähigkeit und Willensstärke muss sich Petkovic vor niemandem in dieser Hochgeschwindigkeitsbranche verstecken, jene Stehauffrau, die zuletzt Verletzungspech hatte wie keine zweite im Frauentennis, die zu schweren Comebacks mit unschöner Regelmässigkeit herausgefordert war – und die doch trotz aller Mühen und Beschwernisse nicht das Handtuch warf.
Und weiterkämpfte, immer weiter. Die aus Tuzla in Bosnien-Herzegowina stammende Petkovic, die als Säugling nach Deutschland kam und in Darmstadt lebt, war schon immer eine Art weiblicher Tommy Haas: Vom Pech geplagt, von Verletzungen, die stets wie ein Blitz in die Karriere einschlugen. Und doch mit soviel Mumm und Courage ausgestattet, dass sie, Andrea Petkovic, einfach nicht unterzukriegen war.
«Als ich weg war von der Tour, habe ich erst gemerkt, was mir Tennis bedeutet.»
Als sie noch als Teenagerin unterwegs war in der weiten Welt des Wanderzirkus, kokettierte Petkovic gern mit den vielen Alternativen zum Berufstennis. Sie setzte sich sogar mal ein Ultimatum, verlangte sich einen Platz unter den Top 50 ab, «sonst höre ich auf und mache was anderes.»
Tennis allein schien ihr damals nicht zu genügen, und so begann die Einser-Abiturientin nebenher ein Fernstudium der Politwissenschaften. Auch ein Praktikum in der hessischen Staatskanzlei des einstigen Ministerpräsidenten Roland Koch legte sie zwischendurch ein, während einer ersten Verletzungspause.
Später, als sie schwerer verletzt war, wochen- und monatelang in abgelegenen Provinzorten ihre Rehazeit absolvierte, begriff sie, wie sehr sie sich in ihr selbst getäuscht hatte: «Als ich weg war von der Tour, habe ich erst gemerkt, was mir Tennis bedeutet. Tennis ist mein Leben – und nichts anderes.»
Zwischen Einserabitur, Nietsche und Tennisplatz
Natürlich ist die hochbegabte Tennisspielerin wegen ihres aussergewöhnlichen Charakters und ihrer hellwachen Intelligenz eine Exotin in dieser einerseits schillernden, andererseits aber doch auch knochentrockenen Profigesellschaft. Wo andere in ihren Pressekonferenzen die beidhändige Rückhand oder die Beschaffenheit des Sandplatzes diskutieren, spricht Petkovic, wie nach ihrem Achtelfinalsieg gegen die Holländerin Kiki Bertens, auch über Johann Wolfgang Goethe, David Foster Wallace oder Friedrich Nietzsche.
Petkovic ist schon immer ein Liebling der Medien gewesen, und sie ist es jetzt, nach ihrer mitreissenden Rückkehrstory ins grosse Tennis, umso mehr. Englands Spitzenjournalist Neil Harman sagt über Petkovic bewundernd: «Ihr Deutschen seid gesegnet mit einer Spielerin wie ihr.»
Dabei trägt die funkelnde Petkovic ihre geistige Brillanz keineswegs wie eine Monstranz vor sich her – sie ist sich ihrer Andersartigkeit sehr wohl bewusst, bleibt aber erdverwurzelt auf dem Boden: «Wenn meine Kumpel lesen, ich sei eine Intellektuelle, lachen die sich sowieso tot», sagt Petkovic.
Ihre beste Freundin im Tennis, die kämpferische, aber doch auch kühle Norddeutsche Angelique Keber, ist ganz anders als Petkovic, aber zwischen die beiden passt kein Blatt Papier: «Mit ihr kann ich über alles sprechen. Ich wundere mich selbst manchmal, dass so eine tiefe Freundschaft im Tennis möglich ist.»
«Sie ist ein Riesentyp»
Überhaupt: Der Fed Cup, ihre vielbeschworenen «Ollen» im Team, die Chefin Barbara Rittner. Sie sind alle nicht ganz unbeteiligt am Aufstieg nach dem Fall Petkovics, jener erst kreuzunglücklichen, nun wieder kreuzfidelen Charakterdarstellerin. Mit Petkovic hatte einst das deutsche Fräuleinwunder auf den Centre Court begonnen, sie zog danach ihre Landsfrauen mit nach oben: «Sie haben an Andreas Beispiel gesehen, was möglich ist», sagt Rittner.
In der Petkovic-Krise zahlten die anderen Deutschen an die Vorturnerin zurück, gaben Zuspruch, warnten sie vor einem Rücktritt, der sie «todunglücklich» (Julia Görges) machen werde. Im Frühhjahr 2014 passt nun wieder alles zusammen, was zusammengehört: Petkovic und das grosse Tennis, Petkovic und die grossen Siege.
Zurück in die Spur gefunden hat Petkovic nicht zuletzt auch mit Eric van Harpen, dem Ex-Trainer von Patty Schnyder. Der Niederländer hat vor drei Monaten das Kommando übernommen. «Sie ist eine faszinierende Person, ein Riesentyp», sagt der inzwischen 70-jährige van Harpen.
«Vor einem Jahr habe ich Tennis gehasst», sagt Petkovic. Und jetzt, ist es eine neue Liebe? «Ich weiss nicht, das ist ein grosses Wort», sagt Petkovic. Aber wahrscheinlich nicht ganz falsch.