Der Bart bleibt dran. Vielleicht ein bisschen gestutzt zum Anpfiff am Samstagabend, falls Thorsten Fink bis dahin Zeit findet.
Der Henriquatre, den er zum Ende seiner zwei Jahre in Basel akkurat als Oberlippen- und Kinnbart trug, hat sich während Finks Tagen in Wien zu einem voluminösen, rübezahlartigen Monstrum ausgewachsen. «Ich gehe mit der Zeit», sagt der modisch bewusste Fink, «meiner Frau gefällt der Bart. Aber ich weiss, dass er mich älter macht.»
51 wird Fink am Montag. Es ist bald zehn Jahre her, als mit ihm als Trainer eine neue Ära beim FCB anbrach. Als ein frischer Wind durch Basel pfiff und Fink sein Selbstbewusstsein fröhlich vor sich hertrug.
«Es war meine positivste Zeit. Basel hat mir viel gegeben, und umgekehrt war es, glaube ich, auch so», sagt Fink und gibt im Rückblick zu: «Der Zeitpunkt meines Abschieds war falsch. Ich war ungeduldig.»
Seit dem 23. April 2018 trainiert er die Grasshoppers und der Mann hat nichts eingebüsst an Temperament und Redefluss. Und die Lust, etwas zu bewegen, ist ungebrochen. Nach dem fluchtartigen Abgang aus Basel, mitten in einer rauschenden Champions-League-Kampagne, weg in die Bundesliga zum Hamburger SV, nach Arbeitslosigkeit, nach einem Intermezzo auf Zypern und nach zweieinhalb Jahren bei der Austria in Wien, hat er mit den Grasshoppers eine nicht einfache Aufgabe gefasst.
In einem Umfeld, in dem Abstriche von den ganz grossen Träumen gemacht werden müssen, das ihn aber nichtsdestotrotz zu beseelen scheint. Die Familie ist in München geblieben, weil die inzwischen 12- und 13-jährigen Söhne nicht wieder aus der Schule gerissen werden sollten. Und der Vater kann sich sechs Tage die Woche von morgens bis abends um seinen Job kümmern. Am siebten Tag nimmt er sich frei für einen kurzen Heimaturlaub.
In Zollikon am Zürichsee ist Fink privat untergekommen, und in der Abgeschiedenheit von Niederhasli findet er alles vor, um seine Vorstellungen vom Fussball umsetzen zu können: einen Campus voller Talente, intelligente Mitarbeiter und Vertrauen. «Das spüre ich und ich glaube, dass wir hier etwas Langfristiges aufbauen. Dieser Klub gibt mir die Chance, eine ganzheitliche Philosophie reinzubringen – das ist meine Aufgabe und das ist es, was ich immer wollte. Deshalb ist GC jetzt meine Leidenschaft und dieser Job meine Erfüllung.»
Fink sieht GC auf Kurs
Wenn man Thorsten Fink in Basel erlebt hat, wie er den FCB zu zwei Meistertiteln und einem Double führte, dann nimmt man ihm auch diese Überzeugungsrede ab. Anders als in Wien, wo er eine gestandene Mannschaft vorfand und mit der Austria zweimal die Europa League erreichte, rechnet er bei GC die 63 Spieler vor, die in den letzten drei Jahren kamen und gingen.
13 Neue waren es auf diese Saison hin, und auch wenn das Team aktuell nur auf dem neunten, dem vorletzten Platz steht, sieht Fink die jüngste Mannschaft der Super League auf dem richtigen Kurs: «Wir haben uns vieles erarbeitet, eine Linie gefunden und die Leistung zuletzt in Sion war stabil. Es haben sich Führungsspieler herauskristallisiert und ein Charakter, den wir wollen.»
Gross Notiz nimmt jedoch niemand von den Grasshoppers im Herbst 2018. Die Musik im Schweizer Fussball wird aktuell in Bern und wenn in Zürich, dann beim FCZ gespielt. «Die Leute schauen nur auf die Tabelle», bedauert Fink, «aber sie sehen nicht, was bei uns passiert.» Eine Presserunde vor dem Zusammentreffen von Rekord- und Serienmeister wurde wegen mangelnder Anmeldungen kurzerhand abgesagt.
«Manchmal kommen, drei, vier Leute», erzählt Fink am Telefon, «vielleicht interessiert sich keiner für uns, weil es gerade keine Skandale gibt.» Daran mangelte es den Grasshoppers zuletzt nicht – wenn nicht ein Trainerwechsel für Schlagzeilen sorgte, dann die Klubführung respektive die Aktionäre und ihre Einflüsterer.
Die Zuschauerzahl bei den jüngsten Heimspielen unterbot die 4000er-Marke. Am Samstag darf deshalb jeder Saisonkarteninhaber, von denen es nach GC-Auskunft circa 4500 gibt, einen zweiten Matchbesucher mitbringen. Beste Werbung in eigener Sache wäre ein Heimsieg gegen den FC Basel. Und so etwas darf man sich als Opponent der Rotblauen inzwischen schamlos vornehmen, ohne der Überheblichkeit oder Fantasterei geziehen zu werden.
«Es ist nicht unmöglich, gegen Basel zu gewinnen, und das Spiel gegen Xamax hat gezeigt, dass sie nicht mehr die Stilsicherheit haben und sich schnell umwerfen lassen. Das ist unsere Chance, man kann sie packen – aber dafür müssen wir 100 Prozent Leistung abrufen.» Das sagt Fink mit allem Respekt vor seinem ehemaligen Klub, den er nach wie vor als zweitstärkste Kraft in der Schweiz hinter YB einschätzt.
Das Bruderduell der Ajetis
Eine besondere Fussnote bekommt das Spiel mit einem Bruderduell. Auf der einen Seite Albian Ajeti, der 21-jährige Torjäger des FCB. Und bei GC der dreieinhalb Jahre ältere Arlind, der erst nach Saisonbeginn zu den Grasshoppers gestossen ist. Beide entstammen dem Nachwuchscampus des FCB, und zur Familie gehört auch noch der derzeit von St. Gallen nach Chiasso ausgeliehene Adonis Ajeti.
Über den Zuzug von Arlind Ajeti ist Fink glücklich. Ajeti hat einst im Frühjahr 2011 unter Fink beim FCB sein Super-League-Debüt gegeben und Wanderjahre in der Serie A bei Torino, Frosinone und Crotone hinter sich. Zwar hat der Innenverteidiger für GC erst zwei Einsätze gemacht, aber der Trainer ist sich sicher: «Er ist ein wichtiges Teil im Puzzle. So einer hat uns noch gefehlt.»
Für Ajeti wie für die Entwicklung der Mannschaft gilt in Finks Augen: «GC soll modern, jung und leidenschaftlich sein, soll Stil haben, frech und mutig spielen. Und wenn wir es schaffen, Ruhe zu bewahren, wenn sie im Verein nur ein bisschen Geduld haben, dann kann eine grosse Sache daraus werden.»
Jetzt muss nur noch in Zürich, wo am 25. November mal wieder über ein Stadionprojekt abgestimmt wird, jemand etwas davon mitbekommen.
Nachsitzen beim FCB
Wenn man Marcel Koller richtig verstanden hat, dann war er über die Leistung seiner Mannschaft gegen Xamax ebenso sauer wie alle anderen, auch im Umfeld des FC Basel. Die Sofortmassnahme war zwar kein Straftraining, dafür eine Aufgabe, die man pädagogisch als Nachsitzen bezeichnen dürfte: In drei Gruppen aufgeteilt mussten die Spieler ausarbeiten, was gut und was schlecht war.
Was bei der Präsentation herauskam, wollte Koller nicht im Detail öffentlich verhandeln, es habe aber, so der FCB-Trainer, keine Schlägereien gegeben. «Dass es nicht gut war, wissen die Spieler schon selbst.» Unter anderem: zu viele Abspielfehler, zu leichte Ballverluste, zu weit auseinander gestanden, fehlende Kompaktheit, kein schnelles Umschalten.
Warum es der Mannschaft ausserdem an Körpersprache, an Emotionen und Aufbegehren gefehlt hat? Das haben Koller und sein Trainerteam noch nicht entschlüsselt: «Wir hätten auch gerne mehr davon gesehen.»
Die nächste Gelegenheit, eine Reaktion zu zeigen ist am Samstag (19 Uhr) im Letzigrund gegen die Grasshoppers. Die Personallage entspannt sich insofern, als Goalie Jonas Omlin, Verteidiger Eder Balanta und Valentin Stocker wieder einsatzbereit sind. Es fehlen weiterhin die dauerverletzten Marek Suchy, Carlos Zambrano, Samuele Campo sowie Noah Okafor.